Über dreihundert Gewässer hat man im Norden Italiens gezählt, vom kleinen, türkisfarbenen Bergsee bis zum mächtigen »Gardameer«. Reisende haben also die Qual der Wahl. Hier verrät Eberhard Fohrer, Autor des Reiseführers Oberitalienische Seen, seine persönlichen Favoriten – vielleicht eine kleine Anregung für den nächsten Urlaub im Land der »Seensucht« …
Pittoresk liegt der Trentiner See in knapp 900 m Höhe am Fuß der Brenta-Dolomiten. Entstanden durch einen gewaltigen Erdrutsch vor etwa 3000 Jahren, zählt er seit Langem zu den saubersten Seen in Oberitalien und ist besonders fischreich. Für einen reinen Badeurlaub ist er wohl nicht die erste Wahl, dafür ist er mit maximal 18 Grad einfach ein bisschen zu kalt, bietet jedoch vielfältige Möglichkeiten für einen Aktivurlaub: Die Ora bläst mit der gleichen Regelmäßigkeit – wenn auch nicht ganz so kräftig – wie am Gardasee und prädestiniert Molveno als Segel- und Surfrevier mit gut gefülltem Regattenkalender. Zu Fuß kann man den See in etwa 3 Std. umrunden, und auch mit dem Bike ist das gut möglich. Die umliegenden Berge sind mit ihrem dichten Netz von Hütten (von Juni bis September bewirtschaftet) ein ausgezeichnetes Mountainbike-, Wander- und Klettergebiet. Und schließlich hat sich Molveno dank der Hochebene Altopiano di Pradel in 1350 m Höhe auch zum Dorado der Paraglider entwickelt.
Mit über 2000 m Höhe, 37 km Länge und bis zu 11 km Breite ist der Monte Baldo das größte und höchste Bergmassiv am Lieblingssee aller Süddeutschen, lang gestreckt und mächtig flankiert er die gesamte obere Hälfte des Gardasee-Ostufers. In der Eiszeit ragte er aus dem umgebenden Gletschermeer heraus, war oberhalb von 1200 m nie von Eis bedeckt. Seine Hänge gelten als Pflanzenparadies – was hier wächst, hat teilweise Ursprünge, die Jahrmillionen zurückreichen, »Botanischer Garten Italiens« wird er deshalb auch genannt. Eine Fahrt mit der Kabinenbahn von Malcesine zum Gipfel Tratto Spino (»Dornbusch«) in 1760 m Höhe ist ein Erlebnis. Oben angelangt, ist die Sicht fast unbeschreiblich: Tief unten liegt das blaue Band des Sees, eingebettet in majestätische Bergketten, die bis zum Horizont reichen. Bunte Farbtupfer setzen oft die zahlreichen Gleitschirmflieger, die die hervorragende Thermik an den Hängen des Monte Baldo nutzen und langsam zum See hinunterkreisen.
Wenn man von der Seilbahnstation nach Norden geht, kommt man auf eine lang gestreckte Bergwiese, die Colma di Malcesine, wo man sich im Gasthof »La Capannina« auf Sitzsäcken und in Liegestühlen bräunen lassen kann. Wanderer finden zahlreiche Möglichkeiten in allen Richtungen – beliebt, aber anstrengend, weil durchweg steil, ist der Abstieg nach Malcesine (ca. 4:30 Std.), bis zur Mittelstation der Seilbahn sind es nur etwa 3 Std.
Oberhalb der Steilfelsen von Campione del Garda am Westufer thront die weite hügelige Hochfläche von Tremosine. 17 Dörfer liegen in der üppig grünen Landschaft am Fuß mehrerer Zweitausender. Ihr alpiner Charakter bildet einen anregenden Kontrast zu den Seeufern – der große Trubel findet nicht statt, und die Unterkünfte sind preiswerter als unten. Zwei Anfahrtswege führen hinauf: Zum einen kann man bereits in Limone von der Uferstraße »Gardesana Occidentale« abzweigen (ca. 5 km) – dies ist die längere, aber deutlich einfachere Option. Zum anderen zweigt etwa 2 km nördlich von Campione die »Strada della Forra« (Straße der Schlucht) ins Dorf Pieve ab, erbaut schon vor über hundert Jahren, womit eine Verbindung zum Porto di Tremosine und zur damaligen Baumwollspinnerei von Campione ermöglicht wurde, in der viele Einwohner arbeiteten.
