Ein Artikel von Annette Krus-Bonazza, der Autorin unseres Italien-Guides »Kalabrien & Basilikata«. Die Reisejournalistin informiert über Kooperativen als Vorreiter einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Kalabrien und der Basilikata.
Sie arbeiten im Norden und Süden Kalabriens, im gebirgigen und bewaldeten Inland, an den knapp 800 Kilometer langen, mal flachen, mal felsigen Küsten, in quirligen Badeorten, beschaulichen Provinzstädtchen und fast verlassenen Bergdörfern. Sie führen durch Kirchen und Kastelle, organisieren Stadtrundgänge, Bergwanderungen und Bootstouren, vermitteln oder vermieten Zimmer und Wohnungen, verarbeiten und verkaufen lokale Produkte, betreuen Museen, veranstalten Ausstellungen, Konzerte und Workshops. Sie nennen sich selbst- und geschichtsbewusst »Il Borgo e il Cielo« (Das Dorf und der Himmel), »Aquila Reale« (Steinadler) oder »Città Futura« (Zukunftsstadt), um nur einige Beispiele zu nennen, und bestehen in der Regel aus jungen Frauen und Männern zwischen 20 und 40 Jahren, die nicht mehr emigrieren, sondern in ihrer ökonomisch strukturschwachen, aber mit eindrucksvollen Natur- und Kulturlandschaften gesegneten Heimat bleiben wollen (oder nach einem Studien- oder Arbeitsaufenthalt im Norden bewusst dorthin zurückgekehrt sind).
Die Rede ist von stetig wachsenden Kooperativen, die auf eigene Rechnung und Initiative (im Schulterschluss mit Gemeinden, Provinz und Region, sogar mit Unterstützung der Europäischen Union und diversen Umweltorganisationen), einen nachhaltigen, also historisch-kulturell orientierten, umwelt- und sozialverträglichen Tourismus (turismo sostenibile) entwickeln wollen; wenn dabei auch noch Arbeitsplätze herausspringen, umso besser.
Zu den Pionierinnen der »Bewegung« gehört die Kooperative »San Leo« in der Provinz Reggio Calabria. Seit den 1990er Jahren bietet sie Wanderern aus ganz Europa im traumhaft gelegenen Aspromontedorf Bova eine Unterkunft; von März bis Oktober werden Führungen durch die faszinierende Bergwelt am Südzipfel des italienischen Stiefels angeboten. Darüber hinaus engagiert sie sich für den Erhalt, die Pflege und die Vermittlung der religiösen, sprachlichen, musikalischen und kulinarischen Traditionen der (alt)griechischen Gemeinden Kalabriens, zu denen neben Bova noch eine Handvoll benachbarter Bergdörfer zählen. Kultureller Höhepunkt im Festkalender der so genannten »Area Grecanica« ist das alljährlich im August in Bova und Umgebung ausgerichtete »Festivale Palearizza«, das musikalische, tänzerische und literarische Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart, den Kulturen Kalabriens und der Welt baut.
Ähnliche Ziele verfolgt die »Città Futura »Guiseppe Puglisi«, die ebenfalls in der Provinz Reggio Calabria seit mehreren Jahren aktiv ist. Man findet sie in Riace, vor dessen badefreundlichem Strand im Jahre 1972 zwei stattliche antike Bronzeskulpturen aus dem Meer gefischt wurden. Diese Funde, die als »Bronzi di Riace« weltweit Furore machten, wurden nun im Nationalmuseum von Reggio Calabria feierlich in Szene gesetzt. Die Aktivisten der 1999 gegründeten »Zukunftsstadt« haben dem bis dahin fast nur noch von alten Leuten bevölkerten alten Ortskern der ionischen Küstengemeinde gleichsam neues Leben eingehaucht. Die verlassenen Häuser der Emigranten wurden restauriert und in Ferienwohnungen umgewandelt. In einer neu eingerichteten Weberei und diversen anderen Werkstätten wird nun wieder – gemeinsam mit interessierten Gästen – nach alter Mütter und Väter Sitte Wolle und Ginster verwoben, Olivenöl gepresst und sogar Schafs- und Ziegenkäse, Brot und Orangenmarmelade produziert.
Darüber hinaus tischt die der »Città Futura« angeschlossene Kooperative »Il Borgo e il cielo« in der gemütlichen Taverna »Donna Rosa« deftige lokaltypische Gerichte auf, die nicht nur von jungen Dorfbewohnern, sondern auch von Flüchtlingen aus aller Herren Länder zubereitet und serviert werden. Die Integration liegt den Vereinigungen, zu deren Gründungsmitgliedern auch auf überfüllten Flüchtlingsschiffen an der ionischen Küste gestrandete Kurden zählen, ebenso am Herzen wie das Aufbegehren gegen die Mafia – daher auch der Name dieses Vereins, der dem sozial engagierten sizilianischen Priester Giuseppe Puglisi gewidmet ist. Er wurde 1993 in Palermo von der Mafia ermordet.
In ihrem »Hauptquartier«, dem respektablen »Palazzo Pinnarò«, hat die rührige Initiative ein kleines volkskundliches Museum eingerichtet, das auf anschauliche Weise über die Alltagskulturgeschichte des Ortes informiert.
Ähnlich verhält sich auch das »Museo di Storia dell’Agicoltura e della Pastorizia« im nordkalabrischen Morano, das im vergangenen Jahr aus den bescheidenen Räumlichkeiten einer ausgedienten Schule in die historische Großgrundbesitzervilla »Palazzo Salmena« umgezogen ist. Neukonzeption und Betreuung des Museums obliegen der noch jungen Kooperative »Perla del Pollino«, die den Besuchern der Gemeinde auf dem Territorium des Pollino-Nationalparks auch sonst mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie vermittelt Unterkünfte, organisiert historische Stadtspaziergänge und Ausflüge in die Umgebung der mittelalterlichen Stadt, deren eindrucksvolles architektonisches Ensemble sich in konzentrischen Kreisen um einen 700 Meter hohen Hügel vor der Kulisse der höchsten Gipfel des Pollino-Gebirges schmiegt. Ihre »Frontfrauen« residieren von April bis Oktober in der »Chiesa San Bernardino da Siena« neben dem sensibel restaurierten gleichnamigen Kloster aus dem 15.Jahrhundert, in dem in den Sommermonaten von der Kooperative mitveranstaltete Ausstellungen und Konzerte stattfinden.
»San Leo«, »Città Futura«, »Perla del Pollino« und andere lokale Kooperativen sind – übrigens auch in der Basilikata – die idealen Ansprechpartnerinnen und Gastgeberinnen für Individualreisende, die ihr Urlaubsziel zum Wohle von Land und Leuten entdecken und genießen wollen. Deshalb werden sie in der komplett überarbeiteten Neuauflage von »Kalabrien und Basilikata« ebenso gewürdigt wie offizielle Touristenbüros und die Vielzahl neu eröffneter Restaurants, Hotels und Agriturismi im vom Tourismus wachgeküssten südlichen Mezzogiorno.