Reisebuchautor André Micklitza scheute zusammen mit seiner Frau Kerstin keinen Schweiß, so manchen Bergpass der Slowakei zu erobern. Sie tranken guten Wein, hörten Geschichten, kamen durch mittelalterliche Städte und fanden ein gastfreundliches Land. Rund 1000 Kilometer umfasst die abwechslungsreiche Strecke. Fürs Radfahren ungeeignete Abschnitte lassen sich per Zug überbrücken. Zur besseren Orientierung stellen wir die GPS-Daten dazu ins Netz.
Wer sich die Berge hinaufkurbelt, merkt, dass die Kleinen Karpaten so klein gar nicht sind. Es geht bis über 700 Meter in die Höhe, manch ein Abschnitt ist mühsam und schweißtreibend. Dafür gibt’s aber jede Menge Belohungen, kulturelle, kulinarische und natürlich viele, viele visuelle.
Schon der Start ist verheißungsvoll. In Pezinok, zu Füßen der Kleinen Karpaten, reifen die besten Weine der Slowakei. In der Weinstube Matyšák wird der hauseigene Grüne Silvaner ausgeschenkt, dazu gibt es Kartoffelpuffer mit Gänseleber. Der Rebsaft schmeckt ausgewogen fruchtig und erinnert an einen Obstgarten. Die edlen Tropfen entlang der Kleinkarpatischen Weinstraße lagern oft noch in jahrhundertealten Kellern kleiner Winzerhäuser. Viele Weine könnten sich durchaus mit der internationalen Konkurrenz messen, sind in Deutschland aber unbekannt.
Über die Stadt Trnava, wegen ihrer vielen Kirchen auch als »Klein-Rom« bekannt, erreichen wir als Nächstes den weltbekannten Kurort Piešťany. Ihr Wahrzeichen ist die Plastik des krückenzerbrechenden Mannes an der Kolonnadenbrücke – am anderen Waagufer sieht man am Brückentor die dazu passende lateinische Aufschrift: »Surge et ambula« – »Stehe auf und gehe«.
Schon Beethoven ließ sich in Piešťany eine ordentliche Schlammpackung verpassen, heute kuren hier im Sommer überwiegend Araber. Meist plagen sie Gicht und Rheuma, verursacht durch den Dauerbetrieb der Klimaanlagen und die großen Temperaturschwankungen in der Heimat. Auch Deutsche, die eher im Frühjahr und Herbst anreisen, schwören auf das wundertätige Thermalwasser und den hochwertigen Schwefelflussschlamm aus der Waag. Dazu scheint hier fast immer die Sonne, nur 75 Tage im Jahr lässt sie sich nicht blicken. Sehenswürdigkeit Nr. 1 ist die Badeinsel. Dort ist auch der Reiseunternehmer Schneider ein gern gesehener Gast. Seit Jahren organisiert er Kurreisen für deutsche Senioren. Dass wir das Land mit dem Fahrrad erkunden, gefällt ihm. Und uns gefallen die Geschichten, die Herr Schneider zu erzählen hat, zum Beispiel die über die Plastik eines nackten Liebespaares am Rande des Kurparks. Im Winter, klärt er uns auf, »tragen die beiden Mützen, Schals und Handschuhe, damit sie nicht frieren«. Dies sei auch ein Zeichen, »dass sich ein Mädchen aus Piešťany frisch verliebt hat«. In der kalten Jahreszeit sei »das Pärchen fast immer bestrickt«, was eindeutig für die winterliche Vitalität des Ortes spricht.
Wir radeln weiter. Zunächst nach Trenčín mit einer mächtigen Burg und dann – einen Tag später – dorthin, wo sich Hase und Fuchs Gute Nacht sagen, ins Dorf Čičmany in den Rajetzer Bergen. Hier atmet man die sauberste Luft in der gesamten Slowakei, heißt es. Aber das ist noch nicht alles: Čičmany ist berühmt für seine über hundert mit Ornamenten bemalten Holzhäuser. Meist sind es Tiere und Pflanzen, Herzen, Sonnen oder einfach geometrische Formen, die mit weißer Farbe auf die rohen Balkenwände gepinselt wurden. Die gleichen Ornamente findet man auf den ortsüblichen Trachten. Zu bewundern sind sie im Raden-Haus, wo außerdem Fotos aus dem einstigen Dorfalltag zu sehen sind. Dort erfahren wir auch, dass Jungen früher nach ihrer Geburt auf ein Schaffell gebettet wurden, damit sie Locken bekamen. Den Mädchen wiederum legte man eine Nadel in die Badeschüssel, damit sie später gut sticken konnten.
