Unsere New-York-Autorin Dorothea Martin lebt als Reiseleiterin in Südengland. Ein Grund, weshalb sie (neben Ralf Nestmeyer) auch in diesen Gebieten für uns tätig ist. Pünktlich zu den Neuauflagen »Cornwall & Devon« (2. Auflage 2008) und »Südengland« (3. Auflage 2008) schreibt sie über ein uraltes Klischee, das in seiner gaumenbeißenden Form heute längst nicht mehr stimmig ist: die englische Küche. Inzwischen ist sogar der Guide Michelin auf die Raffinessen britischer Kochkunst – nein, das ist kein Paradoxon! – aufmerksam geworden, und das nicht nur in London.
Die schreckliche britische Küche –
ein Vorurteil so haltbar wie Corned Beef
Fades, verkochtes Gemüse, labbrige, vor Fett triefende Pommes in Essig, Lammbraten mit Minzsoße und wabbeliges Toast mit bitterer Orangenmarmelade – derartige Horrorvisionen quälen viele Englandurlauber, bevor sie überhaupt einen Fuß auf die Insel setzen. Was will man denn auch erwarten, wenn schon der britische Schriftsteller Somerset W. Maugham allen Nichtlandsleuten geraten haben soll: »Will man in England gut essen, sollte man dreimal täglich frühstücken.« (Dabei ist nicht einmal das englische Frühstück jedermanns Geschmack, jedenfalls wenn man einen kontinentalen Gaumen sein Eigen nennt.) Sein französischer Kollege Pierre Daninos befand nicht weniger abfällig, »die Vorliebe der Engländer für Tee versteht man erst, wenn man ihren Kaffee getrunken hat«, um hämisch zu ergänzen, die Engländer hätten auch »die Tischreden nur erfunden, damit man das Essen vergisst«.
Seit Jahrzehnten gehört es zum guten Ton, über das »ungenießbare« Essen auf der Insel zu nörgeln, wie über den nur noch selten vorhandenen Smog oder den häufig wiederkehrenden Regen. Die Sache mit dem Essen ist ein Vorurteil mit einem historischen Fünkchen Wahrheit und stammt aus der viktorianischen Epoche, als das Würzen von Speisen noch unter dem Verdacht stand, den Charakter der elitären Internatsschüler des britischen Empire zu verweichlichen. Die Lebensmittelbewirtschaftung in Form von Essensmarken, die in England nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis Ende der 50er Jahre im Einsatz waren, trug dann ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass sich die englische Küche nicht über Gebühr zu verfeinern verstand. So bedurfte es tatsächlich einer kulinarischen Revolution, um die Raffinessen der Kochkunst heute auf der Insel anzutreffen. Dazu hat vor allem die Erkenntnis beigetragen, dass die Engländer an zweiter Stelle einer nicht gerade erquicklichen Weltrangliste liegen: Nach den Amerikanern hat das Empire mit Übergewicht am meisten zu kämpfen. Daraufhin wurde das kulinarische Bewusstsein durch Regierungsvorgaben wie »5 Portionen Obst und Gemüse am Tag« gschärft. Vorreiter dieser Entwicklung war Jamie Oliver, der u. a. auch mit Kameras in die Schulküchen geschaut und der Nation via TV vorgeführt hat, was sie da eigentlich täglich zu sich nehmen.
Das Wissen darüber blieb jedoch jenseits des Ärmelkanals weitgehend unbemerkt. Weshalb sich das Vorurteil über die schreckliche englische Küche ungefähr so hartnäckig hält wie Corned Beef aus der Dose. Es ist inzwischen bis in die europäische Witzkultur vorgedrungen, laut der das Paradies sich dort befindet, wo die Deutschen die Organisatoren, die Franzosen die Köche, die Schweizer die Bankiers, die Italiener die Liebhaber und die Engländer die Polizisten sind. Die Hölle hingegen erkennen Sie daran, dass die Deutschen die Polizisten, die Italiener die Organisatoren, die Franzosen die Bankiers, die Schweizer die Liebhaber und die Engländer – genau! – die Köche sind. Touché!
