Ja, ja, ja – Müller-Recherchen sind nicht so einfach. Ein Liedchen davon kann Achim Wigand trällern, seines Zeichens München- und, Achtung, Montenegro-Autor (was diese beiden Reiseziele verbindet, wird auf ewig ein Rätsel des Autors bleiben). Für die 2. Auflage des Montenegro-Guides (die im März 2010 erscheinen wird) ist er fleißigst am Reisen, Schreiben – und Fotografieren. Zum Glück hat er genügend Equipment mit, denn manchmal baut man sich aus einem USB-Kabel einen Lendenschurz, während kleine Kinder weinen … Ein Einblick in den harten Alltag eines Reisebuchautors für Schadenfreudige.
Dem pauschalreisenden Strandtouristen ist’s egal – er braucht seine Badehose, ein »Bier-formte-diesen-wunderschönen-Körper«-T-Shirt und für kühle Abende vielleicht noch ein »Koma-08-Lloret«-Sweater. Alles andere liegt von der Zimmermaid bereit im All-Inclusive-Hotelbett oder kann für schale Münze in kaum nennenswerter Qualität an der Strandbude erworben werden. Der Individualreisende, womöglich noch von Outdooraktivitätsdrang beseelt, tut sich deutlich schwerer. In der präsumtiven Wildnis, in die er sich aufmacht, muss alles zur Hand oder wenigstens am Mann, mindestens aber im Auto sein. Zeit also für die Fragen an den Experten – den notorischen Reisebuchschreiber, unterwegs im Dienst des Lesers an entlegenen Enden der Welt – was denn so unbedingt hinein muss, in den Koffer, das Topcase oder die Satteltaschen.
Alles für den Verlagschef
Ganz wichtig vor allem: Ein Berg von Elektronik. Ohne Digitalkameras stehen im Buch nur Buchstaben, die Bildredaktion mopst sich und der Verlagschef schimpft. Eine Spiegelreflex samt üppig bestücktem Objektivkoffer und eine kleine »Immer-dabei-Knipse« für die Bergtour müssen schon sein. Und für die zu erwartenden Bildermengen – die steten Mahnungen des Chefs nach reichlich Motivauswahl im Ohr – eine Handvoll Speicherkarten. Inklusive Adaptern. Für die riesigen Landschaftsportraits, es gilt schließlich ein A5-Überformat zu illustrieren, packe ich sicherheitshalber noch ein stabiles (i. e. mörderschweres) Stativ ein. Zur Datensicherung noch eine externe Festplatte, theoretisch kann man ja einmal eine Speicherkarte verlieren. Integrale Schnittstelle des modernen Reisejournalisten ist natürlich ein tragbarer Computer (17''-Screen Minimum, damit man schon mal vor Ort sieht, welche Bilder der Verlagschef besonders misslungen findet). Obligatorisch sind ferner noch jede Menge Netzteile und Ersatzakkus – hat ja nicht jede Schutzhütte Strom. Telefon (Zweitgerät für die Auslands-SIM ganz wichtig) und UMTS-Karte sind Pflicht: Der heimisch vernetzte nachgeordnete Bereich von Lektor bis Marketing muss ja stets mit dem Neusten versorgt sein.