Von Čičmany rollen die Räder lange ungestört abwärts. Ab der Einmündung auf die Hauptstraße Richtung Žilina ist dann allerdings der Teufel los. Vom kleinen Kurort Rajecké Teplice steigt man daher besser auf die Regionalbahn um. Auch hinter Zilina in Richtung Terchová heißt es auf den starken Verkehr aufpassen, denn vor den Toren der Stadt betreiben die Slowaken eine ihrer großen Autoschmieden – mit südkoreanischem Kapital und ebensolchem Know-how. Hinter dem Autowerk wird’s wieder gemütlich und das Jánošík-Land rückt näher. Wunderschön ist das Vrátna-Tal nahe dem Dorf Terchová, das von den höchsten Bergen der Kleinen Fatra umarmt wird – ein wahrer Traum, und wenn uns nicht alles täuscht, eindeutig Gottes Geschenk an die Slowaken.
Im Winter sind die umliegenden Berge beim Vrátna-Tal beliebt bei Skiabfahrern, im Sommer wagen sich Wanderer auf anspruchsvolle Touren. Darunter sind auch Pfade, die schon der legendäre Räuberhauptmann Juraj Jánošík beschritt, um seine Beute zu verstecken. Beim Dorf Terchová treffen wir ihn in Gestalt einer riesigen, silbern glänzenden Statue. Jánošík verkörpert punktgenau den Mythos des gerechten Räubers, der ganz ohne Gewalt einem karitativen Geschäft nachgeht: Er erleichtert die Reichen und verteilt das Diebesgut an die Armen. Anders als sein fiktiver englische Kollege Robin Hood war Jánošík aber ein Mensch aus Fleisch und Blut. Seine Räuberbande war Anfang des 18. Jahrhunderts zwischen Kleiner Fatra und Hoher Tatra aktiv, sogar im benachbarten Polen sind seine Taten zu Legenden geworden. Jánošíks Markenzeichen ist eine Axt mit langem Stiel, eine valaška. Die gibt es heute in vielerlei Ausführungen und Größen zu kaufen; wer ein typischen Slowakei-Mitbringsel sucht, macht mit der valaška nichts verkehrt.
Östlich von Terchová verlassen wir das Jánošík-Land und schrauben uns den Bergsattel hinauf. Oben angekommen, fällt der Blick auf die liebliche Berglandschaft ringsum. Nur ab und zu quält sich ein Auto herauf, um gleich darauf wieder Richtung Tal zu verschwinden. Noch eine Weile genießen wir die herrliche Aussicht, dann sausen wir 15 Kilometer bergab nach Istebné und weiter nach Dolný Kubín.
Es folgt eine verkehrsreiche Strecke, die kein Radler zwingend braucht. Deshalb steigen wir in Dolný Kubín erneut in die Bahn um, die uns vorbei an der Arwaburg nach Podbiel bringt. Von dort radeln wir gemächlich bergauf dem Dorf Zuberec entgegen, dem Touristenzentrum der Westtatra. Der westliche Teil des Nationalparks wird auch Roháče genannt, was »Hörner« heißt. Und tatsächlich ragen die Berge Ostrý Roháč und Volovec wie zwei Teufelshörner über dem 2000 Meter hohen Hauptkamm empor.
Am Fuße der Berge versteckt sich das Freilichtmuseum eines Arwa-Dorfes. Auf reichlich 20 Hektar wurden die früher hier typischen Wohnbauten, Speicher, Handwerksbetriebe und Kirchen, fast allesamt aus Holz, zusammengetragen. Dazwischen rauscht ein Wildbach, und im gezimmerten Gasthof »U krčmára« kommt eine lokale Spezialität auf den Tisch: Domáca kapustnica, hausgemachte Krautsuppe mit Würstchen und Rauchfleisch.
