Behind the Scenes

»Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal hier an Bord gehe.«
Ein Interview mit Verlagsleiterin Ulrike Metzger

Nach Stationen bei Tessloff, Loewe, Ravensburger und den S. Fischer Verlagen hat Ulrike Metzger seit eineinhalb Jahren die Verlagsleitung eines kleinen fränkischen Reiseführerverlages inne, die sie sich mit Judit Ladik teilt. Wir haben uns mit ihr über ihre ersten 18 Monate bei uns im Verlag unterhalten.

Wandern in der Fränkischen Schweiz: Nicht zuletzt wegen der Brauereidichte der Hit! Übrigens: Das ist ein Seidla (0,5 l), die Größe ist dem Objektiv geschuldet. – Foto: privat<br>
Wandern in der Fränkischen Schweiz: Nicht zuletzt wegen der Brauereidichte der Hit! Übrigens: Das ist ein Seidla (0,5 l), die Größe ist dem Objektiv geschuldet. – Foto: privat

Ulrike, seit Januar 2023 leitest Du nun den Michael Müller Verlag zusammen mit Michael Müller und Judit Ladik. Welche besonderen Herausforderungen hast Du dabei erlebt?

Wir sind ein kleiner Verlag mit einer sehr besonderen DNA. Fast alle Kolleg:innen haben ihr gesamtes Berufsleben hier verbracht und sind teilweise schon seit Jahrzehnten dabei. Für mich als „Outsiderin“ war das anfangs nicht so einfach, immer zu verstehen, worüber gerade gesprochen wird, da hier alle in einem endlosen, fließenden Dialog in einem ganz eigenen Müller-Jargon stehen. Zum anderen haben sich hier Arbeitsweisen und Abläufe entwickelt, die wirklich einzigartig sind. Dazu gehört vor allem auch die Systemlandschaft. Michael Müller ist ein IT-Tüftler der ersten Stunde und hat im Laufe der Jahre maßgeschneiderte Systeme und Programme entwickeln lassen, die es nur bei uns gibt. Keine Herausforderung dagegen war das Team: die „Outsiderin“ wurde superschnell integriert und alle haben mir stets mit viel Geduld und Zugewandtheit geholfen, mich schnell zurechtzufinden.

Gab es Dinge, die Dich überrascht haben?

Ja! Tatsächlich steht das in unmittelbarem Zusammenhang mit den oben erwähnten Herausforderungen. Es war eine echte Überraschung für mich, dass man Dinge auch mal auf sehr unkonventionelle Art tun kann, ohne die „gelernten“ klassischen Verlagsabläufe, Systeme etc. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Aber wir sind natürlich auch ein kleiner Verlag, da kann man sich im Zweifels- oder Problemfall jederzeit einfach mal über den Flur verständigen und erreicht (fast) alle damit. Hilferufe wurden stets und immer von den richtigen Leuten gehört. Da erübrigen sich etliche Meetings, die andernorts durchaus seltsame Auswucherungen gebildet haben …

Bergkulisse mit blauem Himmel und Wölkchen, im Vordergrund ein Geröllfeld
Leider schon wieder am Abstieg. – Foto: Ulrike Metzger

Du kommst ursprünglich aus dem Kinder- und Jugendbuch. Was hat Dich dazu bewogen, nach Deiner langjährigen erfolgreichen Tätigkeit die Leitung eines Reiseführerverlags zu übernehmen?

Das war fast schon filmreif. Michael Müller und ich kennen uns schon sehr lange. Als ich vor 15 Jahren zur großen 30-Jahre-Jubiläumsfeier eingeladen war, hätte ich niemals gedacht, dass ich mal hier an Bord gehe. Ich war über viele Jahre eine klassische Job-Nomadin. Von Nürnberg nach Bayreuth, dann nach Ravensburg, schließlich Frankfurt, die nächste Station wäre dann München gewesen. Aber dann kam Corona. Mein zweiter Lebensmittelpunkt war seit langem Nürnberg, und im fränkischen Homeoffice merkte ich dann, wie sehr mit diese ständige Nomadisiererei auf die Nerven ging. Bei einem Ausflug in die Fränkische Schweiz waren Michael und ich uns gleich zweimal über den Weg gelaufen und er hatte mich jedes Mal gefragt, wie es denn nun mit mir und dem Müller Verlag ausschauen würde. Tja, da war ich dann soweit.

Verlagsleiterin Ulrike Metzger mit Sonnenbrille und schwarzer Weste vor Gebirgskulisse, blauer Himmel, einige Berghütten
Abstieg vom... nö, verrate ich nicht! – Foto: privat

Welche Unterschiede hast Du zwischen der Arbeit mit Kinderbüchern und der mit Reiseführern festgestellt? Gibt es vielleicht sogar Gemeinsamkeiten?

