On Tour

Murphys Law

»Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.« Vom besseren Scheitern wusste nicht nur Samuel Beckett einen Vers zu schmieden. Auch Jan Szurmant hat es trotz aller Unannehmlichkeiten, die einem das (Recherche-)Leben bereitet, immer wieder geschafft, seine Reiseführer doch noch zu einem guten Ende zu bringen. Im Januar sind seine zwei MM-City-Bände zu »Krakau« und »Warschau« (zusammen mit Magdalena Niedzielska) aktualisiert erschienen. Was kurz davor und danach geschehen ist, erzählt unser Polen-Experte hier.


Irgendwann in den späten 40er- oder frühen 50er-Jahren war es soweit. Ein kluger Kopf namens Edward Aloysius Murphy Jr. formulierte das aus, was der Menschheit intuitiv schon seit Jahrtausenden bekannt war: »Alles, was schief gehen kann, wird schief gehen.« Murphys Gesetz war geboren und fortan übertrugen v. a. Naturwissenschaftler, Ingenieure und Informatiker die Gesetze auf ihre eigene Arbeit. Wo immer Fehler in einem komplexen System auftreten können, sind die Weisheiten des Ingenieurs Murphy nicht weit. Auch mein Chemielehrer aus Gymnasialzeiten war infiziert, nach wiederholten missglückten Versuchen murmelte er stets seine Version durch den angegrauten Rauschebart in die Weiten des Chemieraums: »Es heißt ja auch Versuch und nicht Geling.«

Kennen Sie schon, alles ein alter Hut? Allerdings wissen Sie sicher noch nicht, dass Murphys Gesetze ganz besonders auch auf Reisebuchautoren zutreffen. Schließlich handelt es sich auch bei unserer Arbeit um komplexe Systeme. Zu beachten sind etwa meteorologische Unwägbarkeiten, das Zur-falschen-Zeit-am-falschen-Ort-Dilemma, die kleinen Tücken des Alltags und die Kooperation mit kooperationsunfreudigen Kontakten dort, wo sich alles abspielt: am Urlaubs- bzw. Rechercheort.


Im Folgenden einige Gesetzmäßigkeiten aus dem Alltag eines Reisebuchautoren:

1. Während an den meisten Tagen des Jahres traumhafte Lichtverhältnisse herrschen, ändert sich das just mit Beginn der Recherche. Vor die Linse kommen nun unvorteilhafte Dunstschleier, gleißende Sonnenstrahlen oder Fassaden, deren bunte Farben vor lauter Grau nur zu erahnen sind.

Die Krakauer ul. Florian’ska bei Regen
Die Krakauer ul. Florian’ska bei Regen

2. Je wichtiger eine Sehenswürdigkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass irgendwelche staatlichen oder halbstaatlichen Organisationen eine recht gewöhnungsbedürftige Vorstellung von Kultur als Allgemeingut haben. Was bedeutet das? Die Mondpreise, die sie für die Veröffentlichung von Fotos verlangen (die man selbstredend selbst geschossen hat), übersteigen die Rechercheausgaben um Längen.

3. Genau das Foto, das vom Layout im Querformat benötigt wird, hat man nur im Hochformat. Oder umgekehrt.

4. Wenn man mal keinen Regenschutz dabei hat, fängt es an, so richtig zu schütten. Vom Regenguss ertränkt werden dann auch sämtliche handschriftlichen Notizen, also die Arbeit eines halben Tags. Klingt zu sehr nach Blues? Man, it happens!

5. Die Unterkunft, die du dir während der Recherche leisten kannst, ist umgekehrt proportional luxuriös und sauber zu den Unterkünften, die du im Buch empfiehlst. Und Kakerlaken sind nicht gerade auskunftsfreudig, was Geheimtipps zu ihrer Heimatstadt angeht. Kammerjäger übrigens ebenso wenig.

6. Wenn man während einer Aktualisierungsrecherche bei den Unterkunftsadressen eigentlich nur mal nach dem Rechten schauen will, trifft man dann doch wieder auf die ältere und sehr sympathische Pensionsbesitzerin. Man bringt es dabei nicht übers Herz, ihr den Wunsch abzuschlagen, nach vier Stunden auch noch die Details des neuen Vogelhauses im Garten zu inspizieren.