Die Kinder am Strand lachen und weinen
Über diese basale Grundausstattung kann man freilich schon einmal die Grundregel des »Hitchhiker’s Guide to the Galaxy« vergessen: Nie ohne Handtuch in den Weltraum! Und schon gar nicht nach Osteuropa. Egal, kann man ja im nächsten Hotel klauen, wir sind ja lockere Hippievögel mit einem sehr kommunitaristischen Eigentumsbegriff. Schade halt, wenn die erste Übernachtung wegen läppischer Inkongruenzen von Zeitplan und Berufsethos von Zöllnern – jahaha, so was gibt’s noch, geschmeidig über Staatsgrenzen flutschender EU-Bürger! – in einem doch elementaren Fernfahrermotel bei Subotica vollzogen werden muss. Es verfügt leider über keine Duschen weshalb nur handtellergroße Trockentücher bereitliegen. Ein paar Tage später versuche ich dann, meinen aufgeschwemmten Körper (Gastrorecherchen!) mit diesen Frotteezipfeln trocken zu tupfen. Die Kinder am Strand lachen. Für den Wechsel von Bade- zur Alltagsgarderobe (auch nur kurzfristige Entblößungen primärer Geschlechtsorgane sind an den Stränden Ex-Jugoslawiens gar nicht gern gesehen) bastele ich mir aus einem langen USB-Kabel und den beiden Läppchen eine Art Lendenschurz. Sieht sehr nach Sumo aus, wohl auch wegen meiner fetten Wampe (Gastrorecherchen!!) und hält auch eine erstaunliche Anzahl von Zehntelsekunden. Die Kinder am Strand weinen.
Gut, wenn sich Probleme von selbst lösen!
Wenigstens finde ich dieses Jahr alles ohne große Umwege und Irrfahrten, denn ich habe aufgerüstet. Mein handlicher GPS-Empfänger, für die digitale Aufzeichnung von Wanderungen inzwischen Grundausstattung jedes Müllerbuchschreibers, stammt aus dem oberen Regalbrettern des Sortiments und kennt sogar montenegrinische Feldwege. War auch gar nicht teuer, in einer chinesischen Sonderwirtschaftszone zum halben deutschen Ladenpreis geordert. Das Zeichen für »Sprache« habe ich auch schon nach wenigen Wochen herausbekommen und die Benutzerführung von Mandarin auf Österreichisch umstellen können. Der größeren Empfangssicherheit wegen habe ich mir noch – selbstredend händisch aus Basiszutaten aus dem Conrad-Katalog, auch bei mir ist Finanzkrise – eine externe Antenne zusammengelötet. Völlig unerwartet funktioniert sie auch noch tadellos. Schade halt, dass ich sie beim Kaffeetrinken an einer Tanke in Ungarn liegen lasse. Das ärgert mich aber nur kurz, denn schon zwei Tage später vergesse ich mein Navigationswunder auf dem Autodach und werfe es mit dem nächsten Beschleunigungsvorgang dem nachfolgenden Lkw vor die Riesenreifen. Was soll ich da mit einer externen Antenne?
Schade halt, dass man mit zwei Multitools am Gürtel nicht gegen alle Naturunbill gerüstet ist
Sine qua non ist ohne Frage allerbestes Schuhwerk, erst recht, wenn Wander- oder Trekkingtouren auf dem Rechercheprogramm stehen. Zum Wandern ist es aber an der Adriaküste gerade zu heiß und deshalb tue ich in Rom wie die Römer, respektive in Montenegro wie die Montenegriner: Flip-Flop rules! Schade halt, dass nach ein paar Tagen meine von Bundeswehrstiefeln weiland plattgelatschten Füße der modischen Mimikry nicht mehr standhalten und so schleiche ich demütig gesenkten Haupts in ein Schuhgeschäft. Für ein Spottgeld bekomme ich ein Paar todschicke Treter aus mittelfränkischer Produktion – wer weiß, vielleicht sind sie sogar echt. Natürlich in Orange, ich habe einen ästhetisch fragwürdigen Fimmel für diese Farbe. Macht mich nämlich noch bleicher. Aber was heißt hier bleich: Nach nur wenigen Tagen direkter Exposition unter die heiße Mittelmeersonne wirft die Haut meines rechten Unterarms viele kleine Bläschen und meine Schultern haben nach der unangemessenen Verwendung eines Muscleshirts (welche muscles übrigens? Da sieht man nur die Folgen von Gastrorecherchen!!!) ziemlich genau die Farbe überreifer Maulbeeren.
