Top Ten

Teil 44: Oberitalienische Seen
»Seensuchtsorte« in Norditalien

Über dreihundert Gewässer hat man im Norden Italiens gezählt, vom kleinen, türkisfarbenen Bergsee bis zum mächtigen »Gardameer«. Reisende haben also die Qual der Wahl. Hier verrät Eberhard Fohrer, Autor des Reiseführers Oberitalienische Seen, seine persönlichen Favoriten – vielleicht eine kleine Anregung für den nächsten Urlaub im Land der »Seensucht« …

Autor Eberhard Fohrer<br>
Autor Eberhard Fohrer

Eberhard Fohrers Top Ten

1. Lago di Molveno: Glasklar, kalt und bildschön

Pittoresk liegt der Trentiner See in knapp 900 m Höhe am Fuß der Brenta-Dolomiten. Ent­standen durch einen gewaltigen Erdrutsch vor etwa 3000 Jahren, zählt er seit Langem zu den saubersten Seen in Ober­ita­lien und ist besonders fischreich. Für einen reinen Badeurlaub ist er wohl nicht die erste Wahl, da­für ist er mit maximal 18 Grad einfach ein bisschen zu kalt, bietet jedoch viel­fäl­tige Möglichkeiten für ei­nen Aktiv­urlaub: Die Ora bläst mit der gleichen Re­gel­mä­ßig­keit – wenn auch nicht ganz so kräftig – wie am Gardasee und prä­des­tiniert Mol­ve­no als Segel- und Surf­revier mit gut gefüll­tem Re­gat­ten­ka­len­der. Zu Fuß kann man den See in etwa 3 Std. um­run­den, und auch mit dem Bike ist das gut möglich. Die umlie­gen­den Berge sind mit ihrem dichten Netz von Hütten (von Juni bis Sep­tem­ber bewirt­schaf­tet) ein ausgezeichnetes Moun­tain­bike-, Wander- und Klet­ter­ge­biet. Und schließ­lich hat sich Mol­ve­no dank der Hoch­ebene Alto­pia­no di Pradel in 1350 m Höhe auch zum Dorado der Pa­ra­glider entwickelt.

Blick vom Ufer auf den Lago di Molveno mit Bergen im Hintergrund
Der Lago di Molveno ist etwas zu frisch zum Baden – Foto: Eberhard Fohrer

2. Monte Baldo: Auf dem Dach des Gardasees

Mit über 2000 m Höhe, 37 km Länge und bis zu 11 km Breite ist der Monte Bal­do das größte und höchste Bergmassiv am Lieblingssee aller Süddeutschen, lang gestreckt und mäch­tig flankiert er die gesamte obere Hälfte des Gardasee-Ost­ufers. In der Eis­zeit ragte er aus dem um­ge­benden Glet­scher­meer heraus, war oberhalb von 1200 m nie von Eis bedeckt. Seine Hänge gel­ten als Pflan­zen­­pa­radies – was hier wächst, hat teil­weise Ur­sprünge, die Jahr­­mil­lio­nen zu­rück­reichen, »Bo­ta­ni­scher Gar­­ten Ita­liens« wird er des­halb auch ge­nannt. Eine Fahrt mit der Kabinenbahn von Malcesine zum Gipfel Tratto Spino (»Dornbusch«) in 1760 m Hö­he ist ein Erlebnis. Oben angelangt, ist die Sicht fast unbe­schreiblich: Tief un­ten liegt das blaue Band des Sees, eingebettet in majestätische Berg­ket­ten, die bis zum Ho­rizont reichen. Bun­­te Farbtupfer setzen oft die zahl­reichen Gleitschirmflieger, die die her­vor­ragende Thermik an den Hängen des Monte Baldo nutzen und lang­sam zum See hinunterkreisen.

Eine Wandergruppe auf dem Monte Baldo mit Ausblick auf den Gardasee
Wunderbare Sicht auf den Gardasee – Foto: Eberhard Fohrer

Wenn man von der Seilbahnstation nach Norden geht, kommt man auf eine lang ge­streckte Bergwiese, die Colma di Mal­ce­si­ne, wo man sich im Gasthof »La Ca­pan­­ni­na« auf Sitzsäcken und in Lie­ge­stühlen bräu­nen lassen kann. Wanderer finden zahlreiche Möglichkeiten in allen Richtungen – beliebt, aber anstrengend, weil durchweg steil, ist der Abstieg nach Malcesine (ca. 4:30 Std.), bis zur Mittelstation der Seilbahn sind es nur etwa 3 Std.