So gestärkt, erobern wir den nächsten Pass in Richtung Liptovský Mikuláš. Allein bleiben wir nicht, es begleitet uns eine riesige Schar aufdringlicher Stechfliegen. Die Plagegeister geben die Verfolgung auf, als ihnen unsere rasante Abfahrt keine Chance lässt, uns weiter zu piesacken. Wir rollen geradewegs ins Käseparadies Liptau. Der berühmte slowakische Schafkäse wurde von der EU als regionale Spezialität anerkannt. Oštiepok heißt der geräucherte harte und gesalzene Schafkäse aus der Almhütte, der weichere Dampfkäse wird parenica genannt. Aus dünnen Käsestreifen werden hier Käsezöpfe (korbáčiky) geflochten. Der Liptauer ist ein Streichkäse, der leckere Brotaufstrich wird häufig mit Kümmel, Paprika, Schnittlauch und Zwiebeln gewürzt. Auch das bekannteste slowakische Nationalgericht kommt aus der Liptau: Bryndzové halušky, Käsenockerln aus Kartoffelteig, die mit Liptauer Käse vermischt und mit geröstetem Speck abgeschmeckt werden.
Von Liptovský Mikuláš führt parallel der Autobahn eine wenig befahrene Landstraße an den Nordfuß der Westtatra. Im hiesigen Tal Račkova dolina genießen wir einen Ruhetag. Einsam auf einer Waldwiese steht das Hotel Mier, was »Frieden« bedeutet. Kann es einen schöneren Ort für ein Kinderferienlager geben? Denn Frieden herrscht hier im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einem aufregenden Tag schlummern die Kinder gegen 22 Uhr ein, dann zwitschern die Vögel noch eine Weile, dann ruft das Käuzchen und danach ist es mucksmäuschenstill. Auch für uns.
Am nächsten Morgen geht’s zurück auf der Landstraße, wo die Berge der Hohen Tatra näher rücken. Zügig fahren wir durch die Urlaubsorte bis nach Kežmarok. Die Deutschen nannten das mittelalterliche Schatzkästchen einst Käsmark, vieles aus jener Epoche ist erhalten geblieben. Auch das benachbarte Levoča, deutsch Leutschau, bewahrt wahrhafte Schätze auf, zum Beispiel den höchsten gotischen Altar der Welt.
Von hier bleibt nur die Hauptstraße, um auch der berühmten Zipser Burg einen Besuch abzustatten. Sie ist einer der größten Befestigungen in Europa, zu ihrer Blütezeit im 13. bis 15. Jahrhundert lebten bis zu 2000 Menschen in ihren Mauern. In ihrer Nachbarschaft liegt die ehemalige Kirchenstadt Zipser Kapitel mit einer Kirchenburg aus dem Jahr 1198. Beide zusammen sind seit 1993 UNESCO-Welterbestätten.
Ein paar Tage später geht’s zum Ausklang unserer Tour: Wir fahren aus der nahen Stadt Spišská Nová Ves mit der Bahn in die slowakische Sommerhauptstadt Banská Bystrica. Die Altstadt rund um den Hauptplatz mit ihren schmucken Renaissancehäusern ist eine reine Fußgängerzone. In den vielen Cafés, Pubs und Restaurants sitzen vor allem junge Leute, beinahe jeden Abend klimpern Gitarren oder ertönt ein Saxophon, und wenn nicht, gibt’s Musik aus der Konserve. Der Uhrturm oberhalb des Platzes neigt sich 68 cm aus dem Lot. Auch er bleibt nicht stumm, denn zu jeder vollen Stunde ertönt von hier ein anmutiges Glockenspiel.
Startpunkt ist am tschechischen Bahnhof Břeclav nahe der tschechisch-slowakischen Grenze (EC-Haltepunkt auf der Bahnstrecke Hamburg–Berlin–Dresden–Prag–Brno–Wien mit Fahrradmitnahme). Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten entlang der Strecke findet man im Reiseführer Slowakei.
Den genauen Streckenverlauf einschließlich der Kilometerangaben gibt es in diesem PDF. Zur besseren Orientierung stellen wir die GPS-Daten dazu ins Netz.