Reportage

Tatort Schafsherde -
Insiderwissen von der beliebten Urlaubsinsel Kreta

Luisa Schuschnigg lebt seit 25 Jahren im Bergbauerndorf Kapetaniana in Nachbarschaft von Schaf- und Ziegenbauern. Mit ihrem Mann Gunnar hat sie »Kreta MM-Wandern« (1. Auflage 2009) für uns geschrieben. Doch die griechische Ferieninsel ist nicht nur ein faszinierendes Wanderparadies. Jahrelang stieg die Kriminalität in einem Sektor, der wenig ernst genommen wurde. Organisierte Banden klauten Schafe, die bei einer der »big fat Greek weddings« von bis zu 1.500 Gästen verspeist wurden. Mit der Folge, dass die existenzbedrohten Schäfer auf Ziegen umstellten. Diese zerstören jetzt, EU-subventioniert, die Fauna der Insel – und Athen reagiert, wie so oft, sehr spät.


Ich steh am Gartentor. Schon wieder haben die Schafe des Nachbarn meine Gartenblumen zerkaut, besonders zarte Rosenknospen werden bevorzugt. Der Tierhalter ist weit über 70. Er lag noch vor kurzem im Krankenhaus. Eigentlich freu ich mich jetzt doch, wenn ich ihn, nicht mehr ganz so herrisch wie früher, von unserem Hausdach aus seine Tiere mit »no no no « rufen hör … und denk mir – die Rosen, die knospen doch neu.


Wie willst du eine Familie ernähren, wenn du kein Schaf klauen kannst?

Treffe ich ihn, dann grüßt er mürrisch, aber er grüßt. Und er lebt. Eigentlich war er oft mürrisch, nur wenn er Wein trank, dann schien’s ihm zu passen, dann war’s ihm bekömmlich: das Leben. Sein schwerer Alltag hat ihn gezeichnet, Falte um Falte erzählt davon. Wie weit und wie oft er im steinigen Gelände zur Herde gelaufen ist, sie über schottrige Hänge die Berge hoch und die Berge runter getrieben, gefüttert, gemolken, geschlachtet hat.

Traditionelle Schäferei
Traditionelle Schäferei

Müd ist er, der Kosta, müd und krank. Was er war, das scheint bald zu verfließen. Ein »Levendi« war er, ein Held, ein Fuchs, einer mit dem man Tage durchzechen konnte, einer mit dem man vielleicht auch nach alter Tradition mal ein Schaf klauen konnte. Nicht gleich herdenweise, so wie es jetzt im Gebirge üblich ist. Sondern eher nach dem Motto: Wie willst du eine Familie ernähren, wenn du kein Schaf klauen kannst? Das ging immer – auch wenn der Spruch aus den Zeiten der Türkenbelagerung stammt und die Kreter besitzlos waren. Schließlich musste man Manns genug sein. Katalaves? Verstehst du?

Organisierte Tierräuberei wurde in den Bergen einige Jahre lang systematisch betrieben. Sie nahm ihre obskure Gestalt im Zuge des massiven Pistenausbaus an, welcher hemmungslos mit den neuen starken Raupen kreuz und quer das Gebirge erschloss. Ziel des Pistenausbaus waren neue Verbindungswege zu den Futterplätzen. Verständlich, keiner wollte im Zeitalter des Allrads mit Maissack und Maultier zu den Herden! Und Ziel der Tierräuber waren die neugebauten Ställe oder Pferche, die auf den gut präparierten Wegen lagen. Tatprofil der Räuber: gebirgskundig, tier- und herdenkundig und Schlachtprofis, sprich Schäfer. Tatmotiv: Profit. Sie kamen meist bei Neumond, schüttelten lockend Plastiksäcke mit Maiskörnern – und die Schafe trotteten in das Wageninnere ihrer Kleinlastwägen. Und dann gaben sie Gas und verschwanden über andere Schotterpisten, die das Gebirge queren. Das war’s auch schon, jedenfalls für die Räuber.


Big Fat Greek Weddings weitab von Hollywood

Schafe im Pferch. Wie lange noch?
Schafe im Pferch. Wie lange noch?