Solche Hilfestellungen bei der Verortung der Apps sind äußerst selten – hier sieht man das Warschauer Wilson Hostel mit einem Motiv des Balls Wilson aus dem Kinofilm Cast Away mit Tom Hanks.
Solche Hilfestellungen bei der Verortung der Apps sind äußerst selten – hier sieht man das Warschauer Wilson Hostel mit einem Motiv des Balls Wilson aus dem Kinofilm Cast Away mit Tom Hanks.

7. Neue Restaurants schließen so schnell, wie sie aufgemacht haben. Und das ist in der Regel eine Woche nach Erscheinen der neuen Auflage, in die man genau dieses Lokal gepackt hat.

8. Es gibt nicht wenige Gastronomen, die eine Begrüßung wie »Guten Tag, ich bin Autor dieses Reiseführers und würde Ihr Restaurant gerne für die neue Auflage berücksichtigen. Vor zwei Monaten habe ich bei Ihnen sehr gut gegessen« ein wenig anderes interpretieren, und zwar ungefähr so: »Ich bin nur die Vorhut einer global tätigen Schutzgelderpresserorganisation, beantworten Sie umgehend meine Fragen. Ach übrigens, ein heimeliger Kindergarten, in den Ihr Töchterchen geht.«

9. Notizen, die lange genug neben dem Laptop lagen, kann man wegwerfen. Sobald man sie weggeworfen hat, braucht man sie aber doch.

10. Je länger, sympathischer und hilfreicher ein per Post verschickter Leserbrief ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Absenderadresse fehlt. Dem Autor fällt dies natürlich erst auf, nachdem er seinen ebenso ausführlichen und sympathischen Antwortbrief bereits geschrieben hat.

Graffiti von Mariusz Waras mit schwarz-weißen Warschau-Impressionen – die Häuserwand wurde kurz nach der Erstveröffentlichung eingerissen.
Graffiti von Mariusz Waras mit schwarz-weißen Warschau-Impressionen – die Häuserwand wurde kurz nach der Erstveröffentlichung eingerissen.

11. Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Ein begeisterter Leser verwechselt amazon-Sterne mit Schulnoten und gibt mit bester Absicht eine 1.

12. Alles dauert länger, als man denkt. Und zwar v. a. dann, wenn man sich sicher ist, für eine Aktualisierungsrecherche besonders großzügig Zeit eingeplant zu haben. Die Kosten steigen dabei mehr als nur linear.

13. Eine Abkürzung ist die größte Entfernung zwischen zwei Punkten. Vertrauen sollte man weder den vor Ort erhältlichen Karten noch den Satellitenfotos aus dem Internet.

14. Die bis zum Abgabedatum verbleibende Arbeit steigert sich mit dem Herannahen des Termins ins Gigantische.

15. Die Seitenzahl eines Reiseführers ist immer zu gering, um alles unterzubringen. Ganz egal, wie viele zusätzliche Seiten man vor der Aktualisierung beim Verlag erbettelt hat.

16. Alles was du suchst, findest du mit Sicherheit an dem Ort, an dem du als letztes nachschaust. Das betrifft auch Computerordner und das Mailfach.

17. Häuser sehen von oben komplett anders aus, als man sie von vertrauten Recherchewegen zu kennen meint. Das Verorten für die Apps ist deshalb eine Fitzelarbeit, bei der man ständig zwischen Street View, Fotos und Satellitenansicht hin- und herspringt, um mit viel Glück nach zwei Stunden nicht schlauer zu sein.

Das Warschauer Diuna wurde zwischen Erstrecherche und Erstauflage des MM City Warschau geschlossen...
Das Warschauer Diuna wurde zwischen Erstrecherche und Erstauflage des MM City Warschau geschlossen...

18. Restaurants, Clubs, Kneipen, Cafés und auch Museen oder sogar Kirchen setzen bei ihren Internetauftritten gern auf für Sicherheitslücken bekannte Programme. Nachdem man für die Internetrecherchen die liebgewonnen Schutzmauern um seinen Browser eingerissen hat, vergisst man, das entsprechende Plugin wieder zu deaktivieren und fängt sich einen Virus ein, der mit »schwarzer Tod« harmlos umschrieben wäre.

19. Wichtige Änderungen, die den gesamten ÖPNV einer Stadt betreffen, werden generell umgesetzt, kurz bevor das Buch in Druck geht, gerne aber auch kurz nachdem die neue Auflage erschienen ist.

20. Diese Liste sollte eigentlich 20 Punkte umfassen, doch nach dem 19. war sie da: die gefürchtete und unüberwindbare Schreibblockade.

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