Die neue britische Küche –
ein unverhofftes Urlaubserlebnis zum Einplanen
Okay, es hat sich herumgesprochen, dass London den Weltmetropolen New York oder Paris als Hochburg für Feinschmecker in nichts nachsteht. Die Stadt an der Themse ist nicht nur unvergleichlich international, sie hat in diesem Jahr immerhin auch 45 Restaurants aufzuweisen, die dem Michelin, jenem wichtigsten Feinschmecker-Guide, einige seiner begehrten Sterne wert waren. 39 Restaurants erhielten einen, fünf bekamen zwei und ein Etablissement ergatterte gar drei Sterne: das Gordon Ramsay in Chelsea. Doch auch außerhalb der Hauptstadt hat sich viel getan, und zwar im großen, nicht nur im kleinen Stil. Viele Kneipenlokale, die einst außer Pommes, Backkartoffeln und Sandwichstullen nicht viel zu bieten hatten, sind nun »Gastropubs« mit umfangreicher Karte, vegetarischen Optionen, Biofleisch und Fair Trade-Produkten. Wo einst nur lauwarmes Ale unrasierte Kehlen hinunterfloss, schwenkt man heute wohltemperierte Weine. Jeder Marktflecken lockt Einkäufer mit einem Bauernmarkt (Farmer’s Market), an jeder zweiten Straßenecke trifft man auf einen amerikanisch gestylten Coffeeshop, der alle nur erdenklichen Kaffee- und Milchvariationen (von fettfrei bis Soja) im Angebot führt. Wo einst nur süße Blubbergetränke wie Fanta, Cola oder Ginger Ale als Durstlöscher im Angebot waren, machen sich derzeit reihenweise »Smoothies« breit, dickflüssige Fruchtsaftpurees ohne künstliche Zutaten, die stimulieren oder beruhigen, entgiften und zusätzlich entschlacken sollen. Statt zum traditionellen plastikverpackten Sandwich mit Bacon, Salat und Tomate, greift der ernährungsbewusste Angestellte während der Mittagszeit plötzlich zum abgepackten Salat oder einer Portion Sushi aus dem omnipräsenten Kühlregal. Die fettig-salzigen Kartoffelchips tauscht er immer öfter für eine Tüte Weintrauben oder mundgerecht vorgeschnippelte Äpfel ein. Fast alle Lebensmittel erhält man auf Wunsch ohne Glukose, ohne Weizen, ohne Nüsse, ohne Fett, ohne Salz, ohne Milchprodukte, ohne dies und jenes: Selbst in der tiefsten Provinz beim Billigsupermarkt ASDA!
Zu verdanken haben wir diese Trends vor allem den sogenannten »Celebrity Chefs«, den Starköchen mit eigenen Fernsehsendungen, eigenen Restaurants, eigenen Kochbüchern, -schulen und -produkten, die hierzulande wie Popstars gefeiert werden. Mehr als 80 Stunden wird jede Woche im britischen Fernsehen gebrutzelt, gebacken und geköchelt – mit Spaß, Charme und/oder um die Wette. Eine ganze Nation, die noch vor kurzem von Frittiertem aus der Imbissbude oder Fertiggerichten aus der Mikrowelle lebte, verwandelt sich in ein Volk leidenschaftlicher »Foodies« und Hobbyköche, die landesweit darüber diskutieren, ob es moralisch vertretbar ist, ein Huhn aus der Legebatterie zu verzehren oder auch nur dessen Ei. Für Touristen kann dies den Aufenthalt auf der Insel um eine elementare Erfahrung bereichern – ein Englandbesuch hat das Zeug zu einem kulinarischen Erlebnis! Cornwall liegt dabei ganz weit vorn.
