Marcus X. Schmid, der seinen vielfach gelobten Reiseführer zu Korsika soeben in 11. Auflage neu herausgebracht hat, ist kein Freund Napoleons. Was nicht so einfach ist, wenn man auf der französischen Mittelmeerinsel recherchiert. In seiner fast schon blasphemischen On Tour-Reportage stellt er Carlo Andrea Pozzo di Borgo vor, einen der großen Gegner Napoleons, und erzählt nebenbei, was der Kinofilm »Ziemlich beste Freunde« mit den Nachfahren der Pozzo die Borgo zu tun hat.
Der Kult um Napoleon in seiner Geburtsstadt Ajaccio ist mir einfach unerträglich. Deshalb mache ich heute der dortigen Stadtregierung den Vorschlag, eine Gedenkfeier zum 200. Jahrestag der Schlacht von Waterloo zu veranstalten. Am 18. Juni 1815 wurde Europa von Napoleon befreit, keine zwei Monate später haben die Engländer den gescheiterten »Empereur« aus Europa entfernt. Auf der Insel St. Helena im südlichen Atlantik haderte er für den Rest seines Lebens mit dem Schicksal und zankte sich mit seinen letzten Getreuen, die ihn begleiteten – in Europa interessierte das keinen mehr.
Da ich ziemlich sicher bin, dass die Stadtregierung von Ajaccio meinen Vorschlag eines »Bicentenaire Waterloo« ablehnen wird, räche ich mich mit einem privaten Gedenken an einen anderen Bürger von Ajaccio, Carlo Andrea Pozzo di Borgo, einen der großen Gegner Napoleons. Auf ihn hatte mich vor rund 25 Jahren der Leiter des kleinen Museums »A Bandera« in Ajaccio gestoßen. Er meinte, statt eine weitere Ausstellung über Napoleon zu zeigen, täte man gut daran, einmal an die Geschichte der Pozzo di Borgo zu erinnern.
Carlo Andrea Pozzo di Borgo – einer der großen Gegner Napoleons
Die Familie Pozzo di Borgo gehört zu den ältesten der Insel, sie lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Im hügeligen Hinterland von Ajaccio erinnert das Château de la Punta an sie, in der korsischen Hauptstadt das diskrete Luxushotel Palazzu u Domu – das einstige Stadtdomizil der Pozzo di Borgo. Im 16. Jahrhundert wandert die Familie Bonaparte vom italienischen Festland ein, und schon bald kommt es zwischen den beiden Clans zu freundschaftlichen Beziehungen, die nicht selten in Hochzeitsfeierlichkeiten mündeten. Vermutlich ist Carlo Andrea Pozzo di Borgo ein weit entfernter Cousin von Napoleon Bonaparte.
In ihrer Jugend sind die beiden miteinander befreundet, politisch driften sie aber bald auseinander. Napoleon unterstützt während der Französischen Revolution die radikalen Jakobiner, Carlo Andrea hält es mit Pasquale Paoli, dem Vater der korsischen Unabhängigkeit, und den Engländern, deren Protektorat über die Insel er akzeptiert. Als Napoleon im Namen Frankreichs die Insel erobert, flieht Carlo Andrea nach Rom, dann nach England und ist fortan einer der glühendsten Gegner des späteren Kaisers.
Sein Weg führt ihn durch zahlreiche Hauptstädte Europas, schließlich stellt er seine bemerkenswerten Fähigkeiten als Strippenzieher in den Dienst des russischen Zaren Alexander I. Er nimmt nebenbei an mehreren Schlachten gegen Napoleon teil, auch an der letzten bei Waterloo. Noch auf der fernen Insel im Atlantik, soll der abgehalfterte Kaiser gezürnt haben, es sei Pozzo di Borgo gewesen, der den russischen Zaren dazu überredet hätte, in Paris einzumarschieren, und damit über das Schicksal Frankreichs und der europäischen Zivilisation entschieden hätte. Entschieden war zumindest über das Schicksal Napoleons.
Die Bonaparte und die Pozzo die Borgo heute
Ich würde zu meiner imaginären 200-Jahr-Feier gerne auch die heutigen Vertreter der einst verbandelten und dann verfeindeten Clans nach Ajaccio einladen. Die Bonaparte könnte Prinz Charles Napoléon vertreten, der Stammhalter der kaiserlichen Familie. 2001 bewarb er sich um das Amt des Bürgermeisters von Ajaccio, er vertrat die Idee eines nachhaltigen Tourismus auf der Insel und kooperierte lieber mit der Linken als mit der Rechten. Gar nichts konnte der Bonaparte-Spross mit dem »Bonapartistischen Zentralkomitee« anfangen, das damals in Ajaccio den Bürgermeister stellte. Er fand die Bonapartisten schlicht zu »rétro«. Heute macht der Prinz im Rahmen des »Mouvement Démocrate« auf dem französischen Festland Politik.
Für die Familie Pozzo di Borgo wünsche ich mir Philippe Pozzo di Borgo als Ehrengast. Der einstige Chef des Champagnerhauses Pommery ist seit einem Gleitschirmunfall querschnittgelähmt. Die Verfilmung seines autobiographischen Berichts »Le second souffle« machte unter dem Titel »Ziemlich beste Freunde« auch in Deutschland Furore. Nach einer langwierigen Depression hat der an den Rollstuhl gefesselte Mann wieder Hoffnung geschöpft. »C’est si bon la vie« lautet der letzte Satz seines Berichts.
Wider das Dunkel der Historie
Wie gesagt, ich fürchte, dass mein Vorschlag eines »Bicentenaire Waterloo« bei den Behörden Ajaccios auf taube Ohren stößt. Immerhin habe ich mit diesen paar Zeilen vielleicht Carlo Andrea Pozzo di Borgo für ein paar Minuten dem zunehmenden Dunkel der Geschichte entrissen.