Paris ist ein begehrtes Reiseziel – und nicht erst seit der Entstehung der Billigflieger. Der Louvre, der Eiffelturm und die künstlerisch-wilde Atmosphäre locken Millionen in die französische Metropole. Unser langjähriger Autor Ralf Nestmeyer, dessen Paris-Guide in 5. Auflage neu erschienen ist, hat sich einmal auf den abseitigen Wegen herumgetrieben – und die »echten« Bistros und klassischen Brasserien auf der Ile de la Cité und der Ile Saint-Louis getestet.
Wie zwei steinerne Schiffe liegen die Ile de la Cité und die Ile Saint-Louis in der Seine. Dicht bebaut, von mächtigen Kaimauern geschützt, trotzen sie seit Jahrhunderten den milchig-braunen Fluten. Die Ile de la Cité ist die Keimzelle von Paris. Eine in den Boden vor der Kathedrale Notre-Dame eingelassene Messingplatte weist die Insel als das symbolische Zentrum von Frankreich aus, da alle Entfernungen von diesem Nullkilometer aus gemessen werden. Nur das Herz von Paris schlägt hier nicht mehr. Es gibt kaum noch Geschäfte und Wohnhäuser, der Vorplatz der Kathedrale wirkt trotz Touristenmassen öde und leer. Einzig der Marché des Fleurs setzt mit seinen Orchideen und Geranien bunte Akzente. Wer hier gut essen gehen will, muss lange suchen, bis er zwischen all den Imbissbuden ein nettes Restaurant ausmachen kann. Das »Vieux Bistro« ist ein solches Schmuckstück. Während jeden Tag Tausende von Touristen auf den Spuren von Victor Hugos buckligem Glöckner vorbeilaufen, hat sich das im Schatten von Notre-Dame gelegene Bistro noch sein eigenes Flair bewahren können. Das Lokal ist eine geradezu klassische Adresse für Liebhaber einer authentischen französischen Küche: Schnecken, boeuf bourguignon oder gegrillte Kalbsnieren dominieren die Speisekarte. Auf der Weinkarte finden sich mehrere gute Flaschen Sancerre und Beaujolais. Zu den Stammgästen des »Vieux Bistro« gehören übrigens auch zahlreiche Beamte aus dem nahen Justizpalast.
Auf der Suche nach dem letzten Bistro
Das Bistro gilt als der Inbegriff der Pariser Gastronomie, knapp zwei Drittel aller Pariser betrachten das Bistro für »einen unentbehrlichen Bestandteil des Lebens«. Die klassischen Bistrotische mit Marmorplatten und gusseisernen Beinen haben längst ihren Siegeszug durch ganz Europa angetreten. Dennoch ist das Fortbestehen dieser Institutionen in der französischen Metropole akut gefährdet: Nur ein paar hundert »echte« Bistros soll es noch an der Seine geben. In der Regel handelt es sich um Lokale mit lockerer Atmosphäre, die im jeweiligen Quartier fest verwurzelt sind. Größtenteils Anwohner kehren hier ein, um kurz hereinzuschauen, um Bekannte zu treffen, um eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen – oder aber, um ein schönes Glas Wein zu trinken. Wer von den edlen Tropfen, die im »Vieux Bistro« kredenzt werden, noch nicht genug hat, sollte zur westlichen Spitze der Ile de la Cité schlendern. In unmittelbarer Nähe des Pont-Neuf, bei dem es sich trotz seines Namens um die älteste Brücke der Stadt handelt, findet sich eine schmucke Weinbar. Benannt ist die »Taverne Henri IV« nach dem als Schürzenjäger berüchtigten König, der den Pont-Neuf als erste unbebaute Brücke von Paris errichten ließ.
Ein »Dorf« mit hohen Mieten
Zur Nachbarinsel Ile Saint-Louis ist es zwar nur ein kurzer Spaziergang über eine kleine Brücke. Aber man merkt schon nach wenigen Minuten, dass man sich in einer anderen Welt befindet. Mit ihren stillen Gassen und den vielen Cafés und Bistros strahlt die Insel eine fast dörfliche Atmosphäre aus; sie ist eine Oase inmitten der Millionenstadt, zentral und isoliert zugleich. Diese architektonische Geschlossenheit spiegelt sich auch beim harmonischen Ineinandergleiten der Fassaden wider. Trotz des einheitlichen Erscheinungsbildes sind soziale Unterschiede nicht zu übersehen: Die bourgeoisen Familien wohnen seit jeher in den Häusern entlang der Seine-Quais, vorzugsweise im Ostteil der Insel.
