Abseits der Routen

Teil 42: Elsass
Gämsenbeobachtung am Hohneck

Die Vogesen, der Gebirgskamm zwischen dem Elsass und Lothringen, sind ein hervorragendes Wandergebiet. Unser Autorenpaar Antje und Gunther Schwab, das neben mehreren Reiseführern zu griechischen Inseln auch den Elsass-Reiseführer verfasst hat, kennt sich in der Gegend bestens aus und hat sich eine ganz besondere Tour vorgenommen: Es geht zum dritthöchsten Berg der Vogesen, an dessen Hängen sich mit etwas Glück Gämsen beobachten lassen ...

Autorin Antje Schwab<br>
Autorin Antje Schwab
Autor Gunther Schwab<br>
Autor Gunther Schwab

Es ist 4 Uhr an einem Morgen im Juli, als der Wecker uns aus dem Schlaf reißt. Stockdunkle Nacht, überall tiefe Stille. Doch wir schütteln die Müdigkeit rasch ab und beeilen uns, in die Kleider zu schlüpfen. Zwiebellook ist angesagt: T-Shirt, Hemd, Pulli, Windjacke. Denn oben auf dem Vogesenkamm ist es so früh am Morgen auch im Sommer kalt, nach Sonnenaufgang wird die Temperatur dann schnell steigen.

Sonnenaufgang am Hohneck
Sonnenaufgang am Honeck – Foto: Antje und Gunther Schwab

Von Munster fahren wir auf der kurvenreichen D 417 in etwa einer halben Stunde zum Col de la Schlucht hinauf. Von dort ist es nicht mehr weit zur Auberge du Pied du Hohneck an der Route des Crêtes. Ein schmales Sträßchen führt hoch zum Parkplatz unterhalb des 1363 m hohen Gipfels des Hohnecks, des dritthöchsten Bergs der Vogesen. So geräuschlos wie möglich steigen wir, bewaffnet mit Kameras und Teleobjektiven, zur Aussichtsplattform hinauf – und schon haben wir sie im schummrigen Dämmerungslicht an der östlichen Hangseite entdeckt: eine Herde von etwa zwei Dutzend Gämsen.

Gämsen sind Herdentiere
Gämsen sind Herdentiere – Foto: Antje und Gunther Schwab

Die Tiere lassen sich das zarte Gras auf den Hautes Chaumes, den saftigen Wiesen, schmecken. Vorsichtig nähern wir uns und machen die ersten Bilder, zunächst noch mit einem hohen ISO-Wert. Bald schon färbt sich der Himmel über der Rheinebene rosarot, die aufgehende Sonne taucht die Landschaft in ein warmes Licht und bringt einen wunderbaren Glanz in das Fell der hübschen Tiere.

Wunderbar leuchtet das Fell bei Sonnenaufgang
Wunderbar leuchtet das Fell bei Sonnenaufgang – Foto: Antje und Gunther Schwab

Obwohl wir frösteln, verhalten wir uns vollkommen ruhig, bewegen uns kaum, um die scheuen Gämsen hier in ihrem Lebensraum nicht zu stören. Mit Erfolg, sie scheinen uns kaum wahrzunehmen, nur ab und zu schaut eines der Tiere zu uns herüber. Nichts ist zu hören außer den Geräuschen, die sie von sich geben, wenn sie das Gras abreißen, ein paar Sprünge machen oder auch mal kurz mit ihren Hörnern aufeinander losgehen. So still ist es, dass man die Kirchenglocken von unten im Tal hört. Doch nach einiger Zeit zerreißt die Stille abrupt, als plötzlich der Motor eines Autos am Parkplatz angelassen wird. Bewegung kommt in die Gruppe, die ersten Gämsen springen davon, dann ziehen sich weitere Tiere zurück in Richtung der südlich gelegenen Steilabhänge. Ein paar mutige bleiben zunächst noch in Gipfelnähe, doch bald sind auch sie verschwunden.

Gämse in ihrer natürlichen Umgebung
Gämse in ihrer natürlichen Umgebung – Foto: Antje und Gunther Schwab

Den ganzen Tag über werden die Kletterkünstler sich nun an den bewaldeten Steilhängen bzw. in den Felswänden um den Hohneck herum aufhalten, schließlich können sie sich mit ihren flexiblen Hufen und gummiartigen Sohlen auch in extrem steilem Gelände sicher bewegen. Vor allem die frühen Morgen- und Abendstunden nutzen die Tiere zur Nahrungsaufnahme, weshalb die Gämsen kurz vor Sonnenuntergang wieder aus ihren Rückzugsgebieten hervorkommen, um das saftige Gras auf den Wiesen zu verspeisen. Damit ist der Hohneck bei angepasster Verhaltensweise ein einzigartiger Platz für die Begegnung von Mensch und Wildtier, und bei einigermaßen trockenem Wetter ist der Sichtungserfolg sowohl morgens als auch abends beachtlich. Wichtig ist, dass man auch hier immer auf den Wegen bleibt, um die Tiere nicht unnötigerweise zu stressen.

Eines der Rückzugsgebiete der Gämsen
Eines der Rückzugsgebiete der Gämsen – Foto: Antje und Gunther Schwab

Das Vorkommen der Gämsen in den Vogesen ist übrigens auf die Initiative von Jägern zurückzuführen, die hier 1956 elf Tiere aus dem Schwarzwald und später fünf Exemplare aus dem Hochsavoyen ausgesetzt haben, nachdem die natürlichen Bestände schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg durch Überjagung bzw. Wilderei nahezu ausgelöscht waren. Heute sind Gämsen in den gesamten Vogesen von der Burgundischen Pforte bis Phalsbourg nahe Saverne verbreitet, ihr derzeitiger Bestand wird auf etwa 2000 Tiere geschätzt. Damit vor allem im Winter die Verbissschäden an den Bäumen nicht überhandnehmen, wird die Anzahl der Tiere durch Abschusspläne gezielt kontrolliert.

Zur Nahrungsaufnahme kommen die Gämsen auf die saftigen Wiesen rund um den Hohneck
Zur Nahrungsaufnahme kommen die Gämsen auf die saftigen Wiesen rund um den Hohneck – Foto: Antje und Gunther Schwab

Reisepraktische Tipps:

Als Übernachtungsorte für diese Exkursion bieten sich die Unterkünfte im elsässischen Munster oder im lothringischen Géradmer an. Besonders nahe am Hohneck liegen ein paar kleinere Hotels bzw. Fermes Auberges mit mehr oder weniger komfortablen Fremdenzimmern: hotel-du-chalet.com, auberge-des-trois-fours.com, pied-du-hohneck.fr, auberge-schmargult.fr, um nur einige zu nennen.

Gämse im Morgenlicht
Gämse im Morgenlicht – Foto: Antje und Gunther Schwab

Wer nicht allein unterwegs sein möchte, kann die Tour mit einem sog. Greeter des Office de Tourisme Munster buchen, einem Einheimischen, der sich mit dem Thema Gämsen besonders gut auskennt. Und nicht zuletzt werden von vielen Anbietern zahlreiche Fotoworkshops bzw. Fotoreisen mit dem Schwerpunkt Gämsen in den Vogesen angeboten.

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