Reportage

München, warum immer so Berlin?
Eine launige Recherche von Achim Wigand

München absurd war die Vorgabe für Achim Wigand, um sich in seiner Wahlheimat nach skurrilen Dingen umzusehen. Herausgekommen ist ein lustiger Artikel zu den Themen Laptop und Lederhose, Currywurst-Komplotte, hohe Mietpreise und Grantlereien, die den gebürtigen Franken allerdings niemals dazu bringen würden, die bayerische Landeshauptstadt zu verlassen. Zumal es der Stadt ohnehin egal wäre …


»Laptop und Lederhose« – dieses furchtbare Diktum werden wir wohl niemals los. Blödsinn war das natürlich schon immer, schließlich werden auch im obersten Ober- und im niedersten Niederbayern seit mindestens eineinhalb Dekaden keine Laptops mehr verkauft. Diese zentnerschweren Dinger mit dem Rechnerrucksack, die ein sadistischer PR-Schuft in einer besonders grausamen Laune einmal als tragbar definierte! Möglicherweise war das derselbe Dampfplauderer, der den Münchnern so um die Jahrtausendwende die Krachlederne als besonders traditionelles Kleidungsstück aufgeschwatzt hat. Dem Schnitt nach waren das schon immer nach aristokratisch-französischem Vorbild geschneiderte »Culotte« und als solche ein Import der Wittelsbacher Könige, um ihrem Duodezfürstentum so etwas wie eine Uniform zu verpassen. Halt eben aus teurem Leder, ein Material, das dem Budget des bayrischen Durchschnittsbauern sicher weit entrückt war. Eine Demontage des Dirndls zu anderer Zeit: der bloße Gedanke daran zieht mir eine tiefes Dekolleté in die Laune.


Das Currywurst-Komplott

Das Schlimmste ist vorbei
Das Schlimmste ist vorbei

Der typische Münchner Snack? Vergessen Sie die Leberkässemmel, diese fantastische Abfallentsorgung mit Molekülen, die das Lebensalter ihres Essers spielend um ein Mehrfaches übertreffen können! Weg mit der Weißwurst, fachgerecht aus den Knochenhäuten kindlicher Rinder zusammengepresst, und schon gar keine Rede von der hormongestählten Hendlpracht. Kommt eh aus Österreich. Nein, der Imbiss auf die Kralle ist natürlich die Currywurst. Im Nightlifedreieck an der Fraunhofer-Klenze-Müller-Straße ersäufen gleich drei Kulinarverbrecher eingedarmtes Brät in gewürzangereicherter Tunke. Na gut, wenigstens der BergWolf macht das mittlerweile mit Tradition und der in der gesamten Galaxie gerühmte Sauce Dönni. Letzterer hält sich sogar an das Rezept der Bochumer Wurstschmiede Dönninghaus, an Wochenenden dankenswerter Weise bis vier Uhr morgens. Zu solch fortgeschrittener Zeit merkt man wenigstens auch nichts mehr von der mitunter stark gedehnten Wechselfrequenz des Frittenfetts.

Alles nur Klischees
Alles nur Klischees

Aber nicht nur im Glockenbach brennt die Wurst (und der indische Gewürzfuror darauf) – auch in der Maxvorstadt wird mitgebrutzelt. Die Pommes-Boutique in der Amalienstraße reklamiert zurecht einige unique sellings points: Ökowürste von Herrmannsdorfer Säuen, zweifach frittierte belgische Kartoffelroststäbchen und 20 verschiedene Gewürztunken, von denen tatsächlich einige sogar eigene Geschmacksqualitäten aufweisen. Schließlich rührt auch noch ein ewig junger Wilder mit im Tomatenbrei: Holger Stromberg hat sich zwar von der Münchner Sternekarte streichen lassen, kocht aber nach wie vor nicht nur für unsere Chefchen und Mitläufer der Fußballnationalmannschaft, sondern betreibt, jawollja, auch noch zwei Currywurstbuden. Eine fühlt sich für die sensorisch hoffnungslos unempfindliche Infineon-Belegschaft in den grauen Ausläufern der Balanstraße verantwortlich. Außerdem existiert eine Dependance in den renovierten Katakomben des Stachus-Untergeschosses. Fad sind die Därmlinge an beiden Abfütterungsstellen. – München, warum immer so Berlin?