Promiköche in Cornwall – große Namen mit großer Wirkung
Newquay
Nicht der erste, aber international sicher der berühmteste Promikoch mit Restaurant in Cornwall ist Jamie Oliver. Bekannt geworden ist der bübisch wirkende Superstar mit der unkonventionellen Darbietung und der großen Klappe durch seine erste Kochsendung als »Naked Chef«, was übersetzt tatsächlich der »nackte Koch« heißt, allerdings nicht bedeutet, dass Jamie etwa splitterfasernackt vor die Kameras träte (after all we are in England!). Vielmehr hat er seine Rezepte von jedem unnötigen Firlefanz »entkleidet« – daher die Referenz. In einem modernen Großraumrestaurant an der Atlantikküste zwischen Newquay und Padstow in der Watergate Bay gibt der millionenschwere Unternehmer aus Essex seit Mai 2006 einundzwanzig unterprivilegierten Jugendlichen aus der Grafschaft Cornwall die Chance, den Beruf des Kochs von der Pike auf zu erlernen. Fifteen, heißt das Etablissement, das bereits der dritte Franchise-Ableger seines Originals in London ist (es gibt auch ein Fifteen in Amsterdam und eines in Melbourne), und dessen Erlöse in einen wohltätigen Verein zugunsten dieser jungen Einheimischen fließen.
Der Eingang ist nicht ganz einfach zu finden, doch die rosafarbenen Fahnen weisen einen vom Parkplatz aus recht deutlich den Weg. Hält man sich links, gelangt man zu einer kleinen Treppe, deren wenige Stufen hinunter zum Eingang führen, der sich im ersten Stock der Extreme Academy (hier kann man Kite-Surfing und Wave-Skiing lernen, bevor man sich bei Jamie stärkt) befindet. Obwohl das Fifteen hundert Plätze bietet und man zum Dinner nur die Wahl hat zwischen einem Sechs-Gänge-Menue ohne Wein für £ 50.00 oder selbigem mit den passenden Weinen für £ 90.00 (zum Lunch ist das Drei-Gänge-Menue für £ 24.95 zu haben), ist es an Feiertagen oder während der englischen Schulferien im Juli und August ratsam, frühzeitig einen Tisch zu buchen. Besonders begehrt sind die Plätze an der Fensterfront, die sich im Sommer aufschieben lässt und einen spektakulären Blick über den drei Kilometer langen Sandstrand gestattet.
Das Publikum ist erwartungsgemäß eher betucht, aber trendig, sogenannte »fashionistas«, die man ohne Kostümwechsel auch ins Londoner Nachtleben verpflanzen könnte, wo die meisten ohne Zweifel herkommen. Fifteens einfallsreiche Küche ist italienisch inspiriert, 80 Prozent der Zutaten stammen allerdings aus der Region, seit Neuestem sogar der Kaffee. Im Januar dieses Jahres wurde im Fifteen Cornwall der erste Aufguss aus vor Ort angebauten Bohnen ausgeschenkt!
Padstow
Nur wenige Kilometer die Küstenstraße entlang Richtung Osten gelangt man nach Padstow am Fluss Camel. In diesem Fischerdorf hat vor mehr als dreißig Jahren der Fernsehkoch Rick Stein zusammen mit seiner Ex-Frau Jill sein erstes Fischrestaurant eröffnet -The Seafood. Mit umwerfendem Erfolg: Das Restaurant ist gerade um 30 Plätze und eine Fischtheke erweitert worden. Inzwischen gehören dem Koch, der schon für die Queen, Tony Blair und Jacques Chirac am Herd stand, vor Ort auch ein Bistro, ein Cafe, ein B&B, ein Hotel, eine Patisserie, ein Delikatessenladen, eine Kochschule, sowie der Fish & Chip-Shop. Die vom preistreibenden Boom genervten Anwohner haben das Fischerdorf seitdem in Padstein umgetauft – wen wundert’s! Vor allem seine Lieferanten machte Stein via Mattscheibe zu heros (Helden); an der Qualität des Fisches und der Meeresfrüchte gibt es auch wirklich nichts zu mäkeln. Ein Hauptgericht (z. B. gegrillter Seebarsch in Tomaten-, Butter- und Vanillevinaigrette) kostet allerdings im Durchschnitt £ 30.00. Trotzdem ist eine Reservierung an Wochenenden und im Sommer wärmstens zu empfehlen.
Interessante Adressen:
Gordon Ramsay at Royal Hospital Road (No. 68-69) in Chelsea (London)
www.gordonramsay.com
Fifteen Cornwall, On the Beach, Watergate Bay, Cornwall TR8 4RR,
Tel: 0044-(0)1637-861000
www.fifteencornwall.co.uk
The Seafood Restaurant, Riverside, Padstow, Cornwall PL28 8BY,
Tel: 0044-(0)1841-532700
www.rickstein.com