Reportage

Bei mir biste scheen -
Feiern auf Jiddisch

Eine Neuerscheinung dieses Newsletters ist das Buch zu Krakau, der MM-City-Guide zur vielleicht schönsten Kulturstadt Polens (1. Auflage 2007). Unser neuer Autor Jan Szurmant hat während seiner Recherche (zusammen mit Magdalena Niedzielska) beim »Internationalen Festival der Jüdischen Kultur« einen Hort der Völkerverständigung und mehr als eine Woche tief empfundene Freude erlebt. 2007 jährt sich das multikulturelle Ereignis zum 17. Mal!


Das Akkordeon wird länger und länger, der Geigenton zieht und zieht sich, die Klarinette schreit und ächzt und jubelt, das Publikum tanzt entweder wild oder wiegt sich träumerisch hin und her … Krakau ist immer eine Reise wert, an manchen Tagen des Jahres aber noch mehr als sonst, wie ein Blick in den Festivalkalender zeigt. Die gesamte jüdische Welt schaut vom 23. Juni bis 1. Juli 2007 auf Polens Kulturhauptstadt. Zum 17. Mal lockt dann das »Internationale Festival der Jüdischen Kultur« Klezmermusiker, Rabbis, Wissenschaftler, Literaten und Besucher von überall her in den Stadtteil Kazimierz, in dem früher eines der bedeutendsten jüdischen Zentren in ganz Europa lag. An diese lange Krakauer Tradition anknüpfend hat sich das Festival seit dem Auftakt 1988 von einem überschaubaren Treffen zu einem der weltweit bedeutendsten Ereignisse seiner Art entwickelt. An den neun Tagen feiert der gesamte Stadtteil von morgens bis abends und bis in den nächsten Morgen hinein. Traditionelle jiddische Musik, Filme, Spektakel, Ausstellungen, Workshops, Lesungen und Diskussionen sorgen dabei für ein bunt gemischtes Programm von ernsthaft bis ausgelassen.

Klezmerlegenden und »Geigenpunk«: Zuhören und Tanzen beim wichtigsten Festival seiner Art

Joshua Nelson (USA) während einem der Konzerte des 15. Internationalen Festival der Jüdischen Kultur, 2005. (Foto von Pawel Mazur)
Joshua Nelson (USA) während einem der Konzerte des 15. Internationalen Festival der Jüdischen Kultur, 2005. (Foto von Pawel Mazur)

Im Mittelpunkt steht natürlich der Klezmer. Die ehemals zu Hochzeiten und Simches (Festen) gespielte Musik der osteuropäischen Juden erlebt spätestens seit den Erfolgen von Giora Feidman eine Renaissance, die bis heute andauert. Ein Krakaubesuch ist eigentlich nicht vollständig, ohne dass man einige der Freylekhs, Tangos, chassidischen Melodien und jiddischen khossidls live gehört hat. Während des Festivals hat man die Qual der Wahl zwischen 16 Konzerten der weltbesten Klezmerstars.
Besonders zu empfehlen sind der Auftritt des »Bester Quartets« am 28. Juni, das Konzert der Klezmerlegende Leopold Kozlowski am letzten Tag des Festivals sowie am 23. Juni der Auftritt von Kroke, die nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem »Geigenpunk« Nigel Kennedy internationales Aufhorchen erregt haben. Wie jedes Jahr sorgen die an beinahe allen Tagen stattfindenden »Konzerte zwischen den Synagogen« für die ausgelassene Stimmung zwischen Melancholie und ungezügelter Freude. Ein unvergleichliches Erlebnis wird wie jedes Jahr das »Shalom-Konzert« am 30. Juni sein, währenddessen Zehntausende in der platzähnlichen Szeroka-Straße den Frieden zelebrieren. Und wie in den letzten Jahren werden auch diesmal unzählige Filmteams und Fotografen die Stimmung in Bildern festzuhalten versuchen.

»Ein Mensch soll leben – schon nur der Neugierde wegen« – spannende Ausstellungen und Workshop regen zum Ansehen und Mitmachen an

Das großartige Abschlusskonzert des beliebten Festivals. (Foto von Pawel Mazur)
Das großartige Abschlusskonzert des beliebten Festivals. (Foto von Pawel Mazur)

Kazimierz ist das ganze Jahr über eine einzige große Galerie. Während des Festivals wird man zahlreiche Ausstellungen von Fotografien bis Malereien in den Klubs, Galerien und Restaurants finden können, eine davon sehenswerter als die andere. Doch auch außerhalb von Kazimierz geht das Festival weiter: in der Innenstadt werden jüdische und israelische Filme gezeigt sowie die Ausstellung »A World Before a Catastrophe. Krakow’s Jews between the wars« im Internationalen Kulturzentrum auf dem Marktplatz. In der ehemaligen Fabrik von Oskar Schindler im südlich der Weichsel gelegenen Stadtteil Podgórze beschäftigen sich mehr mehr als 40 Künstler in Installationen und Multimedia-Präsentationen mit dem Thema Erinnerung im Allgemeinen und dem Schicksal der Krakauer Juden im Speziellen.
»Ein Mensch soll leben – schon nur der Neugierde wegen«, heißt es in einem jiddischen Sprichwort. Wer voller Neugierde tiefer in die jüdische Kunst eintauchen möchte, kann an einem der vielen, preisgünstigen Workshops teilnehmen. Ein Jiddisch-Sprachkurs ist für deutschsprachige Besucher sicher einfacher als für Besucher aus anderen Teilen der Welt, ist doch die Sprache der Ostjuden sehr nah mit dem Deutschen verwandt. Im Angebot sind außerdem ein Hebräisch-Sprachkurs, Einblicke in die Geheimnisse der Klezmermusik, ein Tanzkurs, Einführungen in die jiddische Küche und verschiedene Workshops von Künstlern. Lernen kann man auch viel bei den Führungen durch den Stadtteil und die Synagogen oder bei den zum Teil wissenschaftlichen Diskussionen und Lesungen. Wie von den Veranstaltern beabsichtigt, ist das Festival jedes Jahr wieder ein Symbol für Toleranz und Respekt, ein Hort der Völkerverständigung und für die Besucher mehr als eine Woche tief empfundene Freude.


Weitere Informationen:

Vorbestellungen für Konzerte, Workshops und andere Veranstaltungen sind ab sofort über die Festival-Homepage www.jewishfestival.pl möglich. Ach ja, Kazimierz ist übrigens auch an den 356 festivalfreien Tagen einer der interessantesten Stadtteile Krakaus …

Den detaillierten Veranstaltungskalender und weitere Infos finden Sie unter www.jewishfestival.pl. Über die leider nur polnisch- und englischsprachige Homepage kann man außerdem die Karten bestellen.

Ticketpreise für Konzerte 12-40 €, Festivalpass für elf Konzerte 70 €, Workshops 1-3 € und Synagogenführung 8 €. Im Zweifelsfall hilft ein Anruf beim Festivalbüro: Tel.: 0048-12-4311517 oder 4311535, Fax: 0048-12-4312427

Passend dazu