Reportage

Filzokratie pur -
Bauspekulation und Korruption im UNESCO-Weltschutzgebiet Lanzarote

Die Reiseführer des Michael Müller Verlags sind u. a. dafür bekannt, dass sie Kritikwürdiges auch so benennen. Lanzarote, eine der faszinierendsten Inseln der Kanaren, wird seit Jahrzehnten von einer vordemokratischen Politik reagiert. Sie fördert die Auswüchse des Massentourismus – und wirtschaftet dabei kräftig in die eigene Tasche. Inzwischen sind einige der Protagonisten wegen Korruption verhaftet. Die EU-Subventionen von 30 Mio. Euro, die für illegal erbaute Hotelanlagen geleistet wurden, sind deshalb nicht wieder wettzumachen. Geschweige denn die mit den Bausünden begangene Zerstörung der Umwelt (die sogar die UNESCO-Auszeichnung gefährdet). Eberhard Fohrer hat für die soeben veröffentlichte Neuauflage seines Reiseführers »Lanzarote« (6. Auflage 2011) recherchiert.


Lanzarote ist eines der faszinierendsten Reiseziele im europäisch-afrikanischen Raum. Größte Sehenswürdigkeit ist der Nationalpark Timanfaya, ein riesiges Meer aus erkalteter Lava und meterdicken Ascheschichten mit hundert Vulkanen und über dreihundert Kratern. Er bedeckt einen großen Teil der Insel und zieht Touristen aus aller Welt in seinen Bann.

1994 wurde Lanzarote von der UNESCO zum »Weltschutzgebiet der Biosphäre« ernannt. Es war dies das erste Mal, dass eine komplette Insel diese besondere Auszeichnung erhielt. Sie wird den Lebensräumen verliehen, in denen Mensch und Natur noch in Harmonie miteinander stehen und die »Voraussetzungen für eine behutsame Weiterentwicklung in besonderem Maß« gegeben sind. Doch gerade damit ist es auf Lanzarote gar nicht gut bestellt …


Kilometerlange Straßen ins Nichts

Playa Blanca vor 15 Jahren (Copyright: Eberhard Fohrer)
Playa Blanca vor 15 Jahren (Copyright: Eberhard Fohrer)

Wie die meisten Inseln ist auch Lanzarote eng und provinziell geprägt. Man kennt sich, vor allem die politische Kaste. Und Politik ist hier eine der alten, vordemokratischen Sorte: Wenn Du was von mir willst, musst Du zahlen! Oder umgekehrt: Wenn ein Mensch mit viel Geld etwas von der Politik will, z. B. ein Bauprojekt mit mehr als 1000 Wohnungen durchsetzen, dann bietet er dem Entscheidungsträger einen Anteil am Gewinn – und schon gibt es keine lästige Hindernisse wie Naturschutz, Bebauungspläne u. dgl.

Alles fing an mit dem unvergleichlichen Touristenboom, der in den letzten Jahrzehnten über Lanzarote hereinbrach. Millionenschwere Investoren kamen auf die Insel, ihre Gelder flossen in immense Bauprojekte, die den Massentourismus weiter anheizten. Schon seit den 1960er Jahren kämpfte der bekannte Inselkünstler und Architekt César Manrique gegen den Bau von Bettenburgen und die damit verbundenen Landschaftszerstörung. Auch die Inselregierung versuchte damals, Baustopps durchzusetzen, verabschiedete strenge Bebauungspläne und Bodennutzungspläne. Doch wo Geld regiert, gibt es immer Wege, Regularien zu umgehen und z. B. rechtswidrig Landwirtschaftsflächen in Bauland umzuwandeln. Das markanteste Beispiel, wie so etwas funktionieren kann, ist Playa Blanca, das südlichste Ferienzentrum Lanzarotes. Bereits in den 1990er Jahre hatte man dort mit kilometerlangen Straßen ins Nichts die Infrastruktur vorbereitet. Ein Baustopp kam dazwischen, doch die Gerichte entschieden, dass begonnene Projekte weitergebaut werden dürften. Und so kam es auch, und zwar in Windeseile. Mittlerweile sind fast alle Straßenzüge mit weitflächigen Apartmentanlagen, Großhotels und anderen touristischen Projekten bebaut worden, aus Playa Blanca ist eine gut 10 km lange Ferienstadt geworden.


