Ein Artikel von Achim Wigand, Autor des neuen Buches zu »Montenegro« (1. Auflage). Für unseren Newsletter hat er hat sich der Osteuropa-Kenner ein gigantisches Event der Folkoreindustrie angesehen, bei dem alljährlich ein verschlafenes Nest von 300.000 Besuchern überschwemmt wird. Die wichtigsten internationalen Trompetengrößen zeigen ihr Können, wobei sich die 128stel-Note als längster Ton durchgesetzt hat und traditionelle serbische Volksweisen improvisiert werden. Nichts für die Fans von Stephan Mross oder Florian Silbereisen!
Der spektakuläre Norden Montenegros mit seinen hochalpinen Gipfeln und berühmten Canyons ist noch immer ein Urlaubsziel für Kenner und Spezialisten geblieben – und zwar für solche, die sich an der überwältigenden Natur berauschen. In kultureller Hinsicht hängt hier allerdings eher die Katze tot überm Zaun; außer einigen – allerdings sehr sehenswerten – alten Klöstern und Moscheen gibt es hier kaum etwas zu besichtigen. Urlauber, die sich in der letzten Augustwoche in der Bergwelt des Durmitor oder der Bjelasica aufhalten, können allerdings mit einem kurzen Abstecher nach Serbien einen ganz großen Schluck aus dem tiefen Brunnen der serbischen Kultur trinken: Knapp hundert Kilometer hinter der Grenze findet in Guca in den Bergen über Cacak das Internationale Trompetertreffen statt, dieses Jahr vom 30. August bis zum 3. September.
Wer nun in den Dimensionen beschaulicher Volksmusikabende denkt, liegt völlig falsch: Guca ist eher eine oktoberfestartige Orgie mit Stephan Mross auf Amphetamin und Florian Silbereisen am Spieß. Was 1961 als quasisubversive Veranstaltung mit wenigen hundert Teilnehmern begann, hat sich mittlerweile zu einem gigantischen Event der Folkloreindustrie entwickelt. Das kleine Guca, 350 Tage im Jahr ein verschlafenes Nest mit kaum 5.000 Einwohnern, wächst in der Zeit des Festivals auf eine Budenmetropole mit dem Vielfachen seiner Größe an: im Rekordjahr 2002 ließen sich geschätzte 300.000 Menschen von den Trompeten in Trance spielen.
Eine Frage der Ehre und des Geldes
Die Blasmusik ist allgegenwärtig: Vom Böllerschuss um 7 Uhr morgens an bis in die frühen Morgenstunden schmettern die Trompeten in irrwitzigen Tempi ihre rasenden Melodien; inoffiziell scheint man sich auf die 128stel-Note als längsten Wert festgelegt zu haben. Die Tradition dieser Musik wurzelt tief in der Kultur der Roma und auch heute noch stellen die Gypsy-Kapellen gut die Hälfte der Teilnehmerschaft. Guca ist während des Festivals einer der wenigen Orte, an denen die sonst am äußersten Rand der Gesellschaft stehenden Roma wirklich integriert sind. Dem hier ostentativ gefrönten serbischen Nationalismus tut das merkwürdigerweise keinen Abbruch und so bejubeln die Träger von T-Shirts mit den Konterfeis von Ratko Mladic und Radovan Karadic ekstatisch die Bläsercombos der Roma.
Offiziell geht es beim Wettbewerb um die »Zlatna truba« ausschließlich um die Ehre (schon die Einladung zum Festival ist der Ritterschlag für jeden Blasmusiker des Kulturkreises), inoffiziell und gar nicht heimlich geht es natürlich auch um Geld. Viel Geld, und damit sind nicht die Scheine gemeint, die den Musikern an die schweißnasse Stirn geheftet werden, sondern das, was danach kommt: Der Sieger und die Top-Platzierten des Wettbewerbs können fest mit Engagements auf den Hochzeiten reicher Serben in Belgrad und in der Diaspora rechnen, und die Abendgagen liegen für diese Spitzenkräfte nicht unter 10.000 €. Aber auch das Fußvolk der Trompeter kann sich Hoffnungen auf lukrative Engagements bei Matrimonialfeiern machen, denn ohne eine rasende Blasmusik ist eine serbische Hochzeit eine trübe und traurige Veranstaltung.
Ein Star außer Konkurrenz und die schwierige Unterbringung der Menschenmassen
Star und gleichzeitig persona non grata des Festivals – wer das für paradox hält, hat natürlich recht und doch die grundlegenden Lektionen des Balkans nicht verstanden – ist Boban Markovic, auch in Westeuropa bekannt durch die Filmusiken von Goran Bregovic für die Kusturica-Filme. Erst der so umstrittene wie phänomenale Erfolg von »Underground« (1995) hat der serbischen Volksmusik internationale Wahrnehmung verschafft und damit auch Guca zu dem Wahnsinns-Event werden lassen, der es heute ist. Fünfmal hintereinander gewann Boban Markovic mit seiner Band die umkämpfte Trophäe, 2002 wurde er jedoch disqualifiziert: Er hatte Musik aus einem Film gespielt und damit gegen die Regeln des Festivals verstoßen, die ausschließlich traditionelle Volksweisen erlauben – angesichts der fast ausschließlich improvisierten Darbietungen (die Mehrzahl der Teilnehmer kann ohnehin keine Noten lesen) ein eher amüsantes Kriterium. Seit diesem Eklat spielt Markovic nur noch außer Konkurrenz – auf den zahlreichen Nebenbühnen der Stadt. Den Sieg im Wettbewerb überlässt er anderen, 2005 gewannen Feijat und Zoran Sejdic; einen Achtungserfolg erzielten die Landshuter Band »Kein Vorspiel« und due »Extra Action Marching Band« aus Chicago.
Mit der Unterbringung der Menschenmassen ist das einzige Hotel Gucas (es heißt natürlich »Goldene Trompete«) völlig überfordert, die meisten Gäste schlafen in den ringsherum im Dauerstau verteilten Autos oder zelten wild in der Umgebung. Einige wenige Privatzimmer können über die Website des Festivals www.guca.co.yu gebucht werden, ansonsten sind vor allem Besitzer von Wohnmobilen fein heraus. Zu essen gibt es hingegen reichlich, überall brutzeln Spanferkel, Lämmer und Hammel am Spieß über offenen Kohlefeuern vor sich hin und geben der Riesenveranstaltung so auch olfaktorisch ihre ganz eigene Note. Neben dem permanenten Grillgeruch bleibt nach fünf Tagen Blasmusik im roten Bereich vor allem die Erkenntnis von Miles Davis (dem auf der Trompete ja eigentlich nichts fremd geblieben sein sollte): »I didn’t know you could play trumpet that way.«
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