Reportage

David Bowie in Berlin


»I lived in Hauptstraße 155 in Charlottenburg«. Ein fast schon ulkiger Satz, den David Bowie da in der Harald Schmidt Show im Jahr 2002 von sich gab. Denn besagte Hauptstraße befindet sich nicht in Charlottenburg, sondern in Schöneberg ein paar Kilometer weiter südöstlich. Man kann Bowie aber zugutehalten, dass zwischen seiner West-Berliner Zeit und seinem Auftritt bei Harald Schmidt schon ein Vierteljahrhundert ins Land gezogen war. David lebte von 1976 bis 1978 in Berlin. Und so ganz nüchtern soll er da ja auch nicht immer gewesen sein.


Kein Glamour in der Nummer 155

Vor der Haustür der Hauptstraße 155 in Schöneberg (Foto: Gabriele Tröger)
Vor der Haustür der Hauptstraße 155 in Schöneberg (Foto: Gabriele Tröger)

Die Hauptstraße in Schöneberg ist eine laute Multikultistraße, mit einer Menge Dönerläden und dem Deko Behrendt, einem aus der Zeit gefallenen Laden, der seit über 100 Jahren Affenkostüme, Furzkissen und Fußballnasen verkauft. Mit dem Tod des Meisters am 10. Januar 2016 avancierte die Nummer 155 zu einer Pilgerstätte. Vor der Haustür liegen rote Rosen. Fans halten kurz in zweiter Reihe, steigen aus und zünden Grablichter an. An der Wand eine weiß-blaue Gedenktafel mit dem Refrain des wohl berühmtesten Bowie-Songs: »We can be heroes, just for one day.« Nach Sex, Drugs & Rock ’n' Roll sieht die Tafel der KPM, der Königlichen Porzellan-Manufaktur (aus Berlin), aber nicht aus; eher nach Schwimmbadkachel …

Hat was von einer Schwimmbadkachel … Die Gedenktafel für David Bowie (Foto: Gabriele Tröger)
Hat was von einer Schwimmbadkachel … Die Gedenktafel für David Bowie (Foto: Gabriele Tröger)



Auch sonst kein Hauch von Glamour in der Hauptstraße 155. Wo sich heute ein Tattooladen und eine physiotherapeutische Praxis befinden, wurden damals Autoersatzteile verkauft. Bowie lebte genau darüber, im ersten Stock in einem sieben Zimmer großen Stuckaltbau. Bis die Wohnung zur Verfügung stand, fand der Popstar eine vorübergehende Bleibe bei Edgar Froese, einem Begründer der Berliner Krautrock-Band »Tangerine Dream«. Froese setzte Bowie auf kalten Entzug – der Star war ein Drogenwrack, als er von Los Angeles nach Berlin flüchtete. »Der Grund für diesen Umzug war wohl die zerstörerischste Phase meines Lebens«, erzählte er 1990 in einem Interview mit der WELT.


Boomender »Bowie Berlin Walk«

Einst hieß es Anderes Ufer, das schwullesbische Café, in dem David Bowie und Iggy Pop während ihrer Berliner Zeit ein- und ausgingen (Foto: Gabriele Tröger)
Einst hieß es Anderes Ufer, das schwullesbische Café, in dem David Bowie und Iggy Pop während ihrer Berliner Zeit ein- und ausgingen (Foto: Gabriele Tröger)

Die meisten dieser Geschichten erfahre ich von Philipp Stratmann, einem Guide der Berlin Music Tours, dem ich auf den Spuren des Helden folge. Der »Bowie Berlin Walk« boomt, interessanterweise vor allem bei jungen Musiknerds aus dem angelsächsischen Raum. Deutschsprachige Führungen gibt es nur auf Anfrage.
Philipp führt seine Gruppen auch ins Neue Ufer zwei Türen weiter, ein verrauchtes schwullesbisches Café, das bereits seit 1977 existiert, damals allerdings noch unter dem Namen »Anderes Ufer«. Bowie soll hier ein- und ausgegangen sein. Nicht selten mit Iggy Pop im Schlepptau, der es sich für ein paar Monate im Hinterhaus der Nummer 155 gemütlich gemacht hatte. Heute ist das Café eine Art Bowie-Schrein – aus allen Ecken scheint David über das regenbogenbunte Publikum zu blicken, das hier bei Bier oder Kaffee und hausgebackenem Kuchen sitzt.


