Nachhaltig unterwegs

Teil 10: Mehr als Schnitzel und Sachertorte
Wien kulinarisch und nachhaltig

Dass Wien in Sachen Nachhaltigkeit viel zu bieten hat, zeigt dieser kulinarische Streifzug von Judith Weibrecht: Die Autorin unseres Reiseführers »Wien – mal anders« hat diverse Betriebe besucht, die Wert auf saisonale und regionale Küche legen, und dabei ganz erstaunliche und vor allem wohlschmeckende Entdeckungen gemacht. Wer nicht weiß, was Fisolen, Blunzn oder Paradeiser sind, findet am Ende dieses Artikels ein kleines Glossar zum Nachschlagen ...

Autorin Judith Weibrecht
Autorin Judith Weibrecht – © Judith Weibrecht

In Wien kann man mehr entdecken als Kaffeehäuser, Stephansdom und Burgtheater, und das auf nachhaltige Weise: U-Bahn, Bus und Bim (Straßenbahn) fahren oft und sind günstig, außerdem gibt es über die ganze Stadt verteilt Mieträder und -E-Bikes, Segway-Touren, Öko-Taxis, sogar Boot kann man fahren oder Fiaker.

Zwei weiße Pferde ziehen eine weiße Kutsche auf einer Wiener Straße.
Auch die Fiaker sind in Wien ein Verkehrsmittel. – Foto: Judith Weibrecht

Als Erstes geht’s in den V. Bezirk: »Meinklang« – ein Hofladen mitten in der Stadt! Dazu Café, Bistro und eine Schau-Bäckerei. Der nachhaltig und biodynamisch arbeitende Demeter-Hof, der den Laden beliefert, steht in Pamhagen. Angus-Rinder und Mangalitza-Schweine düngen den Boden, auf dem Dinkel, Wildkräuter, Gemüse und Topaz-Äpfel gedeihen. Dass man all dies mitten in Wien erstehen kann: leiwand! Im Bistro gibt es heute Paradeiservielfalt mit Fisolen. Im hinteren Bereich befinden sich die Gemüse-, Käse- und Brottheke. Das Sauerteigbrot duftet und sieht zum Anbeißen aus.

Blick aus einem Fenster auf die Straße, im Vordergrund eine Glasflasche mit Wasser und zwei Kaffeebecher.
Der Hofladen Meinklang liegt mitten in der Stadt. – Foto: Judith Weibrecht

Brot? Ab um die Ecke zu »Kruste & Krume« mit Backworkshops und einer angeschlossenen Mehl-Greißlerei. Handwerkliches Brotbacken ist hier echte Leidenschaft, Barbara van Melle, Gründerin von »Kruste & Krume«, schrieb das Buch »Der Duft von frischem Brot«, es wurde zum Bestseller und sie fortan zur Brotbackliebhaberin.

Grüne Häuserfassade aus dem 19. Jahrhundert mit verzierten Fensterbänken und Balkon. Auf Stofffahnen steht »Brotbackatelier«.
Das Backparadies »Kruste & Krume« mit angeschlossener Greißlerei. – Foto: Judith Weibrecht

Nun ist der Hunger groß. Auf zum »Wolf«, einem urigen Beisl mit Theke, Schankkasten, Holzvertäfelung und knarrendem Holzboden. Alles ein wenig retro, genau wie die Spezialitäten: Kalbsbeuschel, Schweinswangerln und Nierndln. Verwendet wird Bio-Fleisch, das saisonale Gemüse wie die Melanzani (Weanerisch für Auberginen) kommt teils aus dem eigenen Pachtgarten. »Der Schwerpunkt liegt auf der Wiener Küche und im Winter auf den Innereien«, erklärt Wirt Wöhrnschimmel. »Dafür sind wir bekannt!« Auch bei jungen Leuten. »Wir sann ja relativ entspannt«, betont er. »Die wollen nicht in einem Gasthaus essen, wo alles supersteif ist mit Krawatte und Hemd. Bei uns ist immer a Gaudi!« Stimmt, im Schanigarten sitzen ein paar Nachbarn aus dem Grätzel, dem Stadtviertel, und es wird viel gelacht.

Alte Gaststätte mit grüner Wandvertäfelung, Holztischen und -Stühlen, rechts im Vordergrund großer Blumenstrauß.
Das »Gasthaus Wolf« ... – Foto: Judith Weibrecht

Schanigarten bezeichnet einen Biergarten auf öffentlichem Grund. »Schani« deshalb, weil einst viele Ober auf den Namen Hans oder Johann hörten und es Mode war, sie französisch »Jean!« zu rufen, woraus »Schani!« wurde. – Das Beisl an sich ist eine Wiener Institution und mit Kaffeehaus und Heurigem zusammen Teil der Wiener Troika und der Alltagskultur, wobei das Beisl eher für die »normalen« Wiener zuständig ist, die auf ein Achterl oder einen Spritzer ins ausgelagerte Wohnzimmer kommen, zum Debattieren oder auf eine Blunzn.

Bar aus Holz in alter Gaststätte mit Gläsern, Spüle, Kaffeemaschine, an der Wand Flaschen und Tafel, auf der die angebotenen Getränke stehen.
... ist ein uriges Eckbeis. – Foto: Judith Weibrecht

2024 wurde Wien abermals zur lebenswertesten Stadt der Welt erklärt. Die City ist grün und hat sich dem Prinzip der Nachhaltigkeit verschrieben. Selbst Museen arbeiten umweltfreundlich und energieeffizient und erhielten das Umweltsiegel, wie z. B. das Museum Hundertwasser oder das Wien Museum. Es gibt diverse Öko-Hotels mit begrünten Fassaden (z. B. das Hotel Gilbert), Stadtlandwirtschaft, vegane und vegetarische Restaurants, und man kann bio einkaufen, beispielsweise auf dem Kutschkermarkt am Gertrudenplatz, der hauptsächlich saisonale Produkte bietet.