Diese Variante hat es in sich: In engen Serpentinen windet sich die abenteuerlich schmale Straße steil hinauf, es geht die Brasa-Schlucht entlang, durch zahlreiche Tunnels und an einem Wasserfall vorbei – sehr vorsichtig fahren und auf den Gegenverkehr achten, denn nicht überall haben zwei Autos genügend Platz nebeneinander. Wer sich zunächst mit einem Blick von außen begnügen will: Einen cineastischen Ehrenplatz hat die spektakuläre Schluchtstraße im James-Bond-Film »Ein Quantum Trost« gefunden ... Oben angekommen, erreicht man das Dorf Pieve di Tremosine, das von seiner spektakulären Lage am Rand der Steilfelsen lebt, die hier senkrecht zum Seeufer abfallen. Obligatorischer Stopp ist das Restaurant »Miralago« – fast 400 m über dem Gardasee ist sein Speisesaal direkt über die schwindelnde Höhe gebaut! Neben dem Lokal gibt es auch eine Besucherplattform, wo man das Panorama kostenfrei genießen kann. Und etwas außerhalb lockt das Hotel „Paradiso« mit seiner legendären »Terrazza del Brivido« (Schauderterrasse).
Anmerkung: Die Strada della Forra ist seit Ende 2023 wegen eines Felssturzes gesperrt. (Stand Juni 2024)
Angenommen, Sie haben die Gelegenheit, die Alpen auf einem Flug nach Bergamo zu überqueren, und erfreuen sich klarer Sicht – dann werden Sie beim Landeanflug einen vielleicht unvergesslichen Blick auf die größte bewohnte Seeinsel Europas genießen können. Wie ein wuchtiger Klotz liegt die Monte Isola – treffender könnte der Name nicht sein – im Iseo-See und nimmt gefühlt einen Großteil der Wasserfläche ein. Mächtig, hoch aufragend und dicht begrünt ist die Insel, aus der Luft wirkt sie majestätisch einsam, fast verschwinden die kleinen Uferorte in der Natur. Der Besuch ist natürlich ein Muss, kleine Fähren fahren im Viertelstundentakt hinüber, drüben gibt es bis auf einige Pendelbusse keine Autos, man geht zu Fuß oder nimmt ein Rad, die Einheimischen knattern mit Rollern vorbei.
Zur Inselspitze in 600 m Höhe wandert man vom Hauptort Peschiera Maraglio nicht viel länger als eine Stunde, oben thront das Santuario della Madonna della Ceriola mit großartigem Blick über den See. Souvenir gefällig? Monte Isola war früher das Zentrum der italienischen Netzweberei, und auch heute arbeitet in Peschiera Maraglio noch ein Betrieb, der für die Touristen handgeknüpfte Hängematten herstellt.
»La perla del Lago di Como« – so wird das kleine Örtchen in der Mitte des Ostufers gerne genannt. Und tatsächlich, im idyllischen Bilderbuchhafen Porticciolo sitzt man wunderschön in mehreren traumhaft gelegenen Cafés und kann auch schon mal ins Wasser hüpfen. Größte Sehenswürdigkeit ist die Villa Monastero, ein ehemaliges Kloster am Seeufer, dessen prachtvoller Garten sich am Seeufer fast 1 km weit nach Süden zieht. Seine Anlage, mit der schon vor Jahrhunderten begonnen wurde, verwandelte das Steilufer in ein botanisches Paradies. Überragt wird Varenna vom trutzigen Castello di Vezio, von dessen oberster Plattform man bei klarem Wetter einen unvergleichlichen Blick über alle drei Arme des Comer Sees genießt.
Das ehemalige Fischerdörfchen im geografischen Zentrum des Comer Sees ist auch das touristische Zentrum am See. Große Hotels mit klangvollen Namen nutzen bereits seit dem 19. Jh. die wundervolle Lage (Bellagio = bello lago, schöner See) an der Spitze zwischen den beiden Seearmen, um Prominenz anzuziehen – Kaiserin Sisi, der Musiker Franz Liszt, Charlie Chaplin, John F. Kennedy und Michael Schumacher waren nur einige der namhaften Gäste. Liszt soll hier 1837 als 25-Jähriger fünf Monate zusammen mit der sechs Jahre älteren, verheirateten Gräfin Marie d’Agoult verbracht haben. Im November desselben Jahres kam ihre gemeinsame Tochter Cosima zur Welt, die Jahrzehnte später Richard Wagner heiratete. Am Seeufer steht die Villa Melzi aus napoleonischer Zeit. Ein Bummel durch die großzügige, auf mehreren Ebenen angelegte Gartenanlage ist ein Genuss, man passiert herrlichste Azaleen, Rhododendren und Riesenalpenrosen, mächtige Sequoia-Bäume und turmhohe Zypressen, verspielte Teiche und antike Statuen, dazu genießt man stets besten Seeblick. Für US-Amerikaner gilt das schöne Bellagio als Inbegriff von »Good old Europe« – die Verehrung ging dort so weit, dass man Bellagio in Las Vegas nachbaute und die Kopie in einem 36-stöckigen Hotelkomplex gleichen Namens unterbringen ließ, samt künstlichem See daneben.