Die legendären Tonstudios in Kreuzberg

Nun stehen wir im Foyer der legendären Hansa-Tonstudios an der Köthener Straße in Kreuzberg. In einem Teil Kreuzbergs übrigens, der nie cool war und es auch nie werden wird. In Spuckweite zum sterilen Potsdamer Platz, eingekeilt von Blocks aus den 1990ern.
Das prächtige Gebäude mit seinen neoklassizistischen Säulen wurde 1913 als Sitz eines Handelsverbands errichtet. In den 70er-Jahren stand es als kriegsversehrter, düsterer Solitär direkt an der Mauer – mit Blick aufs Niemandsland. Dank fehlender Nachbarn konnte man hier so viel Krach machen, wie man wollte. David Bowie nahm im so genannten »Meistersaal«, ehemaliger Kammermusiksaal und Kernstück des Gebäudes, seine »Berlin Trilogy« auf: »Low«, »Heroes« und »Lodger«. »The big hall by the wall«, nannte er den Saal.
Philipp hat ein Foto aus jener Zeit mitgebracht. Es zeigt Bowie zusammen mit dem amerikanischen Produzenten Tony Visconti und dem deutschen Toningenieur Eduard Meyer. Das Musikgenie ist spindeldürr, trägt Oberlippenbart und Holzfällerhemd – von einer Sexbombe oder Ziggy Stardust ist es weit entfernt.
Apropos Fotos: In Vitrinen im Aufgang zum Meistersaal lächeln einem all die Stars entgegen, die schon in den Hansa-Studios Platten aufnahmen. Iggy Pop hat Roland Kaiser zum Nachbarn. Der Godfather of Punk neben dem King of Schmalz.


Zwei Demos, zwei Welten

Am Reichstag. Eine laute Samstagsdemo zieht an uns vorbei, ein Huhn in Kleinlastergröße und dazu Tierschützer und Globalisierungsgegner mit Plakaten wie »TTIP ist doof« und »Monsanto – Bleibt uns vom Acker!«.
Philipp muss gegen die Menge anschreien, um uns vom 6. Juni 1987 berichten zu können. Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins fand hier, nur wenige Meter von der damaligen Mauer entfernt, das Festival »Concert for Berlin« statt. Zu Bowies Auftritt kamen 60.000 Besucher. Angeblich stellten die Veranstalter bewusst auch Lautsprecher gen Osten auf, um die getrennte Stadt symbolisch mit Musik zu vereinen. 5000 junge Ost-Berliner strömten in Mauernähe. Bowie grüßte sie mit den Worten »Wir schicken unsere besten Wünsche zu all unseren Freunden, die auf der anderen Seite der Mauer sind.«
Unter der Ost-Berliner Jugend entfachte das Konzert eine gesellschaftsübergreifende Gruppendynamik, »Die Mauer muss weg!« wurde skandiert. Das ging der Volkspolizei zu weit. Während Bowie »Heroes« anstimmte und von einem Liebespaar sang, das sich im Schatten der Berliner Mauer küsst, hagelte es auf der anderen Seite des antifaschistischen Schutzwalls Schlagstöcke. Nichts desto trotz und gerade deswegen ging das Festival als Auslöser der so genannten »Pfingstunruhen von 1987« in die Geschichte ein. Die Unruhen gelten heute als Startschuss für den gesellschaftspolitischen Wandel, der 1989 zum Fall der Mauer führte.


Weitere Infos

Berlin Musictours bietet zum Thema »David Bowie« mehrere Touren an. Der Bowie Berlin Walk dauert rund vier Stunden, ins Innere der Hansa-Studios gelangt man dabei jedoch nicht. Man kann aber auch eine Besichtigung nur durch die Studios buchen oder an einer »David Bowie in Berlin Special Tour« teilnehmen, die den Besuch der Hansa-Studios mit einer Multimedia-Bustour koppelt. Weitere Infos und Preise auf www.musictours-berlin.de.

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