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»Die Türkei ist kein homogenes Land.«
5 Fragen an Michael Bussmann und Gabriele Tröger

Dass der Türkei-Tourismus dieses Jahr einbrechen wird, ist mehr oder weniger eine Binsenweisheit. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: ein Präsident, der die Meinungsfreiheit verbietet, Anschläge der PKK und des IS. Davon abgesehen, ist die Türkei auch ein liberales Land, das viele Gegensätze vereint. Zur politischen Lage, aber auch zur Frage, wo es in der Türkei derzeit sicher ist, haben wir unsere Türkei-Experten Michael Bussmann und Gabriele Tröger befragt.


1. Mal ehrlich, warum sollte man in ein Land reisen, das von einem Präsidenten geführt wird, der sich wie ein Diktator gibt, der die Meinungsfreiheit unter Arrest stellt und ernsthaft eine Satire über ihn in Deutschland verbieten lassen will?

Deswegen, weil die Türkei nicht Erdogan ist. Es gibt diejenigen, die ihn gewählt haben, aber es gibt auch ganz viele, die ihn nicht gewählt haben und nichts mit all den Negativmeldungen über das Land zu tun haben, die sich gerade häufen. Und diese Menschen gilt es zu unterstützen statt ihnen den Rücken zu kehren. Grundsätzlich ist es übrigens weniger das zunehmend autoritäre System der Türkei, das Touristen abschreckt. Es ist vielmehr der zurückgekehrte Terror, der Touristen davon abhält, das Land zu bereisen.


2. Drei Anschläge in Ankara innerhalb von fünf Monaten und ein Attentat in Istanbul, bei dem zwölf deutsche Touristen getötet wurden: Ist es in der Türkei eigentlich noch sicher?

Es gab noch viele Anschläge mehr, aber nicht alle schaffen es in die deutschen Nachrichten. Man muss unterscheiden zwischen Anschlägen kurdischer Gruppierungen und des IS. Vor Anschlägen kurdischer Gruppierungen braucht man sich weniger zu fürchten, diese zielen meist auf die türkische Polizei oder das türkische Militär. Da die türkische Polizei aber überall präsent ist, kann man dem Risiko nicht wirklich ausweichen.
Anschläge des IS haben auch Touristen im Land zum Ziel. Anschläge des IS können aber auch in Europa vorkommen. Somit stellt sich die Frage, was ist heute noch »sicher«? Paris? Brüssel? Welche Stadt trifft es als nächstes? Grundsätzlich gilt es, die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes zu verfolgen.

Definitiv nicht zu bereisen sind momentan die kurdischen Provinzen im äußersten Südosten des Landes rund um Diyarbakir und Mardin, wo die türkische Armee gezielt gegen vermeintliche PKK-Kämpfer vorgeht und ganze Städte im Ausnahmezustand sind. Zwischen den Unruheherden im Südosten des Landes und den Urlaubsorten an der Lykischen Küste liegen aber weit über 1000 km.


3. Die Zahl der Türkeireisenden ging im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent zurück. Was bedeutet das für ein Land, dessen größter Wirtschaftszweig, der Tourismus, 2016 wohl um 25 Prozent zurückgehen wird?

Das bedeutet schlichtweg eine Katastrophe. Es ist zu befürchten, dass die Zahlen noch schlechter ausfallen. Etliche türkische Bekannte von uns leben vom Tourismus, führen kleine Pensionen oder haben einen Autoverleih. Deren Situation ist zum Verzweifeln, diese Menschen tun uns einfach nur leid.


4. Wie erleben Sie als Türkei-Experten die Auslegung des Koran im Land? Als gemäßigt oder als radikal?

Wie gesagt: Die Türkei ist kein homogenes Land, und die Türkei ist nicht Erdogan. Für viele Menschen in den Städten der Westtürkei, an der Küste, aber auch in den liberalen Hochburgen des Ostens ist Religion kein großes Thema. Da fließt der Raki in Strömen, da stöckeln die Frauen in Minis und High Heels umher, da wird gefeiert auf Teufel komm raus. Mal sehen, wie lange das noch möglich ist, kein Jahr vergeht ohne neue strengere Alkoholgesetze.
Anderswo kann es aber ganz anders aussehen. Man muss nicht nach Ostanatolien fahren, um Frauen im schwarzen Ganzkörperschleier umherhuschen zu sehen. Verheiratungen von Minderjährigen und Ehrenmorde sind leider auch keine Klischees, sondern mancherorts bittere Realität.
Sorge bereiten uns die zunehmenden Theokratisierungstendenzen im Land. Zensoren in Theatern, die dafür sorgen, dass auch ja nichts Anzügliches auf die Bühnen kommt, die Einführung getrennter Strände für Frauen und Männer, Minister, die tatsächlich meinen, Frauen würden zu laut lachen, ein Präsident, der erzählt, Verhütung würde die türkische Nation ausrotten, eine Präsidentengattin, die Harems cool findet und und und … Die Liste könnte man ewig so weiterführen.


5. Wenn Sie jetzt als Urlauber in die Türkei reisen würden: Welche Regionen würden Sie bevorzugen?

Das mag jetzt sarkastisch klingen, aber noch nie war Istanbul so billig wie gerade. Ein feines Boutiquehotel, das sonst 150 Euro kostet, gibt es derzeit mit Glück für 40 Euro. Allen Ernstes überlegen sich Freunde von uns genau deswegen, der ansonsten nicht gerade für ihre niedrigen Preise bekannten Stadt am Bosporus einen Besuch abzustatten.
Einem Urlaub in einem kleinen Ferienort an der Lykischen Küste, der Südägäis, am Schwarzen Meer oder in den Dörfern Kappadokiens würden wir grundsätzlich gelassen entgegen sehen. So nach dem Motto: Sollte Deutschland Zielscheibe von Terroristen werden, wäre wahrscheinlich Berlin eher als Bodenmais im Bayerischen Wald betroffen. Aber wir können uns auch täuschen … Wir fliegen in wenigen Tagen nach Istanbul und werden uns ein Bild von der Lage im Land machen.

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