Sonnencreme mit LF über 15 oder gar Sunbloc bieten die hiesigen Geschäfte kaum feil – der zünftige Sonnenbrand gilt den serbischen Touristen immer noch als Statussymbol – und mitgenommen habe ich auch keine. Mit zwei Multitools am Gürtel hielt ich mich für alle Naturunbill gut gerüstet.
Mit meinen neuen Schuhen – hab ich das schon gesagt: total schick! und Orange!! – mache ich mich am nächsten Tag auf in die Ruinenstadt von Svac, da fehlen noch Bilder. Es ist wieder glühend heiß und deshalb verzichte ich, obwohl das Gelände anspruchsvoll aussieht, auf die trittsicheren Bergstiefel. Die sind ohnehin noch neu (also richtig nietennagelneu, ungetragen, Einlatschen habe ich irgendwie nicht mehr geschafft) und blau, klarer Nachteil. Schade halt, dass ich deshalb in eine Felsspalte rutsche und meinen großen Zeh dort fachgerecht verdrehe. In wenigen Stunden wird er lichtblau angelaufen sein (passt jetzt farblich prima zu meinem Rücken – und den Bergstiefeln, wegen des Hämatoms aber nicht mehr hinein). Lohn der Plackerei: Die Luft ist dunstig, die Fotos haut mir der Verlagschef wegen Dunst und fehlender Menschenmassen bestimmt auch wieder um die Ohren und die Spinnen in den Netzen zwischen den Mauerresten sind, brrr!, fast untertassengroß. Für den Weg durch die Ruinen habe ich fast eine Stunde gebraucht, wenigstens habe ich für die sehr anstrengende und gar nicht ungefährliche (s. o.) Runde ohne jedweden Schatten kein Wasser mitgenommen und stehe kurz vor dem Dehydrationskollaps. Zigarrengroße (Gran Corona) Heuschrecken flattern um meinen Kopf.
Aber die Fauna verspricht auch zoologische Linderung des Autorenleids. An der Rückseite des Rumija-Massivs, auf der wunderbaren ›Klosterroute‹ über dem Skadarsee übermangele ich beinahe eine Eselsfamilie. Einer ist noch ganz klein und würde wunderbar auf die Ladefläche meines Kompaktwagens passen und mich künftig der elenden Fußarbeit entheben. Ganz zu schweigen vom Buhei, dass ich mit so einem Einkaufskorbträger auf dem Münchner Viktualienmarkt ernten würde. Wenn der dann den exklusiven Wildkräutersalat (100g für 3,95!) plündert! Schade, dass der niedliche Stakser etwas schüchtern ist und partout nicht einsteigen möchte. Nach einigen vergeblichen Fangversuchen schnaubt mich das Muttertier böse an und ich humpele zurück in mein heißes Auto. Gedemütigt, verscheucht von einer resoluten Eselsstute.
Das atemberaubend schöne Ende der Welt
Nach der Pleite mit dem Eselchen und meinem angeschwollenen Zeh – vielleicht sollte ich ihn mit einem USB-Stick schienen? Davon habe ich immerhin noch vier Stück – entfällt mein umfangreiches geplantes Wanderprogramm in Prokletije- und Durmitorgebirge und ich mache mich nur etwas getreten und verbrannt (alles wegen der Fotos! Hörst du, Verlagschef?) auf den Rückweg. Nicht allerdings, ohne in einem wirklich niedlichen Hotel mein Necessaire liegen zu lassen. In Plav, kurz vor dem Ende der Welt (das Ende, wenngleich ein atemberaubend Schönes, ist in Gusinje; da verliere ich bloß meinen Ersatzschlüssel für’s Auto). Die Hotelbetreiber finden das am Telefon auch schade, aber zur Post, nein, das ist so schrecklich kompliziert.
So macht das der Profi: Elementare Utensilien vergessen (s. o.), dann etappenweise Ballast abwerfen, aber nur das Wichtigste (s. o.).
Fährt vielleicht zufällig jemand nach Plav?