Kaffeesüchtige aufgepasst! Was Wien gerne nachgesagt wird, ist Krakau auf jeden Fall: Eine Weltstadt der Kaffeehäuser. Jan Szurmant, der mit Magdalena Niedzielska die 2. Auflage 2009 des MM-City-Guides »Krakau« (jetzt mit herausnehmbarer Karte!) erneuert hat, war dem schwarzen Fitmacher auf der Spur. In manchen der Häuser spielte man ehemals Kabarett, andere werden von Reisenden der ganzen Welt (und sogar von der Washington Post) geliebt – und immer war (und ist) die Bohème dabei. Denn nicht selten bezahlten die Künstler für ihre Suppen und den obligatorischen Kaffee mit Kunstwerken.
In finsteren Zeiten, irgendwann zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, werkelten in den Kellern Krakaus geheimnisvolle Alchimisten. Dieser Kunst hatte sich auch Pan Twardowski verschrieben, der gar einen Pakt mit dem Teufel einging. Ähnlich wie der den Deutschen vertraute Faust verkaufte er seine Seele, um unbegrenztes Wissen und übernatürliche Fähigkeiten zu erlangen. In den von der Kirche verachteten Laboratorien, inmitten von brodelnden Mixturen, kochten die dunklen Forscher aber auch einen schwarzen Trank, mit Zutaten der heidnischen Tataren, welche die Stadt immer wieder bedrohten. Bei Predigten wurde der Name des Gebräus nur mit spuckendem Widerwillen ausgesprochen, man warnte vor seiner entfesselnden Wirkung. Es handelte sich um Kaffee, den flüssigen Wachmacher der Moderne.
Der verschlungene Siegeszug des Krakauer Muntermachers
Der adlige Poet Jan Andrzej Morsztyn (1613-1693) beschwor jedoch, dass dieser böse Trank niemals einen christlichen Mund beschmutzen möge. Doch schon lange vor dem Sieg des Türkenbezwingers Jan III. Sobieski kamen die schwarzen Bohnen nach Krakau, zunächst noch heimlich getrunken und auf verschlungenem Wege beschafft. Die Krakauer beteuern, dass der Cappuccino hier und nicht anderswo entstanden ist, dass nicht Wien die Hauptstadt der Kaffeekultur sei, sondern ihre Heimatstadt an der Weichsel! Und tatsächlich gibt es Dokumente, die bereits im 16. Jahrhundert auf vermehrten Konsum hindeuten. Das bekannte Wiener Kaffeehaus Hawelka wurde außerdem erst nach dem Krakauer Lokal Hawelka gegründet und Wiens erster Kaffeehausbesitzer war der Pole Jerzy Franciszek Kulczycki (Georg Franz Kolschitzky). Im 18. und 19. Jahrhundert wurden dann rund um den Hauptmarkt unzählige Cafés gegründet, von denen einige noch immer geöffnet sind. Darunter das Noworolski, in dem man oft Damen mit Hut sieht, manchmal noch Gentlemen im Frack trifft und in dem ein gewisser Lenin Stammgast war. Und eigene polnische Reiseführer sind unlängst erschienen, in denen es einzig und allein um die Cafés der ehemaligen Hauptstadt geht. Tatsächlich handelt es sich um Sehenswürdigkeiten, die den Kirchen, Palästen und Museen in nichts nachstehen. Auch Wissenschaftler beschäftigen sich mit ihnen, untersuchen den Einfluss auf die vielen Künstler, die sich hier trafen. Nach vorsichtigen Schätzungen gibt es in der Stadt um die 150 Cafés mit einer besonderen, persönlichen Note. Sechs mehr oder weniger willkürlich ausgesuchte sollen näher beschrieben werden.
