Dass Wien in Sachen Nachhaltigkeit viel zu bieten hat, zeigt dieser kulinarische Streifzug von Judith Weibrecht: Die Autorin unseres Reiseführers »Wien – mal anders« hat diverse Betriebe besucht, die Wert auf saisonale und regionale Küche legen, und dabei ganz erstaunliche und vor allem wohlschmeckende Entdeckungen gemacht. Wer nicht weiß, was Fisolen, Blunzn oder Paradeiser sind, findet am Ende dieses Artikels ein kleines Glossar zum Nachschlagen ...
In Wien kann man mehr entdecken als Kaffeehäuser, Stephansdom und Burgtheater, und das auf nachhaltige Weise: U-Bahn, Bus und Bim (Straßenbahn) fahren oft und sind günstig, außerdem gibt es über die ganze Stadt verteilt Mieträder und -E-Bikes, Segway-Touren, Öko-Taxis, sogar Boot kann man fahren oder Fiaker.
Als Erstes geht’s in den V. Bezirk: »Meinklang« – ein Hofladen mitten in der Stadt! Dazu Café, Bistro und eine Schau-Bäckerei. Der nachhaltig und biodynamisch arbeitende Demeter-Hof, der den Laden beliefert, steht in Pamhagen. Angus-Rinder und Mangalitza-Schweine düngen den Boden, auf dem Dinkel, Wildkräuter, Gemüse und Topaz-Äpfel gedeihen. Dass man all dies mitten in Wien erstehen kann: leiwand! Im Bistro gibt es heute Paradeiservielfalt mit Fisolen. Im hinteren Bereich befinden sich die Gemüse-, Käse- und Brottheke. Das Sauerteigbrot duftet und sieht zum Anbeißen aus.
Brot? Ab um die Ecke zu »Kruste & Krume« mit Backworkshops und einer angeschlossenen Mehl-Greißlerei. Handwerkliches Brotbacken ist hier echte Leidenschaft, Barbara van Melle, Gründerin von »Kruste & Krume«, schrieb das Buch »Der Duft von frischem Brot«, es wurde zum Bestseller und sie fortan zur Brotbackliebhaberin.
Nun ist der Hunger groß. Auf zum »Wolf«, einem urigen Beisl mit Theke, Schankkasten, Holzvertäfelung und knarrendem Holzboden. Alles ein wenig retro, genau wie die Spezialitäten: Kalbsbeuschel, Schweinswangerln und Nierndln. Verwendet wird Bio-Fleisch, das saisonale Gemüse wie die Melanzani (Weanerisch für Auberginen) kommt teils aus dem eigenen Pachtgarten. »Der Schwerpunkt liegt auf der Wiener Küche und im Winter auf den Innereien«, erklärt Wirt Wöhrnschimmel. »Dafür sind wir bekannt!« Auch bei jungen Leuten. »Wir sann ja relativ entspannt«, betont er. »Die wollen nicht in einem Gasthaus essen, wo alles supersteif ist mit Krawatte und Hemd. Bei uns ist immer a Gaudi!« Stimmt, im Schanigarten sitzen ein paar Nachbarn aus dem Grätzel, dem Stadtviertel, und es wird viel gelacht.
Schanigarten bezeichnet einen Biergarten auf öffentlichem Grund. »Schani« deshalb, weil einst viele Ober auf den Namen Hans oder Johann hörten und es Mode war, sie französisch »Jean!« zu rufen, woraus »Schani!« wurde. – Das Beisl an sich ist eine Wiener Institution und mit Kaffeehaus und Heurigem zusammen Teil der Wiener Troika und der Alltagskultur, wobei das Beisl eher für die »normalen« Wiener zuständig ist, die auf ein Achterl oder einen Spritzer ins ausgelagerte Wohnzimmer kommen, zum Debattieren oder auf eine Blunzn.
2024 wurde Wien abermals zur lebenswertesten Stadt der Welt erklärt. Die City ist grün und hat sich dem Prinzip der Nachhaltigkeit verschrieben. Selbst Museen arbeiten umweltfreundlich und energieeffizient und erhielten das Umweltsiegel, wie z. B. das Museum Hundertwasser oder das Wien Museum. Es gibt diverse Öko-Hotels mit begrünten Fassaden (z. B. das Hotel Gilbert), Stadtlandwirtschaft, vegane und vegetarische Restaurants, und man kann bio einkaufen, beispielsweise auf dem Kutschkermarkt am Gertrudenplatz, der hauptsächlich saisonale Produkte bietet.
Bei der »Bioschanze« sind biodynamisch angebaute Gemüse und Kräuter erhältlich, alte und rare Sorten: Die lokale Gärtnerei baut um die 50 Paradeiser-Typen an. Auch »Biofisch« arbeitet regional, saisonal und nachhaltig: Demeter-Karpfen und wild gefangene Renken sind im Angebot. Auf dem Karmelitermarkt findet man »Kaas am Markt«, wo man z. B. die Frühstücksplatte mit Rohmilchkäse zu sich nehmen kann. Um Milchprodukte geht es auch bei »Käs«, einem Rohmilchkäsehandel, wo es u. a. den Bregenzerwälder Gebsenbergkäse gibt.
Weiter geht’s in den I. Bezirk. Erstmal ausruhen und einen Einspänner oder eine Melange genießen: »Gemma auf a Kaffeetscherl!«, sagen die Wiener. Etwa 3000 Kaffeehäuser werden mit Herz und Seele von den Wiener Kaffeesiedern betrieben, seit 2011 ist die Wiener Kaffeehauskultur von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Hier im Ersten befindet sich das mit dem Umweltzeichen ausgezeichnete, weltberühmte »Café Sacher«.
Bezirks- und Szenenwechsel: Im II. residiert der »Praterwirt«, eine Fleischerei mit Restaurant. Schon von außen sehe ich hinter den Fenstern das abgehängte Fleisch reifen. »Transparenz ist uns wichtig«, sagt der Chef, das zeige er auch durch die offene Küche im Lokal. Das Fleisch komme von kleinen Handwerksbetrieben. Auf der Karte stehen beispielsweise Blunzengröstl oder Kalbsbutterschnitzerl. »Bratwurst, Blutwurst, Leberkäs – das machen wir alles selber!«, betont er, und dass keinerlei Fertigmischungen oder Geschmacksverstärker hinzugefügt werden, nur Gewürze.
Vegetarisches und Veganes aus saisonalen Zutaten gibt es im »Tian Bistro« am Spittelberg. Morgens beim Produzenten Geerntetes landet abends im von Küchenchef Paul Ivić zubereiteten Gericht: Gemüse, Kräuter und Blüten. Bio-Shiitake stammen aus dem II. von den »Pilzbrüdern« – kurze Wege garantiert. Ethik und Nachhaltigkeit stehen hier neben der Qualität der Speisen an erster Stelle.
Gen Abend geht man gern zum Heurigen – ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe –, etwa zum Bioheurigen Obermann in der Cobenzlgasse, wohin man auch wandern kann: ab Nußdorf, das mit der Bim zu erreichen ist. Interessant für Vinophile ist der Wiener gemischte Satz, ein Weißwein aus mindestens drei verschiedenen Rebsorten, die zusammen an einem Weinberg angebaut werden. Diesem widmet sich besonders das biologisch-dynamische Weingut Wieninger in Stammersdorf. Mit der Bim geht’s ganz umweltbewusst zurück ins Zentrum.
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Weanerisch – Hochdeutsch