Eine Hand wäscht die andere

Playa Blanca heute (Copyright: Eberhard Fohrer)
Playa Blanca heute (Copyright: Eberhard Fohrer)

Doch die Bauherren hatten ihre Rechnung ohne die Fundación César Manrique gemacht. Die Organisation, die in der Nachfolge des Künstlers gegen die illegale Bebauung Lanzarotes kämpft, sah genau hin und klagte schließlich gegen »Boomtown Playa Blanca«. Und die Richter gaben ihr Recht: Insgesamt 27 (!) Hotel- und Apartmentanlagen, d. h. der überwiegende Teil aller Großhotels von Playa Blanca, sind entgegen dem geltenden Inselbebauungsplan »Plan Insular de Ordenación del Territorio« (PIOT) zu nah am Meer und trotz eines geltenden Baustopps errichtet worden, darunter so bekannte Namen wie Papagayo Arena, Rubicón Palace, Princessa Yaiza und Dream Gran Castillo (auf YouTube kann man unter »Lanzarote corrupta« einige der Kandidaten betrachten). Den vorläufigen Schlussstrich zog das oberste Kanarische Gericht 2008, als es in letzter Instanz die von der Gemeinde Yaiza erteilten Baugenehmigungen in Playa Blanca annullierte. Besonders pikant: Für den Bau der Hotelanlagen waren EU-Subventionen in Höhe von insgesamt 30 Mio. Euro geleistet worden.

Wie konnte es zu so einer Provinzposse kommen? Ganz einfach: Filzokratie pur oder »Eine Hand wäscht die andere«. Für die Vergabe der Baulizenzen war der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Yaiza verantwortlich, der dafür über Strohmänner von den Handlungsbevollmächtigten mehrerer Hotelketten »Wirtschaftshilfen« erhielt. Mittlerweile ist er wegen Korruption verurteilt, doch vorher musste er lange darüber nachdenken, woher die 700.000 Euro auf seinem Konto stammten und die stolze Jacht, deren Eigner er auf einmal war. Oder der Fall des Unternehmers, der der Handelskammer Lanzarotes ein Gebäude für 14 Millionen Euro verkaufen wollte – der Schatzmeister der Kammer sollte für die Kaufbewilligung ein »angemessenes« Salär von 250.000 Euro erhalten.

Solche Beispiele gibt es viele, willige Gemeinderäte und Bürgermeister wurden überall gefunden, das System funktionierte. Doch einer machte nicht mit: Carlos Espino Angulo, ein maßgeblicher Politiker der PSOE (entspricht etwa unserer SPD) – und das, obwohl er mit immerhin 450.000 Euro profitiert hätte. Er alarmierte die Guardia Civil, ließ sich bei den Bestechungsversuchen verkabeln und von der Polizei abhören. Er deckte damit den größten Korruptionsskandal auf, den Lanzarote je erlebt hat. Über ein Jahr lang wurden Politiker abgehört, bevor sie im Mai 2009 unter einem bis dato unbekannten Richter vom Festland, der mit den Inselclans nichts zu tun hatte, gleich dutzendweise verhaftet wurden, 32 Angeklagte waren es am Ende. Es wird sicher lange dauern, bis alle Prozesse abgewickelt sind – und wer weiß, vielleicht spielt das große Geld auch dabei wieder eine Rolle …


Was tun mit den illegalen Hotels?

