MM-Autoren

»Es ist beinahe wie Magie.«
5 Fragen an Andreas Haller

Was bedeutet es, ein Reisebuch für den Michael Müller Verlag zu schreiben? Ein neuer Autor, Andreas Haller, steht Rede und Antwort. Der Reiseleiter für einen deutschen Wanderveranstalter ist während der Recherche der kleinen und kleinsten Dinge ein Schwamm, der es genießt, das eigene Lieblingsziel im Moment der Niederschrift in ein sympathisches Licht zu rücken. Was ihm an seinen Gebieten besonders gefällt: die unverfälschte süditalienische Gastfreundschaft, gutes Essen, saubere Strände und ein Küstenhinterland mit vielen faszinierenden Wanderwegen zu außergewöhnlichen Kulturdenkmälern und Naturschönheiten. 2009 hat Haller den Band »Apulien« (6. Auflage) übernommen und das Buch »Cilento« (1. Auflage) neu verfasst.


1. Lieber Herr Haller, ich darf Sie als neuen Autor des Michael Müller Verlags begrüßen. Wie kam es, dass Sie sich für die wilde Reisebuchbranche und gegen einen festen, sicheren Job entschieden haben? Abenteuerlust, Reisewahn, Kreativitätsanfälle und Schreibwut?

Reisen scheint ein wenig mein Schicksal zu sein. Immerhin reise ich auch dann, wenn ich nicht in Sachen Verlagsarbeit unterwegs bin, z. B. als Reiseleiter für einen deutschen Wander- und Studienreisen-Veranstalter. Und wenn ich nicht unterwegs bin, dann besuche ich Freunde und Verwandte, bin also im Grunde auch wieder weg. Der permanente Ortswechsel führt dazu, dass ich mich mittlerweile stets dort heimisch fühle, wo ich gerade bin.
Das war nicht immer so: Jahrelang war ich z. B. als Marketingleiter in einem Schlossmuseum tätig, aber alles in allem liegt mir das freie Arbeiten mehr. Außerdem sitze ich nicht gern stundenlang im Büro. Neben dem Schreiben gehört das Wandern zu meinen Leidenschaften, was man – glaube ich – meinen Büchern auch anmerkt. Insofern spüre ich, dass die augenblickliche Kombination (Reiseleiter und freier Autor) meinem Naturell und meinen Interessen schon ziemlich nahe kommt. Jedenfalls macht mir das Schreiben und der ganze Prozess drum herum viel Spaß. Und meine Hoffnung ist es, dass die geneigten Leserinnen und Leser ein wenig von dieser Freude in den Büchern wiederfinden.


2. Ihr erstes Buch für den Verlag ist der Titel »Apulien«: ein Reiseführer, den Sie von Herrn Machatschek übernommen haben. Wie hat man sich diese freundliche Übernahme vorzustellen: Welche Schwierigkeiten treten auf, welche Vorteile gibt es?

Michael Machatscheks Pionierleistung für Süditalien schätze ich überaus. Er hat Standards gesetzt und ist ein echter Experte. Allerdings: Einen bereits etablierten und von den Lesern für gut befundenen Reiseführer zu übernehmen, ist für mich schwieriger, als ein neues Buch zu schreiben. Das hat mehrere Gründe: Ich muss mich dem sprachlichen Duktus meines Vorgängers anpassen und in gewissen Grenzen seine Systematik zur meinigen machen. Jeder Autor verfügt über ein spezifisches Ego – er möchte sich inhaltlich und textlich einbringen. Die Kunst in diesem Fall besteht darin, sein eigenes Ego hinten anzustellen, um den Vorgaben des Anderen zu folgen – oder gleich alles umzuschmeißen. Aber was für einen Sinn macht es, etwas Bewährtes umzukrempeln? Und hiermit wäre ich bereits beim Vorteil, den eine solche Übernahme hat. Die Antithese lautet nämlich: Es ist stets leichter, ein gutes Produkt durch eigenes Hinzutun zu verbessern, als ein neues Buch auf den Markt zu bringen, das beim Erscheinen schon die Reife des »älteren« Reiseführers besitzt. Jener ist bereits durch zahlreiche Auflagen und Aktualisierungsprozesse hindurchgegangen, konnte also seit dem Ersterscheinen wie ein guter Tropfen Wein kontinuierlich an Qualität hinzugewinnen.


