Barbara Reiter und Michael Wistuba waren sogar noch im Sommer fleißig. Jetzt steht die komplett vor Ort aktualisierte Neuauflage ihres Reisehandbuchs zur Genferseeregion (2. Auflage 2007) in den Regalen der Sortimenter. Ein idealer Zeitpunkt, wurde doch ein Landstrich des schweizerischen Urlaubsgebiets unlängst von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet. Wie die Weinterrassen von Lavaux historisch entstanden sind, diverse Bausünden gegen den Willen der Winzer verhindert wurden und man jenes begehrte Prädikat überhaupt erhalten kann, erfahren Sie im Artikel der zwei Autoren.
Es war Donnerstag, der 28. Juni 2007, als kurz vor Mittag die Winzerdörfer am Nordostufer des Genfer Sees ihre Kirchturmglocken läuten ließen. Es galt eine für die Region frohe Botschaft zu verkünden, die eben aus dem fernen Neuseeland eingetroffen war. Dort hatte das Welterbekomitee der UN-Kulturorganisation UNESCO bei seiner Jahrestagung in Christchurch entschieden, die spektakuläre Weinterrassenlandschaft Lavaux zwischen Lausanne und Vevey als Stätte »von außergewöhnlichem, universellem Wert« in die UNESCO-Welterbeliste aufzunehmen. Das monatelange Arbeiten und hoffnungsvolle Warten im Kanton Waadtland am Genfer See hatte ein Ende. Winzer, Landschaftsschützer und Tourismusverantwortliche freuen sich nun – je nach Interessenlage – auf einen erhöhten Bekanntheitsgrad ihrer Region, einen nachhaltigen Schutz vor Bauvorhaben und Verschandelung sowie einen touristischen Mehrwert, der natürlich auch mit wirtschaftlichem Gewinn verbunden ist.
Die ersten Schritte zur Kandidatur
Die UN-Kulturorganisation UNESCO hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz des Erbes der Menschheit 1972 in Paris verabschiedet. Zur Zeit (Stand August 2007) umfasst die Liste des Welterbes 851 Stätte in 140 Ländern. 660 davon fallen in die Kategorie Kulturgüter, 166 sind Naturgüter und 25 zählen zu den gemischten Gütern, besser bekannt unter dem Begriff Kulturlandschaften. Um als Weltkulturerbe in die Liste aufgenommen zu werden, muss ein Objekt mindestens eines von 10 Kriterien für seine »Einzigartigkeit« erfüllen und dem Anspruch von Authentizität und Integrität genügen, also für echt und original befunden und vom jeweiligen Staat fortdauernd erhalten und geschützt werden. Weil die Liste mittlerweile sehr europa- und kulturgüterlastig ist, werden heute außereuropäische Kandidaten bzw. Anträge in der unterrepräsentierten Kategorie Kulturlandschaften bevorzugt. Damit standen die Chancen für das Lavaux von Anfang an recht gut, da eine Aufnahme als Kulturlandschaft angestrebt war.
Der Weg zum Weltkulturerbe Lavaux begann bereits 2004, als die Schweiz von der UNESCO aufgefordert wurde, eine Liste mit potenziellen Schweizer Welterbestätten zu erstellen. Eine Expertengruppe unter der Leitung des eidgenössischen Bundesamtes für Kultur einigte sich Ende 2004 auf fünf Objekte: das Werk des Schweizer Architekten Le Corbusier, die Rhätische Bahn im Kanton Graubünden, die prähistorischen Pfahlbauten an den Mittellandseen, die Uhrmacherstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle und das Weinbaugebiet Lavaux, die jeweils nacheinander als Kandidaten beim Welterbekomitee nominiert werden sollten. Den Anfang machte das »Lavaux«, eine Kandidatur wurde für Ende Dezember 2005 angepeilt. Es verblieb somit ein Jahr Zeit, um das erforderliche Bewerbungsdossier zu verfassen.
