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Acquedotto pugliese – ein Jahrhundertprojekt
Teil 1: Der Weg des Wassers

Wasser bedeutet Leben. In Apulien, am Absatz des italienischen Stiefels, herrscht seit jeher Wassermangel, weil es dort selten regnet. Deshalb baute man dort einen Aquädukt von titanischen Ausmaßen, der das Wasser vom regenreichen Teil Italiens in die trockenen Regionen leitet. Begonnen wurde mit dem Bau 1906, heute ist der Apulische Aquädukt das größte Wasserleitungsprojekt Europas. Andreas Haller, der Autor unseres Apulien-Reiseführers, hat dem Bauwerk bei seiner letzten Recherchereise einen Besuch abgestattet und sich auf die Spur des Wassers begeben – und das buchstäblich, denn im ersten Teil der Reportage ist er mit dem Fahrrad auf der »Ciclovia dell’Acquedotto pugliese« unterwegs …

Autor Andreas Haller
Autor Andreas Haller
Ein weißes Schild, auf dem ein blauer Baum abgebildet ist und »acquedotto pugliese« zu lesen ist.
Signet der Verwaltung des Acquedotto Pugliese – Foto: Andreas Haller

Recherchetouren sind keine Urlaubsreisen. Dennoch bin ich heute in heiterer Ferienlaune. Ich sitze auf einem geliehenen Mountainbike und mache eine Tour durch das frühlingshafte Valle d’Itria. Die Gegend ist ein Touristenmagnet. Schuld daran sind zu einem nicht unwesentlichen Teil die Trulli: Die runden Steinhäuser mit den charakteristischen Kegeldächern haben sich wie der schwere Primitivo-Wein zu Markenbotschaftern entwickelt; sie sind weit über die Grenzen Apuliens hinaus ein Begriff.

Kleine Häuser mit einem runden, aus Steinen aufgetürmten Dach.
Trulli-Gehöft im Itria-Tal – Foto: Andreas Haller

Aber wegen Wein und Trulli-Bauten bin ich heute nicht auf das Rad gestiegen. Ich habe mich auf den Weg gemacht, um dem Weg des Wassers zu folgen. Momentan stehe ich staunend auf einer Brücke, die vielbogig eine weite Senke überspannt. Mit einer Länge von 559 m ist die Ponte Galante der größte Brückenviadukt im Itria-Tal. Wer sich nicht in den Sattel schwingt, erfährt in der Regel nichts von der Existenz des Viadukts. Pendler auf dem Weg von Martina Franca nach Ostuni unterqueren ihn zwar, haben aber gewöhnlich keine Vorstellung von seiner Bedeutung. Die Brücke gehört nämlich zum Apulischen Aquädukt, der großen apulischen Wasserleitung. In den Eingeweiden des Bauwerks, den Blicken entzogen, fließt frisches Wasser. Es hat seinen Ursprung im Apennin.

Brückenviadukt über einer grünen Wiese.
Brückenviadukt an der apulischen Wasserleitung – Foto: Andreas Haller

Regenarmut im Osten

An den Seiten des Brückenviadukts sind schmiedeeiserne Geländer angebracht, verziert mit filigranen Jugendstil-Elementen. Regelmäßig taucht ein stilisierter Olivenbaum auf, der in der Erde wurzelt. Die Felder in Apulien sind voller Olivenbäume, 20 % des italienischen Öls stammen vom Absatz des Stiefels. Ohne Wasser wäre dieser landwirtschaftliche Ertrag nicht möglich. Allerdings war Wasser in Apulien schon immer knapp, was daran liegt, dass die Natur bei der Verteilung der Ressourcen nicht immer gerecht verfährt. Auf der italienischen Halbinsel liegt nämlich die Wetterseite im Westen, am Tyrrhenischen Meer. Wenn sich Wolken am Kamm des Apennins stauen, regnet es. Die adriatische Seite ist dagegen notorisch trocken. Deshalb suchte man nach Mitteln und Wegen, um das kostbare Element von der einen auf die andere Seite des Stiefels umzuleiten.

Ein Mountainbike lehnt an einem schwarzen Geländer
Bogen und Welle: Jugendstil-Ornat trifft auf Mountainbike – Foto: Andreas Haller

Ein ingenieurtechnisches Meisterstück

1867 entwickelte der Ingenieur Cesare Brunetti einen kühnen Plan: Er beabsichtigte den Bau einer titanischen Wasserleitung und ließ sich dabei von ebenso kühnen Infrastrukturprojekten der alten Römer inspirieren. Sein Jahrhundertbauwerk zapfte die zur Region Kampanien gehörige Quelle des Sele an und leitete sein Wasser über einen 3 m breiten Kanal nach Südosten ins apulische Kernland. 1914 erreichte der Acquedotto pugliese nach 250 km die Hauptstadt Bari. Heute existiert in Apulien ein weit gespanntes Netz unterirdischer Kanäle. Vielerorts gibt es Brunnen mit der Aufschrift »Acquedotto pugliese«, die durstigen Kehlen Trinkwasser spenden. Ohne diese Wasserleitung stünde die Region längst nicht so proper da, wie sie sich größtenteils präsentiert. Eine vielköpfige Verwaltung wacht in der apulischen Hauptstadt über das sensible Konstrukt. In nächster Zeit werde ich ihr einen Besuch abstatten …

Ein metallener Deckel zwischen Pflastersteinen, auf dem »ACQUEDOTTO PUGLIESE« steht.
Allgegenwärtig: Acquedotto Pugliese – Foto: Andreas Haller

Zarter Beginn einer Verkehrswende?

Es ist frühsommerlich warm, weshalb ich in T-Shirt und kurzer Hose auf dem Rad sitze. Das Terrain ist hügelig. Es geht stetig auf und ab, der Schweiß bildet einen glänzenden Film auf der Haut. Die Piste gleicht einem dieser Bahndämme, die als stillgelegte Strecken zu Radwegen umfunktioniert wurden. Ich genieße die herrliche Landschaft mit den charakteristischen Trulli-Gehöften in idyllischer Alleinlage, einige verfallen, andere instandgesetzt und frisch gekalkt. Kein Motorengeräusch und Benzingeruch stören das Fahrvergnügen. Das verdient insofern eine Erwähnung, als der italienische Süden hinsichtlich Radinfrastruktur ein Entwicklungsland ist. Mehr noch als in Mitteleuropa steht in Italien das Automobil im Fokus der Verkehrsplaner. Eine Verkehrswende ist weit und breit nicht in Sicht. Umso überraschender, wenn man auf einen Radweg trifft, der obendrein auch noch dem State of the Art entspricht.

Blick auf dem Brückenviadukt den Radwanderweg entlang. Im Hintergrund sind Bäume zu sehen.
Der Radwanderweg führt über einen Brückenviadukt – Foto: Andreas Haller

Immer wieder mache ich mir bewusst, dass ich einem Kanal folge. Wünschelrutengänger können die Existenz verborgenen Wassers nachweisen, ich selbst nehme es nicht wahr. Der vollständige Radweg von der Quelle im Apennin bis zur Spitze der Salento-Halbinsel hat eine Länge von 477 km. Wenn er denn irgendwann mal fertig ist. Mein heutiger Radausflug gilt nämlich nur dem ersten fertiggestellten Teilstück. Nach nur 16 km ist leider schon wieder Schluss …

Ein Turm aus weißem Stein von einem Platz mit gelben Steinbögen fotografiert.
In Santa Maria di Leuca endet der Acquedotto Pugliese – Foto: Andreas Haller

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