Böse Zungen sagen, dass Kirchenfürsten immer schon gerne weltliche Genüsse für sich in Anspruch nahmen. Und tatsächlich, attraktiver kann man kaum wohnen als in der einstigen Kardinalsvilla am Westufer des Comer Sees. Wie ein anmutiges Schlösschen schmiegt sich die prächtige Villa ans bewaldete Ufer. Die mit historischem Mobiliar opulent ausgestatteten Innenräume der 6-stöckigen Villa können mit Führung durch den FAI (Fondo per l’Ambiente Italiano) besichtigt werden, der schon zahlreiche historische Bauten in Italien restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Im obersten Geschoss hat der Abenteurer und letzte private Besitzer Guido Monzino eine große Sammlung von Expeditionsstücken eingerichtet, u. a. unternahm er eine Reise zum Nordpol. Die Villa ist mittlerweile so beliebt, dass der Eintritt vorab online gebucht werden sollte.
Nein, wir sind nicht an der Adria – man könnte es aber tatsächlich meinen, wenn man an einem warmen Sommertag den flach ins Wasser abfallenden Sandstrand beim kleinen Örtchen Feriolo entlangschlendert und den Blick über den tiefblauen See schweifen lässt. Der Lago Maggiore zeigt sich hier von seiner besten Seite, und vor allem Campingfreunde haben die Region um die Mündung des Flusses Toce schon lange entdeckt, denn hier liegen einige der besten Zeltplätze am See. Viel gelobt wird vor allem »Village Isolino« mit mehreren Badebuchten und großer Poolanlage, doch auch der Platz »Orchidea« lohnt den Aufenthalt, liegt er doch direkt am Strand. Zu entdecken gibt es natürlich auch einiges, denn die Uferregion um den Toce ist das größte Feucht- und Schilfgebiet am Lago Maggiore, und ein Radweg führt am Fluss mit schönen Badegumpen entlang bis ins 25 km entfernte Städtchen Domodossola.
In der Mitte des großen Sees liegen drei Inseln so perfekt platziert, wie sie ein Künstler nicht besser hätte arrangieren können. Von Stresa und Baveno ist man per Motorboot oder Linienschiff in wenigen Minuten drüben – ein Vergnügen, dass man sich in der Hauptsaison allerdings mit zahllosen Besuchern aus aller Welt teilt. Die Isola Bella ist von Stresa aus die nächste und meistbesuchte. Im 17. Jh. ließ Carlo III. aus dem Geschlecht der Borromäer auf der kahlen Felseninsel einen imposanten Barockpalast mit prachtvollen Gartenanlagen erbauen. Er benannte ihn nach seiner Frau Isabella, woraus schließlich „Isola Bella« wurde. Gerne vergleicht man die Insel mit einem vor Anker liegenden Schiff: Das Nordende ragt wie ein schmaler Bug in den See, der Palast thront darauf wie ein mächtiger Aufbau, und die Gartenterrassen am anderen Ende sind das hohe Heck. Ein Rundgang gewährt Einblicke in den Lebensstil des Adels. Die zahlreichen Säle und Wandelhallen des Palasts beherbergen barocken Prunk vom Feinsten und einen schier überwältigenden Reichtum an Gemälden, zusammengetragen durch die kunstliebenden Borromäer. Die üppigen Gärten sind mit Statuen, Brunnen und Beeten aus Azaleen, Magnolien und Kamelien in zehn Terrassen übereinander angelegt. An der Spitze prunkt ein reich verzierter Steinbau mit Grotten, Muscheln und bizarren Plastiken aus der Mythologie, darunter das Einhorn, das Wappentier der Borromäer. Weiße Pfauen, bereits angesiedelt von den Borromäern, laufen unbefangen zwischen den Besuchern umher.
Dominant und weithin sichtbar thront am Südende des Lago Maggiore die schönste und größte Burg am See über dem Städtchen Angera. Die Adelsfamilie der Borromäer erwarb sie 1449, und bis heute ist sie in ihrem Besitz. Der Besuch der bestens restaurierten Gemäuer lohnt sich nicht nur wegen der freskenbemalten Innenräume und -säle: Ein besonderes Highlight ist das weitläufige Puppenmuseum Museo della Bambole e del Giacattolo, das aus der ehemaligen Privatsammlung einer borromäischen Prinzessin hervorgegangen ist und die größte Sammlung ihrer Art in Europa ist. Ausgestellt sind historische Puppen aus Holz, Wachs und Porzellan (u. a. aus Deutschland, dem Val Gardena/Grödner Tal und aus Frankreich), Puppenstuben und -mobiliar, Steifftiere, Spielzeug und Kinderkleidung aus verschiedenen Epochen und Kulturen, zusätzlich auch »Bambole del Mondo«, also Stücke aus aller Welt sowie die ersten sich automatisch bewegenden Puppen aus der Zeit zwischen 1880 und 1920 (originell z. B. die alte Dame »Vecchia che fa pipì«). Beim Rundgang staunt man immer wieder über die liebevolle Akribie und Detailgenauigkeit, mit der diese Meisterwerke hergestellt wurden.