Die schützenswerte Kulturlandschaft Lavaux
Vermutlich schon seit der Zeit der Römer, schriftlich verbrieft allerdings erst seit rund 1000 Jahren, wurde diese rund 16 km lange und heute 14 malerische Winzerdörfer umfassende Gegend am Nordufer des Genfer Sees von Menschenhand geformt. Zisterzienser- und Benediktinermönche begannen im 11. Jh. die vom Seeufer steil bis an den Waldrand ansteigenden Hänge als Weinanbaugebiet zu gestalten, indem sie Trockenmauern und Terrassen anlegten. Sie schufen damit eine ideale Landschaft für die Reifung der Trauben, die von dem hier herrschenden Mittelmeerklima und den »drei Sonnen« profitiert: der direkten Einstrahlung der Sonne, der Spiegelung auf der Oberfläche des Genfer Sees und der nächtlichen Abstrahlung der in den Steinmauern gespeicherten Sonnenwärme. Heute hat das Lavaux über 10.000 Terrassen, die von rund 450 km Steinmauern gestützt werden. Der Weinbau ist noch immer wirtschaftliches Standbein der Region, dank der lokalen Winzer, die mit der Reformation in den Besitz der Rebberge kamen, im 19. Jh. die Reblausplage überstanden und den arbeitsaufwändigen und in der Erhaltung kostenintensiven Terrassenanbau stets beibehielten.
Abgesehen vom Nutzen für den Weinbau zog die grandiose Terrassenlandschaft mit Blick auf den tiefblauen Genfer See und die oft eisbedeckten Gipfel der französischen Alpen seit dem 18. Jh. Dichter, Maler, Fotografen und später Filmschaffende in ihren Bann. Jean-Jacques Rousseau schwärmte davon, Ferdinand Hodler und Gustave Courbet bannten das alpine Panorama auf die Leinwand und zuletzt war es Isabelle Huppert, die 2000 für Claude Chabrols »Merci pour le Chocolat« vor die Kulisse des Lavaux trat.
Als Bauvorhaben Ende der 1970er-Jahre die Reblandschaft bedrohten, votierte die Kantonsbevölkerung in einer Volksabstimmung für den Schutz des Gebiets – damals noch gegen den Willen der Winzer. Heute ist die Erhaltung der Terrassenlandschaft durch zahlreiche Gesetze sowohl auf Gemeinde-, Kantonal- und Bundesebene gewährleistet und durch strenge Baurichtlinien abgesichert. Ein Bewirtschaftungsplan sorgt für das nötige Gleichgewicht zwischen Nutzung und Bewahrung.
Die letzten Monate bis zur Entscheidung
Diese und noch weitere Argumente für die Einzigartigkeit des Lavaux fanden sich in dem 250 Seiten starken Bewerbungsdossier, das die im März 2005 aus zahlreichen Persönlichkeiten der Politik, Wirtschaft und Kultur gebildete »AILU« (»Association pour l’inscription de Lavaux au patrimoine mondial de l’UNESCO«) in sieben Monaten erarbeiten ließ. Beteiligt waren 30 Autoren, darunter Wissenschaftler der Universität Lausanne, Museumskonservatoren und Historiker sowie Grafiker und Fotografen, die mit ihren Werken zur optischen Anreicherung des Dossiers beitrugen. Am 15. Dezember 2005 wurde das Dokument an das Schweizer Bundesamt für Kultur weitergereicht, dort nochmals geprüft und 6 Tage später im diplomatischen Weg an die UNESCO in Paris übermittelt.
Nun vergingen acht Monate, bis ein Vertreter des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS), einer Unterorganisation des UNESCO, dem Lavaux einen Besuch abstattete. Von 21. bis 24. August 2006 inspizierte er Weindörfer und Rebberge und traf mit Vertretern des AILU zusammen. Ziel dieser Mission war es, dem Weltkulturerbekomitee eine Empfehlung bezüglich der Aufnahme des Lavaux zu geben. Der entsprechende Bericht wurde bereits im Januar 2007 übermittelt, zur Veröffentlichung gelangte er erst am 14. Mai 2007. Zur allgemeinen Freude in der Region fiel er positiv aus. Nun galt es noch, die tatsächliche Entscheidung des Welterbekomitees Ende Juni abzuwarten.
Bevor sich die Tourismusmanager jetzt an die Arbeit machen, das neue Prädikat gewinnbringend umzusetzen (neue, mehrsprachige Werbekampagnen sind schon in Planung), wird erst einmal groß gefeiert: Am 22. September 2007 gilt das Motto »Lavaux en fête« mit Volksfeststimmung, Degustationen und viel Musik in den Winzerdörfern des neuen Weltkulturerbes der »Weinterrassen von Lavaux«.
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