Was easy und effektiv klingt, zog Schicksalsschläge nach sich. Die trafen hier im Dorf einen Bauern nach dem anderen. Der Reihe nach kam jeder dran und wurde beraubt. Meistens waren gleich drei Viertel der Herde weg. Ein echtes Drama – für jeden Einzelnen, zumal sich eine Diebstahlversicherung nie durchgesetzt hat. Und die Suche nach den Tieren war, jeder wusste es, sinnlos. Manchmal wurde ganz grausam direkt vor Ort geschlachtet, und dem Bauern blieben die Gedärme. Meistens aber wurde das Lebendvieh in den Lastwägen schnell vom Tatort weggefahren. Zu den Hintereingängen in die Küchen der riesigen »Kentros«. Diese großen neugebauten, oft hässlichen Lokalitäten für kretische Hochzeiten sind topmodern ausgestattet. Großküche, Kühlhäuser, alles ist vorhanden – ist es doch Sitte unter der ländlichen Bevölkerung, dass die Brauteltern und Familienangehörigen selbst kochen und die Verwandtschaft bedient, während die Gäste feiern. Die Räuber arbeiteten gewinnbringend, wenn man weiß, dass jeder die Nase rümpft, wenn nur 700 Gäste geladen sind. Fast blamabel ist das. Die Anzahl wird erst mit 1.000 oder 1.500 Gästen für die Gesellschaft annehmbar. Klingt unglaublich – aber wahr! Ich könnte eine neue Geschichte darüber schreiben, war ich doch oft auf solchen Giga-Hochzeiten eingeladen und fühlte mich, zugegeben, beklemmt. Nicht nur wegen des Massenauflaufes und der Massenware Fleisch – trogweise wird aufgetischt und gut die Hälfte davon nicht gegessen … Dafür subventioniert die EU, verschulden sich die Bauern beim Maiskauf, vergrößern ihre Herden, bauen hässliche Ställe, verarmen. Ein heißes Thema, so oder so. Doch zurück zu den Bestohlenen.


Athenische Reaktion und die Nachteile der Ziegen

Ziegen …
Ziegen …

Athen reagierte. Wie immer sehr spät. Die Regierung schickte die EKAM: ein Sonderkommando, das nur dem Ministerpräsidenten untersteht und gegen den Schafsdiebstahl auf Kreta vorgeht. Jetzt fahren diese Patrouillen regelmäßig durch das Gebirge – das Ordnungsorgan regiert mit rigoroser Härte –, die Bauern atmen auf, müssen nicht mehr nächtens bei den Herden im Freien schlafen, ihre Existenz scheint weniger bedroht.

Nebenbei bemerkt: Ziegen sind schlauer als Schafe. Die kann man nicht so einfach klauen, sie folgen keinem Futtersack. Und sie sind wahre Meister im Klettern. Hübsch anzusehen, die Freeclimber im Fels, aber leider auch nicht so ganz unbedenklich. Die Schäfer halten heutzutage präventiv mehr Ziegen und weniger Schafe, um Viehdiebstahl vorzubeugen. Mit EU-Subventionen vergrößern sie ihre Herden, und niemand scheint zu bedenken, wie die Natur mit dem Ziegenfraß zurechtkommt. Denn Ziegen richten am Landschaftsbewuchs deutlich mehr Schaden als Schafe an. Sie steigen auf Bäume und fressen, was nur irgendwie erreichbar ist, machen karges Macchiagebüsch noch karger. Überweidung und Versteppung ist bereits Thema eines ganzen Forschungszweiges. Wegschauen kann niemand mehr, denn beides hat gebietsweise auf der Insel sichtbare und weit reichende Folgen hinterlassen.


Xerokefali – Sturköpfe!

… weniger gefährdete Freeclimber im Fels
… weniger gefährdete Freeclimber im Fels

Umweltschutz steht bei der griechischen Regierung noch fern in den Sternen. Immerhin: Erste Schritte zur Besserung sind bemerkbar. Zumindest für die Fauna der Insel. Mancherorts stehen autorisierte Schilder mit dem Hinweis, »Achtung – Schutzzone für Wildtiere, Jagen verboten!«, die andernorts schon wieder von Schüssen durchlöchert sind … Xerokefali – Sturköpfe!

Ich jedenfalls schließe das Gartentor – und grüße meinen alten Nachbarn, der seine Schafe in diesem Augenblick in den Pferch treibt.


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