Wiener Kaffeehausatmosphäre und eine schummrige Höhle mit Marionettenkabarett
Auf dem Rynek im Palac Krzysztofory thront mit dem Café Europejska (Café Europa) eine Institution, die am ehesten dem entspricht, was man sich unter einem eleganten Wiener Kaffeehaus vorstellt. Seit mehr als 150 Jahren bringen junge, uniformierte Damen Käsekuchen an die Tische und stellen das feine Porzellan darauf; manchmal meint man gar, einen Knicks zu beobachten. Von der Inneneinrichtung her erinnert vieles an die goldene Zeit des Jungen Polens, der Krakauer Variante der Sezession, also der Abwendung einer als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Kunstrichtung. Vom nahen Wien kamen damals die Einflüsse des Künstlerkreises rund um den Maler Gustav Klimt, deren Werke sich durch dekorative und geschwungene Linien, an der Natur angelehnte Motive und die Aufgabe von Symmetrien auszeichneten. Alte Pendeluhren, ein Blumenteppich, dicke samtene Tapeten und dunkles Holz erleichtern heute die Zeitreise im Kaffeehaus. Aufgrund seiner schönen Lage ist das Europejska zwar inzwischen bevorzugtes Ziel von Touristen, die auch den Blick auf Tuchhallen und Marienkirche schätzen. Doch noch immer ist es einer der Treffpunkte für Krakaus inzwischen betagte High Society – von ihnen und ihrem stets gepflegten Schmäh lebt das Café Europejska.
Eine ähnlich lange Tradition weist das 1895 gegründete Jama Michalika (Michaliks Höhle) auf, das Paradebeispiel für ein Künstlercafé der Jahrhundertwende. Seinen Namen verdankt es der Tatsache, dass es keine Fenster besaß. Angezogen von dem schummrigen Kerzenlicht wurde damals die gesamte kreative Elite Krakaus: Maler, Bildhauer, Poeten und Schauspieler. In dem als »Seele der Künstlerbewegung Junges Polen« bezeichneten Café eröffnete dann mit dem Zielony Balonik (Grüner Ballon) auch das erste Kabarett der Stadt. Die Puppen und Marionetten, die die Künstler bei ihren Auftritten verwendeten, sind noch immer zu sehen. In dem heute beinahe museal anmutenden Räumen sitzt man auf dunklen Stühlen mit grünem Bezug zwischen Buntglasfenstern – und entdeckt dabei Zeichnungen und Gemälde, mit denen einer der heute gerühmten Künstler einst eine Suppe oder einen Kaffee bezahlte. Für aus Polen stammende Krakaubesucher ist das Jama Michalika in der vornehmen ulica Florianska übrigens eine der ersten Sehenswürdigkeiten, die sie ansteuern.
Ein futuristisches Kaffeemuseum und das Highlight einer Europatour
Auch wenn das Pozegnanie z Afryka (Jenseits von Afrika) erst nach dem Ende des Sozialismus gegründet wurde, so hat es dennoch eine besondere Bedeutung. Das integrierte Muzeum Kawy (Kaffeemuseum) zeigt nämlich anhand von alten Fotos, Zeichnungen und Getränkekarten, welch lange Kaffeekultur Krakau aufzuweisen hat. Besonders viel Mühe hat man sich gemacht, das Flair der Kawiarnia Esplanada wiederzugeben, Krakaus legendärem Kaffeehaus und Treffpunkt von Futuristen, Musikern und Wissenschaftlern. Auch ansonsten ist das Stammhaus einer in den letzten Jahren polenweit entstandenen Kette eine kleine Welt, die der Kaffeepflanze gewidmet ist. Die hervorragenden eigenen Mischungen werden liebevoll in alten Maschinen zubereitet, man sitzt auf mit Kaffeesäcken versehenen Hockern. Ein Traum also für jeden Kaffeesüchtigen (kawosz), der hier auch Ketten aus Kaffeebohnen, Tassen und natürlich die Mischungen für zu Hause erwerben kann.
Das Krakauer Camelot, so schrieben die Kollegen von der Washington Post, sei das beste Café der Welt. Nicht weniger euphorisch sind die Kritiken im Internet: Ein amerikanischer Backpacker nennt es das Highlight seiner dreimonatigen Europa-Tour, ein Portugiese fand hier nicht weniger als Frische und Freiheit für ein Menschenleben, ein Mexikaner bezeichnet es als einen der besten Orte auf dem ganzen Kontinent, ein Südafrikaner schwärmt vom romantischsten Café, in dem er jemals war, eine Ungarin stimmt ihm zu. An einem der magischsten Flecken der Altstadt, dem Zaulek Niewiernego Tomasza (Ecke des Ungläubigen Thomas) gelegen, spürt man hier Krakaus viel beschworene Entfernung von allem, was auch nur irgendwie mit Realität zu tun haben könnte. Wer einmal an einem Winterabend am erhöhten Fensterplatz gesessen hat, Schneeflocken beobachtend, ein grzane piwo (heißes Bier) mit Honig trinkend, wird diesen Augenblick nie mehr vergessen. Das Camelot ist Melancholie, Sentimentalität und Romantik pur, auf unverkleideten Holzdielen, zwischen hölzernen Figuren und kleinen Tischlein. Freitags abends geht es dann ins Loch, den roh herausgehauenen Keller, in dem Kabarettisten auftreten oder einmal im Monat die Klezmerband Bester Quartet (ehemalige Cracow Klezmer Band).
