Dass unsere Autoren sehr wendig im Kopf sein müssen, ist altbekannt. Auch dass man von einer Ecke zur anderen flitzt, um die wirklich besten Tipps zu erbeuten, wissen all diejenigen, die schon mal mit einem Müllerbuch unterwegs waren. Die Wander-Autoren unserer neuen Serie haben es tatsächlich noch schwerer – und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie Dietmar Hoos zu berichten weiß.
Nürnberg. Bar Celona. Am Vorabend des Abfluges zur ersten Recherchereise nach Nordspanien für den Wanderführer »Spanischer Jakobsweg«.
»Das geht so nicht!«
»Was geht so nicht?«
»Mein Rucksack ist viel zu schwer. Ich kann nicht mit über 16 Kilo auf dem Rücken 400 Kilometer weit wandern.«
Draußen türmen sich schwarz-graue Gewitterwolken. Erstes Donnergrollen ist zu hören. Es ist drückend schwül.
»Das fällt Dir früh ein.«
»Ich habe das Gewicht von Laptop, GPS, Akkuladegeräten, Akkus und Ersatzakkus, Verteilersteckdosen, wasser-, stoß- und staubdichten Verpackungen für die elektronischen Geräte völlig falsch eingeschätzt. Normalerweise bin ich mit 9 bis 10 Kilo unterwegs. – Das ist so nicht zu schaffen.«
»Und was willst Du tun?«
»Ich rufe morgen früh den Verlag an und sage das Buchprojekt ab. Es ist undurchführbar.«
Der erste Blitz zuckt über der Altstadt, unmittelbar gefolgt von einem donnernden Krachen. Dicke Tropfen prasseln auf das Pflaster.
»Das wirst Du nicht tun! Du hast eine Vereinbarung und hast zugesagt! Wir werden das jetzt durchziehen!«
»Verstehst Du nicht!? Es geht nicht! Ich kann mit diesem schweren Rucksack unmöglich jeden Tag 20, 25 oder 30 Kilometer gehen, geschweige denn über die Leoneser Berge und hinauf auf den O Cebreiro (Anmerkung: die Passhöhe zwischen Kastilien-León und Galicien). Du kennst die An- und Abstiege in dieser Region ganz genau. Das ist mit einem normalen Rucksack schon schwer genug!«
»Dann musst Du eben einiges hier lassen. Wir schauen uns nachher noch einmal Deinen gesamten Rucksackinhalt an und nehmen nur das wirklich Allernotwendigste mit. Auf Regensachen können wir zum Beispiel gut verzichten …«
Draußen schüttet es mittlerweile wie aus Kübeln …
Regenjacke, Regencape, Regenhosen, Ersatzhemden, Ersatzunterwäsche, ein zweites Paar Schuhe und diverse Kleinteile sowie Ersatzakkus bleiben zuhause. Das Gewicht des Rucksacks beträgt jetzt – 12,5 Kilogramm.
Am nächsten Tag sind wir in Oviedo. Es regnet in Strömen. Am übernächsten in León. Es regnet in Strömen. Hinzu kommt ein starker Nordwestwind. Seit drei Wochen regne es ununterbrochen, und es sei für die Jahreszeit viel zu kühl, berichten uns Asturier und Kastilier übereinstimmend. Wir machen uns trotzdem auf den Weg. Mein einziger Regenschutz: ein winziger Taschenschirm. Aber Hauptsache, das wertvolle MacBook bleibt trocken. Ich selbst bin ja nicht aus Zuckerguss.
Am Abend der ersten Etappe ist Susanne krank. Schüttelfrost. Ich sitze im eiskalten, gefliesten Zimmer einer mäßigen Pension in Villadangos del Páramo im Bett, sichere GPS-Daten, erstelle Wegpunktlisten, verfasse die Wegbeschreibung aufgrund durchweichter Aufzeichnungen. Páramo bedeutet Ödland, und so fühlen wir uns – zumindest innerlich, außen sind wir durchnässt. Die ursprünglich für den nächsten Tag geplante Etappe nach Astorga müssen wir halbieren, Susanne ist zu schwach.
Dann geschieht ein kleines Wunder. Es hört auf zu regnen. Zum ersten Mal seit über drei Wochen ist es trocken in Nordspanien. Und selbst im grünen Galicien – ansonsten mit 2.000 mm Niederschlägen pro Jahr die regenreichste Ecke Spaniens – scheint die Sonne. Bei angenehmstem Wanderwetter schaffen wir die ersten 400 Kilometer unserer Recherchereise von León über Santiago de Compostela nach Finisterre.
Über 600 Kilometer warten im Herbst noch auf uns; dann wollen wir die Pyrenäen, Navarra, Aragón, La Rioja und die spanische Hochebene Meseta in Angriff nehmen. Auf insgesamt 45 Etappen müssen wir nur 3 Regentage überstehen. Da hat Santiago wohl höchstpersönlich seine schützende Hand über uns gehalten …