Abseits der Routen

Teil 37: Abruzzen
Eine Fahrt mit der Transiberiana d’Italia

Unsere Autorinnen und Autoren begegnen auf ihren Recherche-Reisen so manchen Kuriositäten. Eine davon ist die Transiberiana d'Italia, die »transsibirische Eisenbahn« mitten in der einsamen Berglandschaft der Abruzzen. Hier erzählen Sabine Becht und Sven Talaron, was es mit der historischen Strecke auf sich hat, wie sie zu ihrem Namen kam und weshalb eine Fahrt mit der italienischen Transsib unbedingt zu empfehlen ist.

Autorin Sabine Becht<br>
Autorin Sabine Becht
Autor Sven Talaron<br>
Autor Sven Talaron

Der Regionalbahnhof von Sulmona ist an sich ein eher trister Ort. Doch an den Wochenenden herrscht hier rege Aufbruchstimmung. Dann starten an binario 1 die historischen Züge der Ferrovie d’Italia, genauer gesagt: die „Transiberiana d’Italia“, die italienische Transsib, zu einer Fahrt über die Hochebenen (Altipiani) nach Castel di Sangro. An einem Samstagmorgen pünktlich um 8.45 Uhr werden wir hier von einer freundlichen Zugbegleiterin in Uniform und mit Klemmbrett in Empfang genommen, unsere Namen abgehakt und die Plätze zugewiesen. Ebenso pünktlich – um exakt 9 Uhr – setzt die braun-grüne Diesellok D.445.1145 unseren Zug in Bewegung: 2160 PS, die es im Lauf dieser Fahrt auf maximal 60 km/h bringen werden. Dahinter reihen sich vier braune „Centoporte“-Waggons, die sog. Hunderttürer mit jeweils eigener Außentür für jedes Abteil. Die historische Holzklasse aus den 1920er-Jahren ist zwar nicht wirklich bequem, dafür wunderbar nostalgisch, zwar ohne Aircondition (die besteht aus offenen Fenstern), aber im Winter mit Heizung.

Die Centoporte-Waggons der Transiberiana sind Originale aus den 1920er Jahren.
Die Centoporte-Waggons der Transiberiana sind Originale aus den 1920er Jahren. – Foto: Sabine Becht

Fast 700 Höhenmeter hinauf auf die Altipiani

Das Tempo bleibt gemächlich auf dieser Route, die ab Sulmona Richtung Südosten in weitem Bogen den Hang hinauf steigt und dabei fast 700 Höhenmeter überwindet. Grandiose Ausblicke wechseln sich mit mehr oder minder langen Tunneln ab, bis nach gut einer Stunde der erste von den insgesamt fünf ineinander übergehenden Altipiani Maggiori d’Abruzzo erreicht ist. Die Hochplateaus auf einer Höhe von 1200 bis 1500 Metern gehören zum Parco Nazionale della Majella, einer herrlichen, überwiegend einsamen Berglandschaft mit dunklen Wäldern, üppigen Blumenwiesen sowie Kuh- und Pferdeweiden, die im Winter häufig schneebedeckt ist. Nach einem längeren Tunnel taucht mitten im Nirgendwo die Stazione di Palena auf, der erste längere Stopp unseres Ausflugs. Der einsame Bahnhof befindet sich übrigens zehn (!) Kilometer vom gleichnamigen Ort entfernt. Für die Fahrgäste wird dort jedoch bestens gesorgt: Essensstände sorgen für das leibliche Wohl, zur Unterhaltung spielt eine Band – die uns auf der Fahrt noch länger begleitet – und natürlich besteht ausführlich Gelegenheit, den Zug von allen Seiten zu bestaunen.

Halt an der einsamen Stazione di Palena ...
Halt an der einsamen Stazione di Palena – Foto: Sabine Becht

58 Tunnel, 103 Brücken und 21 Bahnhöfe

Die 128 Kilometer lange Bahnstrecke von Sulmona nach Isernia in der Molise wurde am 18. September 1897 eingeweiht. Gebaut wurden hierfür insgesamt 58 Tunnel mit einer Gesamtlänge von 25 Kilometern, 103 Brücken und Viadukte sowie 21 Bahnhöfe, von denen die allermeisten heute längst stillgelegt sind. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Strecke zerstört, erst ab 1960 konnte die Route wieder befahren werden. Ursprünglich dauerte die Fahrt von Sulmona über die Hochebenen nach Isernia rund fünf Stunden, 1974 wurde die Fahrtzeit dank der neuen Diesellok auf knapp zweieinhalb Stunden halbiert. In den 1990er Jahren ging es mit der aufwendig gebauten Bahnlinie derweil immer weiter bergab: Bahnhöfe wurden geschlossen, Fahrpläne ausgedünnt. Der letzte reguläre Zug fuhr am 31. Dezember 2011 durch die einsame Landschaft – dann war Schluss. Eine lokale Initiative setzte sich für den Erhalt der Strecke ein – und war erfolgreich: Seit 2014 betreibt die Stiftung Fondazione FS Italiane die »Transiberiana d’Italia« als Ausflugsstrecke.

Zum Sitzen nicht gerade bequem, aber wunderbar nostalgisch.
Zum Sitzen nicht gerade bequem, aber wunderbar nostalgisch – Foto: Sabine Becht

Zur höchsten Bahnstation des Apennin

Vom Bahnhof Palena setzen wir unsere Fahrt über das spektakuläre Hochplateau fort, passieren das bekannte Barockstädtchen Pescocostanzo, bevor wir am Bahnhof Rivisondoli auf 1268 Metern den höchsten Punkt der Strecke erreichen. Im gesamten Apennin gibt es keine höher gelegene Bahnstation, im Winter liegt hier oft meterhoch der Schnee. Der Name »Transiberiana d’Italia« geht übrigens auf eine Reisereportage des italienischen Magazins »Gente Viaggi« aus dem Jahr 1980 zurück. Als man die historische Eisenbahn als Touristenattraktion reaktivierte, griff man für eine wirksame Vermarktung darauf zurück – mit Erfolg: Denn der wunderbar nostalgische Ausflug vor grandioser Naturkulisse wird bestens gebucht!

... mit herrlicher Landschaft im Parco Nazionale della Majella.
Durch herrliche Landschaft im Parco Nazionale della Majella – Foto: Sabine Becht

Reisepraktische Infos:

Fahrten ab Sulmona meist bis Roccaraso oder Castel di Sangro mit jeweils längerem Aufenthalt und Ausflugsprogramm, retour auf gleicher Strecke.
Preis: 50 €, Kind 4 – 12 Jahre 30 €.
Abfahrt:
8.30 bis 9 Uhr, Rückkehr: zwischen 19 und 20 Uhr, im Winter ca. 2 Std. früher.
Infos und Buchungen: ferroviadeiparchi.it

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