»Ein Ausflug ins Jahr 5779«, »Viagra im Blumentopf« oder »Mit der Metro nach Hanoi« sind nur 3 von 33 Erlebnissen im Reiseführer von Renate Zöller, über den der »Westfälische Anzeiger« schreibt: »Sie erleben das Prag der Prager.« Darum geht es auch im folgenden Stadtabenteuer, das von einem Luxushotel erzählt. In den Kellern des Hauses befinden sich nämlich noch ein Atombunker und eine Abhöranlage, die zu Zeiten des Kalten Krieges im Einsatz waren. Beides kann man während einer Führung besichtigen
WO? Rechter Seiteneingang des Hotel Jalta +++ Václavské Námestí 45 +++ Metro A/B Mustek, Tram 1/3/5/6/9/14/24 Vodickova +++ WANN? Tägl. 14.30 Uhr, 16 Uhr und 17.30 Uhr in englischer Sprache +++ de.muzeum-studene-valky.cz +++ Für Gruppen Absprache unter Tel. 222 822 111 +++ WIE LANGE? Ca. 1 Stunde +++ WIE VIEL? 200 Kronen +++
PÜNKTLICH AUF DIE SEKUNDE betritt ein junger schneidiger Geheimdienstoffizier die Lobby des Hotel Jalta. Hinter der Glastür, die uns von dem edlen Restaurant des Hauses trennt, herrscht reges Treiben. Aber wir interessieren uns heute mehr für die Abgründe des Luxushotels. Dem Hotelpersonal sind wir daher offensichtlich etwas peinlich. Eilig winkt uns der Soldat zum Aufzug. Der Körper gestählt, die Haare ordentlich zur Seite gekämmt: Fast würde man Lada den Geheimdienstler abnehmen, schliche sich nicht ab und zu ein Lächeln auf sein Gesicht. Der 21-Jährige führt uns, 17 Neugierige, in die Kellergewölbe zehn Meter tiefer. Dort stehen wir vor der dicken Stahltür. Lada entriegelt die beiden riesigen Hebel. »Jetzt betreten wir den Atombunker des Hotel Jalta«, sagt er bedeutungsvoll. »Und sein finsteres Geheimnis.«
PRÄSIDENT ANTONÍN ZAPOTOCKÝ gab 1952 diesen ersten Atombunker
Tschechiens in Auftrag. Als Bauplatz bot sich eine Bombenlücke aus dem
Zweiten Weltkrieg an. 5.382 Quadratmeter, gesichert mit drei Meter
dickem Stahlbeton. Die Luft hätte im Ernstfall permanent mit einem
Carbonfilter gereinigt werden können. Lada bittet einen Mann, die große
Kurbel zu drehen. Mit höllischem Lärm setzt sich die Filter-Maschinerie
in Bewegung – auch heute noch funktioniert sie einwandfrei.
Wir
kommen ins Hauptquartier. Hier liefen sämtliche Informationen zusammen,
und von hier aus sollten die Befehle für den Bunker ausgegeben werden.
Lämpchen auf der Landkarte zeigen all die Bunkeranlagen der Republik.
Nur zwei Toiletten, aber unter dem Wohnbereich ein Wassertank mit 50.000
Litern. Rund 150 Menschen hätten hier zwei Wochen überlebt. Den Gestank
versuche ich mir lieber nicht vorzustellen. Für den Notfall gab es
mehrere Ausgänge.»Wer will einmal bis zum Wenzelsplatz krabbeln?«,
fragt Lada in der Krankenstation und zeigt auf einen engen Schacht.
Einladend sieht er nicht gerade aus, ich bin froh, dass zumindest noch
ein Mann vor mir ins Dunkel kriecht. Mit der Handytaschenlampe versuchen
wir die Leiter hoch zur Straße zu beleuchten, aber deren Ende ist nicht
zu sehen.
HINTER EINER WEITEREN STAHLTÜR befindet sich ein wahrer
»Giftschrank«, den das Hotel am liebsten bis heute geschlossen hielte.
An einer Wand hängt ein Plan mit rot, gelb und grün markierten
Rechtecken. Als ich näher hinschaue, erkenne ich die Zimmernummern des
Hotels. »Das ganze Jalta war komplett verwanzt«, sagt Lada lakonisch. Ob
Staatsgäste, ausländische Geschäftsleute oder die Deutsche Botschaft,
die von 1960 bis in die 70er-Jahre im zweiten Stock residierte, alle
waren sie bis in die Toiletten abgehorcht worden. Lada verrät: »Selbst
der Schuhputzer unten im Foyer hatte ein kleines Mikrofon in seiner
Bürste.«
Das Personal oben hatte von diesen Kelleraktivitäten keine
Ahnung, der Zutritt war verboten. Nur sehr wenige Eingeweihte wussten,
was dort unten geschah. Als ein paar Verwegene sich 1998 endlich doch
hinunterwagten, hatte die Staatssicherheit längst sämtliche Dokumente
und Spuren vernichtet. An die Gesichter der Spione konnte sich niemand
erinnern. Die verschwanden immer unauffällig im Seiteneingang. So wie
wir vorhin.
WENN MAN SCHON MAL HIER IST:
Das Jalta befindet sich auf der oberen Hälfte des Wenzelsplatzes. In der
Jindrišská weiter unten liegt die Hauptpost Prags. Der bemalte, gläsern
überdachte Neorenaissance-Innenhof ist eine echte Überraschung. Die
Zentrale der Rohrpost, mit der Franz Kafka Briefe an Max Brod schickte,
ist immer noch intakt.
Ein paar Häuser weiter erreicht man den
spätgotischen Heinrichsturm (Jindrišská vež). Unterm Dach gibt es ein
Glockenspiel, das nur im Inneren zu hören ist.