Markthalle, dicht an dicht Gemüse- und Obstverkaufsstände, rechts im Bild Pflanzen und bunte Blumen.
Auf dem farbenfrohen Kutschkermarkt gibt es viel Biogemüse, und es werden auch alte Tomatensorten verkauft. – Foto: Judith Weibrecht

Bei der »Bioschanze« sind biodynamisch angebaute Gemüse und Kräuter erhältlich, alte und rare Sorten: Die lokale Gärtnerei baut um die 50 Paradeiser-Typen an. Auch »Biofisch« arbeitet regional, saisonal und nachhaltig: Demeter-Karpfen und wild gefangene Renken sind im Angebot. Auf dem Karmelitermarkt findet man »Kaas am Markt«, wo man z. B. die Frühstücksplatte mit Rohmilchkäse zu sich nehmen kann. Um Milchprodukte geht es auch bei »Käs«, einem Rohmilchkäsehandel, wo es u. a. den Bregenzerwälder Gebsenbergkäse gibt.

Kaffeeterrasse vor dem Kaffee "Kaas am Markt". Tischchen, Stühle, Sonnenschirme, Menschen.
Gut für eine Pause: der Karmelitermarkt mit »Kaas am Markt. – Foto: Judith Weibrecht

Weiter geht’s in den I. Bezirk. Erstmal ausruhen und einen Einspänner oder eine Melange genießen: »Gemma auf a Kaffeetscherl!«, sagen die Wiener. Etwa 3000 Kaffeehäuser werden mit Herz und Seele von den Wiener Kaffeesiedern betrieben, seit 2011 ist die Wiener Kaffeehauskultur von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Hier im Ersten befindet sich das mit dem Umweltzeichen ausgezeichnete, weltberühmte »Café Sacher«.

Restaurantküche, im Vordergrund gefüllte Töpfe auf einem langestreckten Gaßherd, im Hintergrund zwei Köche.
Beim »Praterwirt« gibt es sowohl eine Fleischerei als auch ein Restaurant. – Foto: Judith Weibrecht

Bezirks- und Szenenwechsel: Im II. residiert der »Praterwirt«, eine Fleischerei mit Restaurant. Schon von außen sehe ich hinter den Fenstern das abgehängte Fleisch reifen. »Transparenz ist uns wichtig«, sagt der Chef, das zeige er auch durch die offene Küche im Lokal. Das Fleisch komme von kleinen Handwerksbetrieben. Auf der Karte stehen beispielsweise Blunzengröstl oder Kalbsbutterschnitzerl. »Bratwurst, Blutwurst, Leberkäs – das machen wir alles selber!«, betont er, und dass keinerlei Fertigmischungen oder Geschmacksverstärker hinzugefügt werden, nur Gewürze.

Wiener Stephansdom von unten nach oben, gothische Kirche, rechts ragt der spitze Kirchturm in den leicht bewölkten Himmel.
Am Stephansdom oder Steffl, wie er von den Wienern liebevoll genannt wird, kommt man nicht vorbei. – Foto: Judith Weibrecht

Vegetarisches und Veganes aus saisonalen Zutaten gibt es im »Tian Bistro« am Spittelberg. Morgens beim Produzenten Geerntetes landet abends im von Küchenchef Paul Ivić zubereiteten Gericht: Gemüse, Kräuter und Blüten. Bio-Shiitake stammen aus dem II. von den »Pilzbrüdern« – kurze Wege garantiert. Ethik und Nachhaltigkeit stehen hier neben der Qualität der Speisen an erster Stelle.

Gen Abend geht man gern zum Heurigen – ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe –, etwa zum Bioheurigen Obermann in der Cobenzlgasse, wohin man auch wandern kann: ab Nußdorf, das mit der Bim zu erreichen ist. Interessant für Vinophile ist der Wiener gemischte Satz, ein Weißwein aus mindestens drei verschiedenen Rebsorten, die zusammen an einem Weinberg angebaut werden. Diesem widmet sich besonders das biologisch-dynamische Weingut Wieninger in Stammersdorf. Mit der Bim geht’s ganz umweltbewusst zurück ins Zentrum.

Menschen sitzen in einem Gartenlokal mit grünen Holztischen auf Holzstühlen, die grünen Sonnenschirme sind zusammengeklappt, alles ist von Wein überwachsen.
Beim Heurigen kommen alle zusammen. – Foto: Judith Weibrecht

Wörterbuch Weanerisch – Hochdeutsch

  • Achterl     1/8 Liter Wein
  • Beisl     Kneipe
  • Bim     Straßenbahn
  • Blunzn     Blutwurst
  • Blunzengröstl     Bratkartoffeln mit angebratener Blutwurst
  • Fisolen     grüne Bohnen
  • Grätzel     Stadtviertel
  • Greißlerei     Tante-Emma-Laden
  • Heuriger     Buschenschank, Weinkneipe, aber auch: junger Wein
  • leiwand     super
  • Melanzani     Auberginen
  • Paradeiser     Tomaten
  • Schanigarten     Biergarten
  • Spritzer     Weinschorle
  • Wiener gemischter Satz     Weißwein aus mindestens drei verschiedenen Rebsorten, die zusammen an einem Weinberg auf Wiener Stadtgebiet angebaut wurden. Von der Sorte mit dem größten Anteil dürfen es nicht mehr als 50 Prozent sein, die mit dem geringsten muss mindestens zu 10 Prozent vertreten sein

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