Grüne Bergwiese mit zwei Hütten und vereinzelt Menschen auf dem Weg
Traumhafte Bergwiese – Foto: Eberhard Fohrer

3. Strada della Forra und Schauderterrassen: Nervenkitzel überm See

Oberhalb der Steilfelsen von Campione del Garda am Westufer thront die weite hügelige Hoch­­fläche von Tremosine. 17 Dörfer lie­gen in der üppig grünen Landschaft am Fuß meh­rerer Zweitausender. Ihr alpiner Cha­rak­ter bil­det ei­nen anregen­den Kon­trast zu den Seeufern – der große Tru­­bel fin­det nicht statt, und die Un­ter­künfte sind preiswerter als un­ten. Zwei Anfahrtswege führen hinauf: Zum einen kann man bereits in Limone von der Uferstraße »Gar­desana Occidentale« abzweigen (ca. 5 km) – dies ist die längere, aber deut­lich einfachere Option. Zum anderen zweigt etwa 2 km nördlich von Campi­one die »Strada della Forra« (Straße der Schlucht) ins Dorf Pieve ab, erbaut schon vor über hun­dert Jahren, womit eine Verbindung zum Porto di Tremosine und zur damaligen Baum­woll­spin­­nerei von Cam­pio­ne ermöglicht wur­de, in der viele Einwohner arbeiteten.

Blick von der Straße den Abhang hinunter auf eine schmale Serpentinenstraße
Blick von oben auf die Serpentinen – Foto: Eberhard Fohrer

Diese Variante hat es in sich: In engen Serpentinen win­det sich die aben­­teuer­lich schmale Stra­­ße steil hin­auf, es geht die Brasa-Schlucht entlang, durch zahl­reiche Tun­­nels und an einem Was­­ser­­fall vor­bei – sehr vorsichtig fah­ren und auf den Gegenverkehr achten, denn nicht überall haben zwei Autos genügend Platz nebenein­an­der. Wer sich zunächst mit einem Blick von außen begnügen will: Einen cineas­ti­schen Eh­ren­platz hat die spektakuläre Schluchtstraße im James-Bond-Film »Ein Quantum Trost« ge­fun­den ... Oben angekommen, erreicht man das Dorf Pieve di Tremosine, das von seiner spektakulären Lage am Rand der Steil­felsen lebt, die hier senkrecht zum See­ufer ab­fallen. Obligatorischer Stopp ist das Res­­­tau­rant »Miralago« – fast 400 m über dem Gar­­da­see ist sein Speisesaal direkt über die schwin­deln­de Höhe gebaut! Neben dem Lokal gibt es auch eine Be­su­cher­platt­form, wo man das Pano­ra­ma kostenfrei ge­nießen kann. Und etwas au­ßer­halb lockt das Hotel „Paradiso« mit seiner le­gen­dären »Ter­raz­za del Bri­­­vido« (Schauder­terrasse).

Zwei Autos stehen nebeneinander an einer Engstelle mit Felswand
Gerade so passen zwei Autos nebeneinander – Foto: Eberhard Fohrer

Anmerkung: Die Strada della Forra ist seit Ende 2023 wegen eines Felssturzes gesperrt. (Stand Juni 2024)

4. Monte Isola: Der Berg im See

Angenommen, Sie haben die Gelegenheit, die Alpen auf einem Flug nach Bergamo zu überqueren, und erfreuen sich klarer Sicht – dann werden Sie beim Landeanflug einen vielleicht unvergesslichen Blick auf die größte bewohnte Seeinsel Europas genießen können. Wie ein wuchtiger Klotz liegt die Monte Isola – treffender könnte der Name nicht sein – im Iseo-See und nimmt gefühlt einen Großteil der Wasserfläche ein. Mächtig, hoch aufragend und dicht begrünt ist die Insel, aus der Luft wirkt sie majestätisch einsam, fast verschwinden die kleinen Uferorte in der Natur. Der Besuch ist natürlich ein Muss, kleine Fähren fahren im Viertelstundentakt hinüber, drüben gibt es bis auf einige Pendelbusse keine Autos, man geht zu Fuß oder nimmt ein Rad, die Einheimischen knattern mit Rollern vorbei.

Ein Paar macht eine Auszeit am Ufer des Sees, ihre Fahrräder liegen daneben im Gras
Eine kurze Pause muss auch mal sein – Foto: Eberhard Fohrer

Zur Inselspitze in 600 m Höhe wandert man vom Hauptort Peschiera Maraglio nicht viel länger als eine Stunde, oben thront das Santuario della Madonna della Ceriola mit großartigem Blick über den See. Souvenir gefällig? Monte Isola war früher das Zentrum der italienischen Netzweberei, und auch heute arbeitet in Peschiera Maraglio noch ein Betrieb, der für die Touristen handgeknüpfte Hängematten herstellt.