Der Gärtnerplatz-GAU und das Park-Paradox

Auf Wohnungssuche mit dem Ferrari
Auf Wohnungssuche mit dem Ferrari

Da ziehen Menschen mitten in die Stadt, um die Ruhe des Landlebens zu genießen. Erstaunt stellen sie fest, dass das nicht so recht klappen will. Und dann ziehen sie nicht etwa auf einen Einsiedlerhof im Alpenvorland, nein, nein: sie rufen die Polizei. Zuverlässig jedes Wochenende am Gärtnerplatz, einer der wenigen wirklich gemütlichen Innenstadtplätze, die München so zu bieten hat, werden die Lärmschutzbestimmungen staatlich durchgesetzt. Auf den Stufen des Theaters und auf den Grünflächen um das bunte Sentimentalitätsgemüse herum zeigen sich die grün uniformierten Freunde gerne. Die Spaßbremsen mit Blaulicht kommen auch deshalb zuverlässig, weil der durchschnittliche Gärtnerplatzanlieger nicht nur ruhebedürftig, sondern auch vermögend ist; die Quadratmeterpreise erreichen fast schon das Niveau … ach, das erledigen wir im nächsten Absatz. Vorher sei allerdings noch gesagt: Das sogenannte »Piazzetta-Konzept«, das die Freifläche schwupps halbiert hat, geht auf eine Schnapsidee des Rosa-Listen-Bezirksausschussvorsitzenden Miklosy zurück, der eindrucksvoll vorführt, dass auch Homosexuelle prima Spießer abgeben.

Nein, die sind nicht alle im Urlaub
Nein, die sind nicht alle im Urlaub

Zurück zu den Quadratmeterpreisen: Neubauprojekte innerhalb des Mittleren Rings heißen nämlich nicht mehr »Haus« oder »Block« oder ähnlich prosaisch, sondern »Lenbachgärten« oder »Augustenhöfe« oder »Arnulfpark«. Natürlich mit Wellnessbereich und Concierge-Service, der allgemeinen Verslummung der Landeshauptstadt entgegenwirkend. Vermietet wird da natürlich gar nichts mehr, der Zielkunde soll kaufen – und das ab ca. 12.000 €/m². Schade halt, dass es so viele gstopfte (bayr. ugs. für »reich«) Münchner dann doch nicht gibt und deshalb protzen die Spitzenwohnlagen mehrheitlich unbewohnt vor sich hin. Immerhin, Deutschlands teuerste Eigentumswohnung im »Seven-Tower« (Alteingesessenen noch als MVG-Hochhaus an der Müllerstraße in Erinnerung), ist für 16 Millionen schon an einen unbekannten Nabob weggegangen. Und auf der Schwanthalerhöhe wird jedes frei werdende Ladenlokal von einem Architekturbüro in Beschlag genommen, was für die Zukunft dieses immer noch eher kleinbürgerlichen, ja vielleicht sogar Arbeiterviertels auch nichts Gutes verheißt.


Und schließlich: der Grantler-Reflex

Man sieht, es ist kaum auszuhalten in München. Deshalb wollen ja alle her und auch freiberuflich tätige Reisebuchautoren, die – eine funktionierende Internetverbindung vorausgesetzt – auch in Hackpfüffel (das gibt’s! In Sachsen-Anhalt unterhalb des Kyffhäusers …) für eine Spottmiete wohnen und arbeiten könnten, tun sich das Tag für Tag an. Denn beim Gedanken an Ortswechsel ergeht es ihnen meist so wie dem lakonischen Trinkerkommissar Tabor Süden mit seiner – von mir – so gerne zitierten Zerrissenheitsformel: »Dann dachte ich über eine andere Stadt nach. Aber es fiel mir keine ein.«

München freut sich auf Ihren Besuch. Oder ziehen Sie doch gleich her, wir freuen uns auf Sie. Werden Sie aber nicht bemerken.

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