Wer auf der Ile Saint-Louis aufgewachsen ist, hält ihr in der Regel ein Leben lang die Treue; doch gibt es mittlerweile auch zahlreiche Neubürger, da die Mieten für die alteingesessenen Inselbewohner kaum mehr zu bezahlen sind. Seit den sechziger Jahren, als die Ile Saint-Louis in Mode kam, vollzog sich ein umgreifender Strukturwandel. Die traditionellen Malergeschäfte und Metzgereien wurden von Galerien und Restaurants verdrängt, und die Wäschereien, für die die Insel einst berühmt war, sind mittlerweile gänzlich verschwunden. Zu den prominentesten Insulanern gehört der Sänger und Lyriker Georges Moustaki, den die von der Seine umspülte Ile Saint-Louis an das heimatliche Mittelmeer erinnert. Und wer bei seinem Parisurlaub Inselluft schnuppern möchte, kann sich in einem der drei Hotels der Ile Saint-Louis ein Zimmer reservieren.
Ein Hauch von Elsass
Genauso beliebt wie die Bistros sind die Pariser Brasserien. Ihre Geschichte geht zurück auf die deutsche Besetzung von Elsass-Lothringen (1870), als viele Elsässer ihre Heimat aus Protest verließen und nach Paris zogen. Zumeist in Eckhäusern oder an Kreuzungen gelegen, wurden in den darauffolgenden Jahren zahlreiche Restaurants dieses Typs eröffnet. Große Gasträume mit dem stets gleichen Interieur: verspiegelte Wände, Buntglasfenster, Plüschbänke und makellos weiße Tischdecken. Auch die Brasserie de l’Ile Saint Louis steht in dieser Tradition. Seit 1889 gehört das Lokal zu den beliebtesten Adressen auf der Ile Saint Louis. Während die große, sonnige Straßenterrasse wegen ihres schönen Blickes auf Notre-Dame vor allem bei Touristen begehrt ist, stehen die Insulaner am schmucken Tresen und plauschen bei einem Glas Bier vom Fass oder einem Ballon Vin d’Alsace. Aufgetischt wird deftige Kost, allen voran das obligatorische Sauerkraut (choucroute), das meist mit geräuchertem Fleisch, gelegentlich auch mit Meeresfrüchten, serviert wird. Wer sich nicht recht mit der bodenständigen Kost anfreunden kann, der ist mit einem zarten onglet de boeuf oder einem Rochen in Nussbutter sicherlich bestens beraten.
Liegt Paris am Nil?
Unverhofft hat man in einer kleinen Seitenstraße der Ile Saint Louis den Duft von Minze und anderen orientalischen Gewürzen in der Nase. »Taverne du Nil« steht verheißungsvoll über der Tür des Restaurants. Die Seine ist zwar nicht der Nil, und durch den Libanon fließt der größte Strom Afrikas auch nicht, aber abgesehen von diesen Ungereimtheiten, gibt es zwischen Frankreich und dem Libanon viele Verbindungen. Beiruts Spitzname ist nicht zufällig »Paris des Ostens«, und seit dem Ersten Weltkrieg kamen zahlreiche Immigranten aus dem Nahen Osten nach Paris, wo sie ihre kulinarischen Traditionen pflegten. In der »Taverne du Nil« findet man das gesamte Spektrum der libanesischen Küche auf hohem Niveau. Dem neugierigen Gast wird mezze empfohlen, eine Komposition verschiedener kalter und warmer Gerichte, darunter ein houmos genannter Kichererbsenbrei mit Sesampaste sowie labneh, ein mit Olivenöl und Knoblauch zubereiteter Quark. Als Hauptgang gibt es gegrillte Lammspießchen und kafta, ein fein gehacktes Fleisch mit Petersilie.
Das beste Eis der Stadt
»Wer Sorbet sagt, sagt Berthillon« heißt ein geflügeltes Pariser Sprichwort, denn »Berthillon« gilt als der beste Eismacher der Stadt. Zahlreiche Restaurants beziehen ihr Eis von der Ile Saint-Louis. Die Einheischen wissen die Qualität zu schätzen: Nicht nur in den Sommermonaten zieht sich die Schlange bis weit auf die Straße hinaus. Wer das in der dritten Generation als Familienbetrieb geführte Geschäft betritt, ist auf Anhieb fasziniert von der Vielfalt der Farben und Geschmäcker. Jeden Morgen werden die marktfrischen Früchte nach strenggeheimen Familienrezepten zu köstlichen Leckereien verarbeitet. Allein acht verschiedene Sorten Schokoladeneis werden täglich zubereitet. Der kühle Gaumenkitzel empfiehlt sich sozusagen als süßer Trost, wenn es am Ende eines kulinarischen Insel-Rundgangs Abschied zu nehmen gilt.