Ein Artikel von Dieter Katz. Der Autor unseres Buches »Ostseeküste – von Lübeck bis Kiel« (2. Auflage) hat sich über eine 4,5 Milliarden Euro teure Brücke Deutschlands »Costa del Sol« genähert und neben Neuigkeiten zur Insel einige wunderbare Anekdoten über den ehemaligen Amtsrichters Raschies ausgegraben.
Fehmarn ist die »Krone im blauen Meer«. Ihre Insel nennen die Fehmaraner stolz den »sechsten Kontinent«, und alles, was jenseits der Brücke liegt, heißt schlicht Europa. Dabei ist Fehmarn schon seit den 60er Jahren mit Europa verbunden – durch eben jene Fehmarnsundbrücke, die aufgrund ihrer markanten Form hier nur »Kleiderbügel« genannt wird. Jetzt wird die Insel endgültig ins Zentrum Europas rücken. Denn Deutschland und Dänemark haben sich grundsätzlich über den Bau einer weiteren Brücke, der Fehmarnbelt-Brücke, geeinigt. Im Jahr 2015 soll die 20 km lange Brücke über die Ostsee und den Fehmarnbelt fertig sein. Sie wird mindestens 4,5 Milliarden Euro kosten! Die »Vogelfluglinie«, so heißt die Europastraße 47, wäre dann durchgängig bis nach Skandinavien befahrbar.
Doch nicht nur wegen des Brückenbaus gibt sich Fehmarn ganz weltmännisch, denn Fehmarn ist verwaltungstechnisch nun eine Stadt. Die malerische, ehemalige Stadt »Burg auf Fehmarn« und die 42 Dörfer und Siedlungen der Insel bilden gemeinsam die »Stadt Fehmarn«. Doch keine Angst – nichts hat sich zum Schlechten verändert! Nach wie vor gilt die Insel als das regenärmste Gebiet der Republik, als Deutschlands »Costa del Sol«. Nach wie vor entspricht das Küstenprofil im Grunde dem der gesamten Ostseeküste im Kleinformat: Steile Küsten wechseln mit flachen Ufern ab, denen teilweise Sandbänke vorgelagert sind, die Strände sind mal fein und weichsandig, mal steinig und rau.
Eigensinnige Insulaner
Und nach wie vor gelten die nicht nur touristisch, sondern immer noch stark landwirtschaftlich geprägten Insulaner als etwas eigensinnig. Schließlich gilt Fehmarn mit seinen ertragreichen Böden seit jeher als die »Kornkammer« Schleswig-Holsteins und so etwas prägt über Jahrhunderte die selbstbewussten Insulaner, die es in ihrer Geschichte geschafft haben, stets freie Bauern zu bleiben. Solche Eigenheiten sind es, die das Land und die Menschen formen, die in einem Reiseführer jedoch kaum Platz finden können. Und auch noch heute sind die Fehmaraner – vielleicht in etwas abgemilderter Form – ein besonderer Menschenschlag, dessen Charakterzug die folgende, wahre Geschichte vom Fehmaraner Amtsrichter Raschies stellvertretend widerspiegelt.
Mit dem Bau der Fehmarnsundbrücke im Jahr 1963 ging für die Insel das Zeitalter der Isolation zu Ende und das in zweifacher Hinsicht, da im selben Jahr der legendäre Amtsrichter Willy Raschies mit 68 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand ging; bis dahin »herrschte« er mit seiner ganz eigenen Art der Gesetzesauslegung auf der Insel. Wer beispielsweise in Raschies Amtszeit betrunken Auto gefahren war, musste die Strafe in der Inselzelle auch absitzen, denn für Trunkenheitsfahrten gab es grundsätzlich keine Bewährung! Seinen legendären Ruf erwarb sich der Richter auch durch sein selbstbewusstes Auftreten gegenüber der britischen Besatzungsmacht. So stellte die Staatsanwaltschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beim Amtsgericht Burg a. F. den Antrag, den Fischer Pahlke zu bestrafen, weil dieser die von den Briten befohlene Flagge nicht gesetzt habe. Seine Erklärung, er habe sie in einem Wirbelsturm in Nord-Norwegen verloren, sei nicht glaubhaft; außerdem habe er eine Reserveflagge mitzuführen. Amtsgerichtsrat Raschies lehnte den Antrag mit den Worten ab: »Ich möchte den Angeklagten nicht bestrafen. Die Ausrede mit dem Wirbelsturm in Nord-Norwegen glaube ich auch nicht. Sie ist aber gut. Hätte er den Sturm in den Fehmarnsund verlegt, würden wir es mit der Beweisführung leichter haben. Was das Nichtmitführen der Reserveflagge angeht, so missbillige auch ich als alter Pessimist solches Verhalten aufs Nachdrücklichste. Aber wir können doch nicht alle Optimisten bestrafen. Die Fischer sind nun mal leichfertige Gesellen. Sie fahren aus in Sturm und Nacht bei Eis und Schnee und begeben sich in Lebensgefahr, ohne sich einen Reservekutter mitzunehmen«.
Der Freispruch zweier Ochsen
Viele Jahre später, schon zu Zeiten des aufkommenden Tourismus, wurde einmal ein Bauer von einer Urlauberin wegen Tierquälerei verklagt, weil er seine Rindviecher beim Treiben zum Bahnhof recht ruppig behandelt habe. Die beiden Laienrichter beim Schöffengericht in Burg a. F. waren entsprechend dem Gesamtanteil der Inselbevölkerung natürlich ebenfalls Bauern. Sie konnten an dem Verhalten ihres Kollegen nichts Anrüchiges finden und stimmten geschlossen für Freispruch. Diesen formulierte der listige Vorsitzende Raschies so: »Der Angeklagte wird von dem Vorwurf der Tierquälerei von zwei Ochsen freigesprochen«.