Eine Institution für das Lebensgefühl einer jungen Generation und das ideale Café für einen kommenden Literatur-Nobelpreisträger
Doch Krakau hat mehr zu bieten als feine Kaffeehäuser voller Tradition. Ein jüngeres Publikum hat seine Favoriten außerhalb der Altstadt entdeckt. Lukasz Debski, der Besitzer des Café Szafe (Café der Schränke), ist eigentlich Märchenerzähler von Beruf. Wie in einer Kinderfantasie mutet auch sein romantisches Café mit einzigartigem Flair an: Man kann in bemalten Schränken sitzen und sich dort sogar einschließen. Im Hintergrund laufen dazu Filmmusik, Jazz und Chansons, Songs von Björk bis Radiohead. Die mit kräftigen Farben verzierten Möbel und Fenster, die vollendete Unvollkommenheit sind das Werk von Anna Kaszuba-Debska, die als Künstlerin schon viele schöne Gemälde, Animationsfilme und Kinderbuchillustrationen geschaffen hat. Das Café wird man aber wohl als ihr Meisterwerk bezeichnen können, es ist einfach nur wunderschön. Ihr Mann hat ihrem gemeinsamen Café ein Buch gewidmet, in dem man viel entdecken kann, von Anekdoten und Biographien der Stammgäste bis zum Lebensgefühl einer jungen polnischen Generation.
Für die einzigartige Atmosphäre im Mleczarnia (Molkerei) könne nur ein Literatur-Nobelpreisträger die richtigen Worte finden, schrieben wir in der aktuellen Auflage des MM-City-Guides »Krakau«. Hinzufügen könnte man, dass es einen kommenden Nobelpreisträger mit seiner spannenden Atmosphäre sicherlich anregen würde. Während Krakaus tatsächliche Nobelpreisträger wie Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska oder die anderen Vertreter der hiesigen Literaturelite wie Stanislaw Lem oder Slawomir Mrozek noch die Altstadt zur Inspiration vorzogen, scheinen die kommenden Literaten sich unter anderem im Mleczarnia zu treffen: An kleinen Tischen schreibend, den Blick umherschweifend. Den Geist des alten Kazimierz strahlt das Café aus, nostalgisch, melancholisch, die jüdische Vergangenheit des ehemaligen Schtetls feiernd. Es ist ein Lokal voller alter Familienfotos, Plakate, Truhen und Radios im rustikalen Stil. Nichts ist perfekt, alles scheint provisorisch und ist dennoch harmonisch. An den heißen Tagen des Jahres kann man hier im vielleicht gemütlichsten Sommergarten Krakaus im Schatten eines Kastanienbaums sein Bier oder den leckeren Nusskuchen genießen. Und anschließend zieht man vielleicht weiter, ins Alchemia zu einem Free Jazz-Konzert, ins gegenüberliegende Jüdische Zentrum, um Klezmerstars zu sehen, oder aber ins Singer, wo auch schon mal Tango auf den kleinen Tischen getanzt wird. Keine Frage, in Kazimierz feiert sich die Bohème, die in Krakau so zahlreich zu sein scheint, wie Anno dazumal.
Weitere Informationen:
Café Europejska: Tägl. 8-24 Uhr. Rynek Glówny 35, Tel. 012/4293493, www.europejska.pl.
Jama Michalika: Tägl. 9-22 Uhr, Fr/Sa bis 23 Uhr. ul. Florianska 45, Tel. 012/4221561, www.jamamichalika.pl.
Camelot: Tägl. 9-24 Uhr. ul. sw. Tomasza 17, Tel. 012/4210123, www.lochcamelot.art.pl.
Pozegnanie z Afryka: Tägl. 10-21 Uhr. ul. Sw. Tomasza 21, Tel. 012/6444745, www.pozegnanie.com.
Café Szafe: Mo-Fr 9-1 Uhr, Sa/So 10-24 Uhr. ul. Felicjanek 10, www.cafeszafe.com.
Mleczarnia: Tägl. 11-3 Uhr, Sa/So ab 10 Uhr, Sommergarten 10-24 Uhr. ul. Meiselsa 20, Tel. 012/4218532.