Das Städtchen Pont-Aven in der Bretagne ist vor allem für eines bekannt: Paul Gauguin lebte und malte hier eine Zeit lang Ende des 19. Jh. und entwickelte dabei seinen ganz eigenen Stil, später bekannt als Synthetismus. Noch heute zieht der idyllische Ort Künstler und Kunstinteressierte an. Marcus X. Schmid, Autor unseres Bretagne-Reiseführers, hat sich vor Ort auf die Spuren des Malers begeben.
„Nafea faa ipoipo“ ist Tahitianisch und heißt auf Deutsch „Wann heiratest Du?“ Es ist der Titel eines berühmten Gemäldes, das zwei junge polynesische Frauen zeigt. Paul Gauguin malte es 1892 während seines ersten Aufenthalts in der Südsee, ich sah es 2015 in der Basler Fondation Beyeler. Anschließend wurde das Bild noch in Madrid und Washington gezeigt; seit Februar 2016 hat es die Öffentlichkeit nicht mehr gesehen. Das farbenfrohe Werk war damals das teuerste auf dem Kunstmarkt verkaufte Bild. Der Kaufpreis belief sich je nach Quelle auf 200 bis 300 Millionen Dollar, die Gerüchteköche vermuten die staatlich finanzierten Museen von Katar als neue Besitzer.
Gauguins Gemälde, das diesen schwindelerregenden Preis auf dem Kunstmarkt erzielte, kommt mir stets in den Sinn, wenn ich im Städtchen Pont-Aven vor der Pension Gloanec stehe. Das Haus ist längst keine Pension mehr, nur die große Schrift über der Fensterfront erinnert noch an die Zeit, als die großherzige Marie-Jeanne Le Gloanec hier Künstler beherbergte, zu denen 1886 der ziemlich mittellose, damals 38-jährige Paul Gauguin stieß. Die Pension war für ihre spottbilligen Zimmerpreise bekannt, und die Künstler waren nicht auf Rosen gebettet. Aufgrund von Quellen darf man sich die Maler, die später als „Schule von Pont-Aven“ in die Kunstgeschichte eingingen, als eine wilde, trinkfeste, debattierfreudige, manchmal streitsüchtige Bande vorstellen. Und konnte einer die Zeche nicht begleichen, so durfte er auf „Mère Gloanecs“ Nachsicht zählen.
Gauguin, der Paris den Rücken kehrte und in der Bretagne das unverstellte, ländliche Leben suchte, fand sich bald im Mittelpunkt dieser Künstler, die mit Pinsel, Palette und Staffelei das Städtchen und die Umgebung durchstreiften. In Abkehr vom Impressionismus entwickelte er hier seinen eigenen Stil, der als „Synthetismus“ in die Kunstgeschichte einging: Wichtig sind Flächen und Konturen und vor allem kräftige, leuchtende Farben. „Wie sehen Sie diese Bäume? Gelb? Also los, malen Sie gelb, das kräftigste Gelb ihrer Palette, und dieser Schatten, ist er nicht eher blau? Nur Mut, malen Sie ihn so blau, wie Sie nur können! Und diese Blätter? Rot, nehmen Sie Zinnoberrot!“, riet er seinem Meisterschüler Paul Sérusier in einer seiner Malstunden, die er im nahen Wäldchen abzuhalten pflegte.
Pont-Aven mit seinen 2800 Einwohnern ist längst zum Gauguin-Städtchen geworden. Tagestouristen begeben sich auf die Spuren des Meisters, durchstreifen den Ort und seine Umgebung. Das Office de Tourisme hilft mit einem einschlägigen Ortsplan aus, und im Schatten Gauguins hoffen rund 80 Galerien und Ateliers mehr oder minder begnadeter Künstler, dass die Besucherscharen auch an zeitgenössischer Kunst interessiert sind. Abends leert sich das Städtchen – Zeit, noch anderes zu entdecken, zum Beispiel eine kurze, romantische Promenade, benannt nach Xavier Grall (1930–1981), einem rebellischen Journalisten, Poeten und Verfechter der bretonischen Autonomie. Dem bronzenen Medaillon mit seinem Porträt statte ich bei jedem Aufenthalt in Pont-Aven einen Besuch ab – und hinterher ab zu Luc ins „Mimosas“, der erst ein paar Austern hinstellt, bevor er mir einen Hummer serviert.
Und natürlich zähle auch ich mich zu den jährlich rund eine Million Besuchern des Kunstmuseums im Ortszentrum. Mit einem neuen museografischen Konzept ist es besucherfreundlicher geworden. Die berühmte „Schule von Pont-Aven“ wird unter den verschiedensten Aspekten thematisiert. Werke von Sérusier und anderen sind ausgestellt. Von Gauguin ist neben einer Serie von 11 Zinkätzungen einzig das Pastellgemälde „Zwei Köpfe von Bretoninnen“ zu sehen. Seine bretonischen Motive sind erschwinglich. Für die weit berühmteren tahitianischen Bilder hingegen werden heute auf dem internationalen Kunstmarkt Millionen hingeblättert. Da kann das Gauguin-Städtchen nicht mithalten. Doch in meinem Kopf sind sie da, die beiden polynesischen Frauen: „Nafea faa ipoipo“.