Ein Mann knüpft Netze, die später zu Hängematten werden
Handgeknüpfte Hängematten gibt es in Peschiera Maraglio – Foto: Eberhard Fohrer

5. Varenna: Perle des Comer Sees

»La perla del Lago di Como« – so wird das kleine Örtchen in der Mitte des Ostufers gerne genannt. Und tatsächlich, im idyllischen Bilderbuchhafen Porticciolo sitzt man wunderschön in mehreren traumhaft gelegenen Cafés und kann auch schon mal ins Wasser hüpfen. Größte Sehenswürdigkeit ist die Villa Monastero, ein ehemaliges Kloster am Seeufer, dessen prachtvoller Garten sich am See­ufer fast 1 km weit nach Süden zieht. Seine Anlage, mit der schon vor Jahrhun­der­ten begonnen wurde, verwandelte das Steilufer in ein botanisches Para­dies. Überragt wird Varenna vom trutzigen Castello di Vezio, von dessen oberster Plattform man bei klarem Wetter einen unvergleichlichen Blick über alle drei Arme des Comer Sees genießt.

Blick auf eine Statue des ehemaligen Klosters am Seeufer
Die Villa Monastero direkt am Seeufer – Foto: Eberhard Fohrer

6. Bellagio: Ein Hauch von Belle Époque

Das ehemalige Fischerdörf­chen im geografischen Zentrum des Comer Sees ist auch das touristische Zentrum am See. Große Hotels mit klang­vol­len Namen nutzen bereits seit dem 19. Jh. die wundervolle Lage (Bel­lagio = bello lago, schöner See) an der Spitze zwi­schen den beiden Seearmen, um Prominenz anzuziehen – Kaiserin Sisi, der Musiker Franz Liszt, Charlie Chaplin, John F. Kennedy und Michael Schumacher waren nur einige der namhaften Gäste. Liszt soll hier 1837 als 25-Jähriger fünf Monate zusammen mit der sechs Jahre älteren, verheirateten Gräfin Marie d’Agoult verbracht haben. Im Novem­ber desselben Jahres kam ihre gemein­same Tochter Cosima zur Welt, die Jahrzehnte später Richard Wagner heiratete. Am Seeufer steht die Villa Melzi aus napole­onischer Zeit. Ein Bummel durch die großzü­gige, auf meh­re­ren Ebenen angelegte Garten­anlage ist ein Genuss, man passiert herr­lichste Aza­leen, Rhododendren und Riesenalpenrosen, mächtige Sequoia-Bäume und turmhohe Zypressen, verspielte Teiche und an­tike Statuen, dazu genießt man stets besten Seeblick. Für US-Amerikaner gilt das schöne Bellagio als Inbegriff von »Good old Europe« – die Verehrung ging dort so weit, dass man Bellagio in Las Vegas nach­baute und die Kopie in einem 36-stöckigen Hotelkomplex gleichen Namens unter­bringen ließ, samt künstlichem See daneben.

Eine Fähre auf dem Comer See mit Bergen im Hintergrund
Idyllischer Blick auf den Comer See – Foto: Eberhard Fohrer

7. Villa del Balbianello: Schöner Wohnen

Böse Zungen sagen, dass Kirchenfürsten immer schon gerne weltliche Genüsse für sich in Anspruch nahmen. Und tatsächlich, attraktiver kann man kaum wohnen als in der einstigen Kardinalsvilla am Westufer des Comer Sees. Wie ein anmutiges Schlösschen schmiegt sich die prächtige Villa ans bewaldete Ufer. Die mit historischem Mobiliar opulent ausgestatteten Innenräume der 6-stöckigen Villa können mit Führung durch den FAI (Fondo per l’Ambiente Italiano) besichtigt werden, der schon zahlreiche historische Bauten in Italien restauriert und der Öffentlichkeit zu­gänglich gemacht hat. Im obersten Geschoss hat der Abenteurer und letzte private Besitzer Guido Mon­zino eine große Sammlung von Expeditionsstücken eingerichtet, u. a. unternahm er eine Reise zum Nordpol. Die Villa ist mittlerweile so beliebt, dass der Eintritt vorab online gebucht werden sollte.