3. Ihr erstes, eigenes Buch hat nicht lange auf sich warten lassen: das Reisehandbuch »Cilento«. Weshalb sollte es diese italienische Region sein – und warum sollen Urlauber genau dorthin fahren?

Der Cilento mag für die meisten Menschen als Region noch unbekannt sein, für mich ist er seit einigen Jahren eine echte Herzensangelegenheit. Mein eigentliches Wohnzimmer war stets der Golf von Neapel gewesen, den ich seit 20 Jahren bereise. Und immer hatte ich von der Amalfi-Küste sehnsüchtig auf die Berglandschaft südlich der grandiosen Tempelanlagen von Paestum gestarrt und zu mir gesagt: Eines Tages fährst du in den Cilento und erschließt dir dieses Gebiet. Der Michael Müller Verlag hat mir vorletztes Jahr die Realisierung dieses Projekts ermöglicht – und dafür bin ich ihm dankbar. Unnötig zu sagen, dass ich schon beim Erstbesuch von diesem Landstrich hingerissen war. Für eine Reise in den Cilento sprechen viele Gründe: Die unverfälschte süditalienische Gastfreundschaft, gutes Essen, saubere Strände und ein Küstenhinterland mit vielen faszinierenden Wanderwegen zu außergewöhnlichen Kulturdenkmälern und Naturschönheiten.


4. »Reisebücher zu schreiben, ist in etwa so, als müsste man den Mount Everest mit einem Zahnstocher abtragen«, hat ein Kollege von Ihnen einmal gesagt. Wie haben Sie den Berg von Informationen gebändigt bekommen? Wie arbeitet man sich da genau vor?

Als Autor auf Recherchereise bin ich wie ein Schwamm: Ich sauge innerhalb eines begrenzten Zeitfensters alle möglichen Informationen auf. Es ist beinahe wie Magie, denn das, was man für ein Buch benötigt, bekommt man auch. Die Kunst besteht eher in der Selektion, in der Auswahl dessen, was in ein Buch hineingehört und was nicht. Das Schreiben wird dann zu einem psychologischen Prozess der Verlustbewältigung: Du musst verzichten, du weinst lieb gewonnenen Inhalten hinterher – und flüchtest dich schließlich in einen pragmatischen Zweckoptimismus. Dabei hilft es natürlich, dass der Michael Müller Verlag den Autoren eine ganz bestimmte Struktur vorgibt, wie ein Reiseführer auszusehen hat: Die bislang erschienenen Handbücher folgen mit geringen Abweichungen einem ganz bestimmten Schema, an das ich mich natürlich orientieren muss. Zudem weiß ich schon vor dem Schreiben ziemlich genau, wie viel Platz mir für ein bestimmtes Gebiet in etwa zur Verfügung steht. Was das oben erwähnte Buch betrifft, so ist der Cilento ein recht überschaubares – wenn auch ziemlich komplexes – Gebiet. Nicht ganz der Mount Everest, eher mit der Zugspitze vergleichbar. Aber das genügt mir vollauf.


5. Wie ich lese, sind Sie ein bekennender Asien-Fan: Darf man auf diesem Gebiet in Zukunft etwas von Ihnen erwarten?

Warum eigentlich nicht? Ich muss nur oft genug auf eine solche Idee angesprochen werden, damit sich der Gedanke bei mir im Kopf nachhaltig festsetzen kann. In der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise sind die Fernziele zwar ein wenig aus der Mode geraten, aber das wird sich natürlich irgendwann wieder einpendeln. In der Tat ist es so, dass neben Süditalien der indische Subkontinent sowie der Himalaya mein zweiter Schwerpunkt sind. Insofern passt natürlich die obige Metapher vom Mount Everest: Wenn aber schon eine europäische Kleinregion von einem Autoren kaum oder nur unter großen Mühen zu bewältigen ist, wie sieht es dann erst mit den Fernzielen aus? Das Verlagskonzept der geografisch überschaubaren Themen ist zwar für das vergleichsweise kleinteilig strukturierte Europa bestechend, doch nicht direkt für Asien, Afrika oder Amerika übertragbar – es sei denn, es handelt sich wieder nur um Regionen oder Städteziele. Insofern müssten sich für ein solches außereuropäisches Länderprojekt am besten zwei oder gar drei Autoren zusammentun, die sich das betreffende Gebiet aufteilen. Um im Bild zu bleiben: Der Mount Everest wird schließlich auch nicht von einem einzigen Bergsteiger bezwungen, sondern in der Regel von einem Team.

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