Achim Wigand, bekannt durch sein Blog über die Welt des Reisens, Autor des Montenegro- und Münchenbuches und vogelwilder Individualist, hat sich geärgert. Und zwar über seine Wahlheimat. Dass man einem koksenden Jahrhundertgenie die Konzession entzog, sieht er immer noch als ein Eigentor des Münchner Verwaltungsreferats.
Gastrosophen mit ein wenig Gedächtnis packt auf dem Maximiliansplatz die Wehmut: Hier betrieb von 1979 bis 1993 Eckart Witzigmann seine legendäre »Aubergine«, Deutschlands erstes vom Guide Michelin mit der Maximalbenotung von drei Sternen geadeltes Restaurant. Witzigmann, der fraglos beste Koch des deutschsprachigen Raums, war damit Motor einer Bewegung, die in den 80er Jahren München zur unbestrittenen Gourmethauptstadt des Landes machte. Mit ihm als Galionsfigur erkochten sich auch seine Schüler Harald Wohlfahrt, Johann Lafer, Hans Haas und viele andere Top-Stars des Gewerbes allerhöchste Weihen. 1993 war aber schlagartig Schluss mit dem Kulinarzauber in der »Aubergine«, Witzigmann verlor wegen eines vergleichsweise läppischen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz seine Schanklizenz – als ob der Koch des Jahrhunderts (außer ihm tragen nur drei weitere Chefs dieses Prädikat) seinen Gästen etwas in den edlen Wein geträufelt hätte.
Der Rekordmeister im Innenarchitektenwutanfall
Nach einem kurzen Intermezzo mit Alfons Schubeck, natürlich auch ein Witzigmann-Schüler, als Pro-forma-Geschäftsführer verlor das als schwierig bekannte Kochgenie dann die Lust und München seine führende Rolle auf der deutschen Feinschmeckerlandkarte. Noch immer kann man in München exzellent essen und verdächtig oft tragen dabei die Küchenchefs der einschlägigen Restaurants den Stallgeruch des Meisters aus Österreich. Allen voran der schon genannte Hans Haas, der das Tantris jetzt schon seit 21 Jahren auf dem erstmals von – wem wohl – Witzigmann erkochten 2-Sterne-Niveau hält: Das macht 40 Jahre allerspitzeste Spitzenküche in Nordschwabing und das Tantris damit zum Rekordmeister. Mittlerweile ist dieser orangerotgoldene Innenarchitektenwutanfall in schmucker Sichtbetonhülle schon in den Rang eines kulturhistorischen Denkmals hineingewachsen und die mindestens 200 € (pro Kopf bei großer Zurückhaltung mit der legendären Weinkarte) unbedingt wert. Etwas preisgünstiger (merke: etwas) weht der Wind der klassischen Moderne à la Haas durch das Zweitrestaurant Terrine in der bemerkenswert unschmucken Amalienpassage hinter der Uni.
Aufsteiger und junger Wilder
Noch ein Altmeister ist zurückgekehrt: Otto Koch (dankt der eigentlich täglich seinen Ahnen für diesen unschlagbar sprechenden Nachnamen?), schon in den 70ern mit dem »Le Gourmet« ein Laureatus in der roten Bibel, leitet seit zwei Jahren die Drehrestaurants im Olympiaturm.
Hach, Speisen im Fernsehturm, graue Schöpfe über allen Töpfen, gibt’s denn gar nichts Neues? Naja, Martin Fauster vom Königshof, fraglos einer der großen Könner an der Spitze der Brigade, war wenigstens »Aufsteiger des Jahres«. War er aber auch schon 2004 und sein durchaus innovatives Restaurant liegt doch arg dicht zugedeckt von den dicken Damastdecken der alten Bundesrepublik. So speisten Generaldirektors schon in den 50ern.
Aber einen jungen Wilden hat die Stadt dann doch am Herd: Andi Schweiger, bastelt in Münchens kleinstem Sternerestaurant, seinem »Showroom«, mit dem Besten von internationalen und regionalen Lieferanten an fröhlich unaufgeregten Tellern. Aber nur an Wochentagen, Samstag ist Kochschule und Sonntag ist zu – Resultat sind Tischreservierungsfristen in akuter Verhungerungsdauer.
Baiersbronn und Grevenbroich und ein Mann, der sich unter Wert verkauft
Trotzdem behaupten die kulinarische Spitze Deutschlands jetzt Orte mit so weltläufigen Namen wie Baiersbronn und Grevenbroich. Eckart Witzigmann verkauft sich derweil mit diversen Medienaktivitäten und Dinnershows deutlich unter Wert. Ein klassisches Eigentor des Münchner Verwaltungsreferats, und so denken wir wehmütig auf einer verlassenen Parkbank des Maximiliansplatzes an Rote-Bete-Gelee, sekundengenau gedämpften Steinbutt und Kartoffelbaumkuchen. Schnief.
Achim Wigand – Reiseblog