Auf der Terrasse der Villa steht eine Frauenstatue aus Stein
Auf der Terrasse der Villa Balbianello – Foto: Eberhard Fohrer

8. Feriolo: Adriafeeling am Lago

Nein, wir sind nicht an der Adria – man könnte es aber tatsächlich meinen, wenn man an einem warmen Sommertag den flach ins Wasser abfallenden Sandstrand beim kleinen Örtchen Feriolo entlangschlendert und den Blick über den tiefblauen See schweifen lässt. Der Lago Maggiore zeigt sich hier von seiner besten Seite, und vor allem Campingfreunde haben die Region um die Mündung des Flusses Toce schon lange entdeckt, denn hier liegen einige der besten Zeltplätze am See. Viel gelobt wird vor allem »Village Isolino« mit mehreren Badebuchten und großer Poolanlage, doch auch der Platz »Orchidea« lohnt den Aufenthalt, liegt er doch direkt am Strand. Zu entdecken gibt es natürlich auch einiges, denn die Uferregion um den Toce ist das größte Feucht- und Schilfgebiet am Lago Maggiore, und ein Radweg führt am Fluss mit schönen Badegumpen entlang bis ins 25 km entfernte Städtchen Domodossola.

Ein Sandstrand mit Palme und Badegästen am Seeufer
Fast wie am Meer – Foto: Eberhard Fohrer

9. Isole Borromee: Gesamtkunstwerk im Lago Maggiore

In der Mitte des großen Sees liegen drei Inseln so perfekt platziert, wie sie ein Künstler nicht besser hätte arrangieren können. Von Stresa und Baveno ist man per Motorboot oder Linienschiff in wenigen Minuten drüben – ein Vergnügen, dass man sich in der Hauptsaison allerdings mit zahllosen Besuchern aus aller Welt teilt. Die Isola Bella ist von Stresa aus die nächste und meist­be­such­te. Im 17. Jh. ließ Carlo III. aus dem Geschlecht der Borro­mäer auf der kah­len Felseninsel einen imposanten Barockpalast mit pracht­vollen Gar­ten­an­la­gen erbauen. Er benannte ihn nach sei­ner Frau Isa­bella, woraus schließ­lich „Iso­la Bella« wurde. Gerne vergleicht man die Insel mit einem vor Anker lie­genden Schiff: Das Nordende ragt wie ein schma­ler Bug in den See, der Palast thront darauf wie ein mächtiger Aufbau, und die Gar­ten­terras­sen am anderen Ende sind das hohe Heck. Ein Rundgang gewährt Einblicke in den Lebensstil des Adels. Die zahl­rei­chen Säle und Wandelhallen des Palasts be­her­ber­gen barocken Prunk vom Feinsten und einen schier über­wäl­tigenden Reichtum an Ge­mäl­den, zusammengetragen durch die kunst­liebenden Borromäer. Die üppigen Gärten sind mit Statu­en, Brun­nen und Beeten aus Aza­leen, Magnolien und Kamelien in zehn Ter­ras­sen über­einander an­ge­legt. An der Spitze prunkt ein reich ver­zierter Steinbau mit Grotten, Muscheln und bizarren Plas­ti­ken aus der Mytho­logie, darunter das Ein­horn, das Wap­pen­tier der Borro­mäer. Weiße Pfauen, bereits angesiedelt von den Bor­ro­mä­ern, laufen unbefangen zwischen den Be­suchern umher.

Blick auf die Isola Bella im Lago Maggiore
Die perfekt platzierte Isola Bella – Foto: Eberhard Fohrer

10. Rocca di Angera: Stolze Burg, Fresken und filigrane Puppen

Dominant und weithin sichtbar thront am Südende des Lago Maggiore die schönste und größte Burg am See über dem Städtchen Angera. Die Adelsfamilie der Borromäer erwarb sie 1449, und bis heute ist sie in ihrem Besitz. Der Besuch der bestens restaurierten Gemäuer lohnt sich nicht nur wegen der freskenbemalten Innenräume und -säle: Ein besonderes Highlight ist das weitläufige Puppenmuseum Mu­seo della Bam­bo­le e del Giacattolo, das aus der ehe­ma­ligen Privat­samm­lung einer borromäischen Prin­zes­sin hervor­gegangen ist und die größte Sammlung ihrer Art in Euro­pa ist. Ausgestellt sind his­torische Puppen aus Holz, Wachs und Por­zellan (u. a. aus Deutschland, dem Val Gar­­dena/​Grö­d­ner Tal und aus Frank­reich), Pup­pen­stuben und -mobiliar, Steiff­tiere, Spiel­­zeug und Kin­der­klei­dung aus ver­­schie­de­nen Epochen und Kulturen, zusätz­lich auch »Bambole del Mondo«, also Stücke aus aller Welt sowie die ersten sich auto­matisch bewegenden Puppen aus der Zeit zwischen 1880 und 1920 (originell z. B. die alte Dame »Vecchia che fa pipì«). Beim Rundgang staunt man immer wieder über die liebevolle Akribie und Detailgenauig­keit, mit der diese Meisterwerke hergestellt wur­den.

Eine Burg thront über der kleinen Stadt Angera und dem Lago Maggiore
Ein Besuch der Burg lohnt sich – Foto: Eberhard Fohrer

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