Seit 23. November wird die 2. Auflage des »Ägypten«-Guides ausgeliefert. Im folgenden Artikel beschreibt Ralph-Raymond Braun, ausgewiesener Ägypten-Kenner und Ex-Reiseleiter mit Knasterfahrung, den komplizierten Weg zu den Geheimtipps einer Oasenhauptstadt. Denn original römische Festungen gibt es tatsächlich auch in der Wüste.
Trotz langer Bekanntschaft mit Ägypten habe ich dort längst noch nicht alles gesehen. Und nehme mir bei jeder Recherchereise für die Aktualisierung der Bücher auch die Zeit, ein Randgebiet abseits der gängigen Touristenpfade intensiver zu erkunden. Dieses Mal habe ich die Oase el-Charga gewählt. An den Sights in unmittelbarer Nähe der Oasenhauptstadt Medinet el-Charga trifft man inzwischen auch erste Reisegruppen: Zu deren Pflichtprogramm gehören der Hibis-Tempel, eines der seltenen Denkmäler aus der Perserzeit. Und gleich dahinter der Friedhof Bagawat, in dessen Grabhäusern sich vom 4.-6. Jh. Chargas Christen bestatten ließen.
Die Saalburg Ägyptens
Bei früheren Besuchen waren Exkursionen in die Randbezirke der Oase stets daran gescheitert, dass es entweder keinen Geländewagen oder keine Erlaubnis der Sicherheitskräfte gegeben hat. Dabei gehört der Steilabfall am Nordrand der Oase zu den faszinierendsten Szenarien der Westlichen Wüste. Es gibt Sanddünen, pharaonische Tempel und eine ganze Kette herrlich gelegener römischer Wüstenfestungen, die es vielleicht nicht mit der Saalburg oder Kaiseraugst aufnehmen können, dafür aber umso geheimnisvoller sind.
Auf Ägyptens Wüstenstraßen registrieren und kontrollieren Polizei und Militär an vielerlei Straßensperren jedes Fahrzeug. Ein Häuschen, ein Wassertank, Antennen und bunt angemalte Fässer, die mitten auf der Straße den Weg versperren und erst nach der Frage nach dem Woher und Wohin und etwaigen Ausländern im Fahrzeug beiseite geräumt werden.
Ein Schatten namens Mohamed
An den Zufahrten nach el-Charga bleibt es nicht bei neugierigen Fragen. Ausländer bekommen hier eine Eskorte, die sie bis zum Verlassen der Oase begleiten wird. Mein Schatten heißt Mohamed, kann kein Wort Englisch, hat eine schwarze Lederjacke, ein Funkgerät, eine Pistole und eine triefende Nase, aber keine Taschentücher. Er wird mich morgens in der Hotelhalle erwarten und abends dort wieder abliefern. Mit aufs Zimmer geht er dankenswerterweise nicht. Offenbar bin ich ein besonders wichtiger Gast. Oder Mohamed ein besonders Pflichtbewusster. Ich treffe nämlich andere Urlauber, die keinen Begleitservice haben. (Zum Beispiel zwei Backpacker, die unerkannt dem Busbahnhof entschlüpften.) Oder den netten Kollegen von Wikitravel, der seinen Begleiter an einem heißen Tag auf dem Fußmarsch in den Gebel et-Teir abschüttelte, wo er Felszeichnungen suchen wollte (und fand! Siehe: wikitravel.org).
Ein informelles Reisebüro mit maßgeschneiderten Programmen
Neben den Checkpoints und den Hotels sind die Touristinformation und das örtliche Museum strategische Schlüsselstellungen, um Touristen zu treffen. Und damit Zweigstellen von el-Chargas informellem Reisebüro. Der quirlige Mohsen Abd el-Moneim, PR-Manager der Tourist Authority, hat Zugriff auf einen Jeep – offenbar den einzigen, der in el-Charga gemietet werden kann. Und der fachkundige Museumsdirektor Mahmoud Youssef erlaubt durch seine Begleitung den Besuch der unerschlossenen Wüstenburgen und führt zu seinen Geheimtipps. Zum Beispiel einem vom Wind zernagten koptischen Grabtürmchen, das man in diesem Stil eher im türkischen Lykien erwartet hätte. Mit zwei unscheinbaren Gräbern aus der 6. Dynastie belegt Youssef, dass el-Charga schon vor 2400 Jahren zu Ägypten gehörte – die Lehrbücher wissen von dieser Entdeckung noch nichts. Ein Höhepunkt ist er Besuch bei einem Bauern in der Minioase ›Ain el-Labacha. Fayed Hassanein Tulaib hat die antiken Stollen gereinigt und wieder instand gesetzt, die das Wasser tief aus dem Berg sammeln und in die Ebene leiten. So konnte er mitten in der Wüste eine Farm anlegen.
Beides, Service und Monopol, kostet natürlich. Für einen Tagesausflug im Geländewagen zahlt man wenigstens 120 Euro. Dafür bekommt man ein maßgeschneidertes Programm samt Lunch. Und bei so honorigen Begleitern durfte auch Mohamed, nicht ohne heftiges Walky-Talky-Gequäke mit seinen Chefs, eine Auszeit nehmen und mich für einen Tag aus den Augen lassen. Das hat er später nur noch gemacht, als ich im Polizeiclub essen ging.