Reportage

Fort an den Fjord
oder Der letzte Wohlfahrtsstaat der Welt

Ein Artikel von Hans-Peter Koch, dem Autor unseres Norwegen-Reiseführers (4. Auflage). In seiner Reportage berichtet der Journalist über die hohe Lebensqualität des riesigen Landes, das nicht nur für Derrick ein lohnendes Einwanderungsziel zu sein scheint.


Es muss schön sein, Norweger zu sein. Oder es zu werden. Weit über 10.000 Deutsche sind in den letzten Jahren in das gelobte Land im Norden ausgewandert. Nicht nur Nordland-Fans wie TV-Derrick Horst Tappert zieht es fort an den Fjord, sondern auch Ärzte, Pfleger, Handwerker und Arbeitslose, die in Norwegen weit bessere Arbeits- und Lebensbedingungen finden als in ihrer Heimat.
Krankenhausärzte beispielsweise verdienen im drittreichsten Land der Welt gut und gerne doppelt so viel wie in Deutschland. Norwegische Arbeiter kommen auf einen monatlichen Durchschnittslohn von 3250 €, das Pro-Kopf-Einkommen des Landes liegt bei 44.875 €.
Kehrseite der Medaille: Norwegen ist Europas Spitzenreiter auch bei Verbraucherpreisen. Die Pizza im Lokal ist nicht unter 15 € zu haben und das Kneipenbier nicht unter 6 €, 20 Zigaretten kosten 8,50 € und der Liter Benzin cirka 1,27 €. Bei solchen Preisen sind hohe Löhne überlebenswichtig.

Norwegen, das einer UN-Studie zufolge weltweit die höchste Lebensqualität hat (Deutschland belegt gerade einmal Rang 17), macht es Einwanderern leicht: Gastarbeiter bekommen billigeren Baugrund bei erleichteter Ratenzahlung. Nach wenigen Behördengängen ist der Einwanderer registriert, mit der wichtigen Personenkennziffer versehen und über den neuen Arbeitgeber automatisch kranken- und sozialversichert.
Das Land der Fjorde braucht qualifizierte Fachkräfte. Denn Ausbildung und Arbeitsmarkt können mit dem rasanten Wirtschaftswachstum des drittgrößten Erdöl-Exporteurs der Welt bislang nicht mithalten. Besonders Ärzte, Pflegekräfte und Handwerker sind gefragt; vor allem in den entlegenen Regionen des weitläufigen Landes. Da Norwegen so groß wie die Benelux-Staaten zusammen und zu allem Überfluss auch noch 1700 Kilometer lang ist, verlieren sich die gerade einmal viereinhalb Millionen Einwohner relativ schnell.
Doch nicht nur das hohe Einkommen lockt Neubürger an – es sind die Sozial- und Arbeitsbedingungen im letzten, verbliebenen Wohlfahrtsstaat, die Norwegen so attraktiv machen. Im Schnitt hat der norwegische Arbeitnehmer fünf Wochen Urlaub, muss 37 Wochenstunden arbeiten und erhält ab 67 seine Rente. Arbeitszeit, Kündigungsschutz und Sicherheitsregeln am Arbeitsplatz sind gesetzlich geregelt. Gleichwohl ist die derzeitige Arbeitslosenquote von 4,4 Prozent die höchste seit Kriegsende – mit der deutschen Quote jedoch, die seit Jahren über 10 Prozent liegt, aber kaum zu vergleichen.
Krankengeld wird ein Jahr lang in voller Höhe des Lohnes, Arbeitslosengeld abhängig vom letzten Einkommen 80 Wochen lang bezahlt. Ärztliche Versorgung wie auch das Alters- oder Pflegeheim ist für den Patienten fast kostenlos. Die Selbstbeteiligung bei allen diesen sozialen Diensten soll dabei 1.200 NOK (ca. 130 €) pro Kopf und Jahr nicht überschreiten. Finanziert werden diese wundersamen Entlastungen aus den Erdöl-Einnahmen, die den Staatshaushalt um täglich 60 Millionen € reicher machen.

Solche, fast paradiesischen Zustände, gepaart mit nahezu idealen Lebensbedingungen – abwechslungsreiche, noch unverbrauchte Landschaften; geschichtsträchtige Städte; Kunst und Kultur, die seit jeher vom Staat unparteiisch gefördert werden – machen die Norweger zu einem fröhlichen, stressfreien Völkchen. Und mittlerweile zum viertbeliebtesten Einwanderungsland (hinter den USA, Österreich und den Niederlanden) für die Deutschen.

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