Egal in welchem Genre man unterwegs ist – Verlagsarbeit ist immer Verlagsarbeit. Das ist vielleicht vergleichbar mit der DNA von Menschen und Primaten: zu 90% identisch. Wir arbeiten mit Autor:innen, mit Graphikdesigner:innen zusammen. Redaktion, Lektorat und Layout arbeiten gleichermaßen hochprofessionell. Wir entwickeln neue Konzepte, beobachten den Markt und die Mitwerber. Und wir haben mit Druckpreisen und überhaupt mit Kosten zu kämpfen. Ein tatsächlicher Unterschied ist der irre Innovationsdruck, unter dem der Kinder- und Jugendbuchmarkt steht. Dort werden permanent – halbjährlich! – neue Konzepte entwickelt, neue Autor:innen und Illustrator:innen gesucht, man kloppt sich mit anderen Verlagen um die großen internationalen Titel, die üblicherweise in Auktionen versteigert werden. Zuletzt fällt mir noch eine Gemeinsamkeit ein: Gemessen am redaktionellen Aufwand, der aufwändigen Ausstattung und dem Engagement der Autor:innen sind die Ladenpreise viel zu niedrig. Kinder- und Jugendbuchautor:innen machen manchmal bis zu 300 Lesungen pro Jahr, für Reiseführer muss sowieso permanent gereist werden. Für einen Roman in der Hardcoverausgabe – innen schwarzweiß! – blättern die Kunden oft 30 Euro hin, bei Reiseführern und Kinderbüchern liegt die Preisschwelle deutlich niedriger.

Bick auf eine Meeresbucht in Ligurien, Cinque Terre, blaues Meer, blauer Himmel, Hügelkette, im Vordergrund eine Bank und eine Absperrung.
Einer meiner Lieblingsplätze in Ligurien. Die Cinque Terre gehen inzwischen – leider – nur noch von oben. – Foto: Ulrike Metzger

Wie sehr haben Deine eigene Reiselust und Deine persönlichen Reiseerfahrungen Deine Arbeit im Verlag beeinflusst? Hast Du einen Lieblingsreiseführer oder eine Reiseziel, wo Du besonders gern hinfährst?

Ich reise viel und gern und bin auch schon ewig mit den Michael-Müller-Reiseführern unterwegs. Deshalb interessiert mich das Thema natürlich. Da ist es auch von Vorteil, dass ich bis vor kurzem noch Leserin und Benutzerin war. Da fällt einem vieles auf und ein. Meine liebsten Reiseziele? Die Berge, egal wo. Ab 1.500 Höhenmetern geht’s mir gut. Und Italien, egal wo. Das Land ist so unglaublich vielseitig, hat eine absolut faszinierende Geschichte, Kultur – und natürlich grandioses Essen. Assolutamente favoloso! Hier ein Blick auf den fabelhaften Ort Barga in der Garfagnana. Vor Ort recherchiert und ausprobiert, zum Beweis mein Fuß …

Beweisstück: Der Fuß vor Barga – Foto: Ulrike Metzger<br>
Beweisstück: Der Fuß vor Barga – Foto: Ulrike Metzger

Und zuletzt: Gibt es einen Ort, den jede:r einmal besucht haben sollte?

Eine echte Gewissensfrage! Zudem sind Sehnsuchtsorte sehr individuell – und nicht alle sind für alle erreichbar. Aber wenn ihr mich danach fragt, was einige meiner unvergesslichsten Erlebnisse oder verzauberten Orte waren: Der Blick auf Havannas Altstadt vom Dach des Hotel Raquel. Der Pragser Wildsee bei Mondschein im Winter. Der Rundumblick von der Sella auf die Dolomiten. Die Benediktinerabtei in La Chaise-Dieu. In der Morgendämmerung auf der Shwedagon Pagode auf den Sonnenaufgang warten. Meine allerliebsten Orte verrate ich nicht, das versteht Ihr sicher. Vielleicht mal im persönlichen Gespräch nach zwei Gläsern Teroldego. Letzteres als verschlüsselter Geheimtipp ... (grinst) .

Spezialitäten der Garfagnana: Papierserviette mit verschiedenen Sorten rohen Schinkens, Salami und Käse.
Spezialitäten der Garfagnana. Frau Metzgers Motto: »Frauen brauchen Fleisch.« ;) Foto: Ulrike Metzger

Liebe Ulrike, vielen Dank für Deine ehrlichen Antworten. Wir sind gespannt, wohin die gemeinsame Reise noch geht.

Das Gespräch führten Kristin Wiedemann, Online-Marketing und Social Media, und Brigitte Seitzer, Pressearbeit und Webredaktion.

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