Das Hotel Papagayo Arena gehört zu den illegalen Anlagen in Playa Blanca (Copyright: Eberhard Fohrer)
Das Hotel Papagayo Arena gehört zu den illegalen Anlagen in Playa Blanca (Copyright: Eberhard Fohrer)

Nun ist guter Rat teuer: Werden die Hotels abgerissen, kostet das Millionen an Steuergeldern, da die Gemeinde für die Vergabe der unrechtmäßigen Lizenzen verantwortlich war; der Schaden an der Natur, der bereits geschehen ist, kann nicht wieder rückgängig gemacht werden … Lässt man sie stehen, ist es ein weiterer Beweis dafür, dass die großen Unternehmen machen können, was sie wollen. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit, dass man versucht, den Bau der Anlagen per Gesetz nachträglich zu legitimieren. Für die schwerwiegendsten Fälle dürfte das allerdings nicht möglich sein – es gibt Hotels, die nicht nur keine Baugenehmigung, sondern nicht einmal eine Eröffnungs- oder Nutzungsgenehmigung besitzen. Trotzdem sind alle illegalen Anlagen weiter geöffnet und man verdient damit gutes Geld. Wie das zusammengehen kann, weiß nur die Inselregierung, aber die gibt keinen Kommentar dazu ab. Vielleicht ist ja – wie so oft – Geld im Spiel?
Aufgrund der Verstöße überprüft die UNESCO derzeit den Status Lanzarotes als Biosphärenreservat. Er könnte Lanzarote tatsächlich aberkannt werden.


Ein Nachtrag

Blick über die Marina Rubicón … (Copyright: Eberhard Fohrer)
Blick über die Marina Rubicón … (Copyright: Eberhard Fohrer)

Zu den Bauprojekten, die an der einst völlig unbebauten Südküste Lanzarotes durchgedrückt wurden, gehört auch der topmoderne Yachthafen Puerto Marina Rubicón östlich von Playa Blanca. Wo früher Salinen lagen, Seevögel nisteten und kaum ein Haus stand, erstreckt sich seit einigen Jahren eine attraktive Hafenanlage mit schicken Restaurants, trendigen Cafés, Bars, Galerien und exklusiven Modeboutiquen. Einziger Fremdkörper in dieser Konzeption vom Reißbrett ist die über hundert Jahre alte Casa Berrugo (schräg gegenüber vom Café Moulin de Paris), die noch bis vor Kurzem bewohnt war. Sie ist auf Lanzarote zum Symbol geworden für die Rücksichtslosigkeit, mit der die touristischen Investoren vorgehen, um ihre Projekte zum Erfolg zu bringen.

Die Casa Berrugo störte in den Augen der Investoren das Gesamtbild der Marina, doch die Familie Medina Cáceres, die darin seit Anfang des 20. Jh. lebt, weigerte sich, das Haus zu verlassen. Ihre Vorfahren waren in den hiesigen Salinen beschäftigt, dessen Eigentümer ihnen damals per Handschlag das Recht gegeben hatte, auf Lebenszeit in der Casa Berrugo zu wohnen. Das kam in dieser Zeit einer Eigentumsüberschreibung gleich, denn Grundbucheintragungen waren teuer und wurden in aller Regel nicht vorgenommen. Heute wird in solchen Fällen vom Amt ein Zertifikat ausgestellt, um damit nachträglich die Grundpapiere ausfertigen zu können. Anders in diesem Fall. Die Marina-Investoren gingen vor Gericht und der ehemalige Bürgermeister von Yaiza (wie oben berichtet, mittlerweile wegen Korruption verurteilt) stellte ein Zertifikat aus, dass die Leute in dem Haus nur »geduldet« gewohnt hätten. Das Landgericht von Yaiza ordnete daraufhin die Zwangsräumung an, im November 2009 wurden die Türen aufgebrochen und die Familie musste ausziehen (siehe unter YouTube »La familia Medina ante el desalojo de Berrugo« und »Desalojo Casa Berrugo«). Auf Lanzarote sorgte dieses Vorgehen für große Empörung, die Medien wurden hellhörig, es gab Presse- und Radiobeiträge, sogar in Brüssel wurde man aufmerksam. Dieser Publizität ist es wohl zu verdanken, dass bisher kein heimlicher Abriss erfolgte. Die Hoffnungen gehen nun dahin, dass aus der Casa Berrugo wenigstens ein Museum gemacht wird – ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, als in Lanzarote noch nicht das große Geld auf korrupte Provinzpolitiker traf.

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