Martin Walser wird nicht müde, über den alten Herrn zu schreiben. Reich-Ranicki hört nicht auf, ihn zu preisen, und in jeder Schule westeuropäischer Prägung liest man mindestens ein Gedicht von ihm. Bei der ewigen Rangliste der Kalendersprüche steht er an erster Stelle und selbst Böhmen hat einen Narren an ihm gefressen: Johann Wolfgang von Goethe, Deutschlands einziger echter Superstar. Michael Bussmann und Gabi Tröger haben sich anlässlich ihrer Neuauflagen »Südböhmen – Böhmerwald« (2. Auflage 2008) und »Westböhmen & Bäderdreieck« (3. Auflage 2008) auf eine witzige Spurensuche begeben.
Ein Gebäude in der westböhmischen Metropole Pilsen wird von einer Gedenktafel der besonderen Art geschmückt. Darauf ist zu lesen: »In diesem Haus hat Johann Wolfgang von Goethe nie gewohnt, nie übernachtet. Er blieb hier nie stehen und trank in diesem Haus niemals eine einzige Tasse Kaffee.« Eine kleine Parodie auf den hiesigen Kult um den großen deutschen Dichterfürsten. Goethe, zählt man all seine 17 Kuraufenthalte zusammen, verbrachte rund drei Jahre in Westböhmen. Das Ergebnis: 326 Goethegedenktafeln und 18 Goethedenkmäler! Man kann fast von einem kleinen Wirtschaftszweig sprechen, den Goethe, quasi postum, entstehen ließ.
Ein Denkmal steht inmitten des Goethovo námestí, des Goetheplatzes von Marienbad. Goethe – hier mal nicht im schweren Stoff sondern aus leichtem Alu – überblickt von dort das Zentrum des Kurbads. Im Nacken des Dichters lädt das Städtische Museum auf einen Besuch, das in erster Linie als Goethe-Gedenkstätte dient. Zu Goethes Zeiten war in dem klassizistischen Gebäude ein Hotel mit dem hübschen Namen »Zur Goldenen Traube« untergebracht – des Geheimrats Bed & Breakfast während seines vierten Aufenthalts im Jahr 1823. Es sollte zugleich sein letzter werden. Bei einem Espresso in der Kavárna Goethe, einem netten Café im Zentrum Marienbads, lässt sich nachlesen, was ihn davon abhielt, jemals wieder in den Kurort zurückzukehren: Liebeskummer. Denn 1823 lernte der damals schon bejahrte Faust-Dichter in Marienbad die gerade 19-jährige Ulrike von Levetzow kennen. Als er um ihre Hand anhielt, bekam er eine Absage. Ulrike, die ihr Leben lang unverheiratet blieb, tat später immerhin noch den berühmten Spruch: »Keine Liebschaft war es nicht.«
Trotzdem konnte der Dichter mit Ulrike noch seinen 74. Geburtstag feiern. Die Party fand in Loket statt, einem noch heute wunderschönen Örtchen mit Burg und rot-weißer Barockkirche nahe Karlsbad. Goethe nannte das damalige Elbogen ein »landschaftliches Kunstwerk«. Selbstverständlich gibt es in Loket auch ein Hotel Goethe. Übernachtet hat Johann Wolfgang dort jedoch nie. Er checkte gegenüber ein, im heutigen Hotel »Bílý kun«, dem »Weißen Pferd«. Zu Goethes Zeiten galt das Haus als vornehme Adresse. Heute sind die Zimmer etwas altbacken, aber die herrliche Panoramaterrasse hoch über dem Flusslauf der Eger ist geblieben – der ideale Ort für Goethes »Marienbader Elegie«.
Die Anmut des Kommunismus im Gegensatz zu Karlovy Vary
Nur ein Katzensprung ist es von Loket nach Sokolov. Sokolov könnte man als Paradebeispiel dafür aufführen, wie 41 Jahre Kommunismus dem Glanz und der Gloria des alten Böhmens zugesetzt haben. Goethe bezeichnete das seinerzeitige Falkenau noch als »wohlgebauten Ort, den ich gar oft, nach Carlsbad fahrend, gar anmutig im Tal der Eger liegen sah«. Von Anmut kann heute keine Rede mehr sein: Sokolov präsentiert sich als Plattenbaukonglomerat inmitten eines Braunkohlebeckens. Wir tun es besser Goethe nach und fahren die 19 Kilometer direkt bis nach Karlsbad. Wie sehr der Dichter dem Kurbad Karlsbad zugetan war, formulierte er 1812 in einem Brief an Wilhelm von Humboldt: »Weimar, Karlsbad und Rom sind die einzigen Orte, wo ich leben möchte.« Karlovy Vary, wie die Tschechen das Heilbad nennen, ist im Gegensatz zu Sokolov noch immer eine Perle: prächtige Zuckertortenvillen vor grünen Hügeln und die geruhsam dahinfließende Teplá dazwischen verleihen dem Städtchen viel Charme. Die Gästebücher aus jener Zeit, als die Stadt noch deutschsprachig war, sind voll mit berühmten Namen wie Dostojewski, Fontane, Herder, Schiller, Bach, Brahms, Beethoven, Chopin, Dvorák, Grieg, Liszt, Paganini oder Wagner – um nur ein paar zu nennen. Das gesellschaftliche Leben von einst kann mit dem von heute zwar nicht mehr mithalten, doch alljährlich im Juli, wenn die Internationalen Filmfestspiele auf dem Programm stehen, verwandelt sich Karlsbad noch immer zum Promitreffpunkt. Und wer kommt, spaziert bewusst oder unbewusst auch einmal auf dem so genannten Goetheweg, der selbstverständlich auch an einem Goethedenkmal vorbeiführt. Und isst Sachertorte im prunkvollen Café des Fünf-Sterne-Palastes Pupp oder Entenbraten mit Kraut und Knödeln in der Gartenwirtschaft »Malé Versailles«. Im »Kleinen Versailles« schmeckte es auch dem Weimarer Klassiker, es war eines seiner Stammlokale.
Goethes Neugier
Das beste Heilwässerchen aber war für Goethe das Franzensbader, er ließ es sich selbst nach Weimar schicken. Natürlich erweist man Goethe auch in Franzensbad die Referenz. Im feinen Restaurant »Goethe« speist man in Gesellschaft von 50 Koi-Karpfen, die sich in Europas größtem Bodenaquarium die Nasen platt drücken. Goethe erforschte auch die Umgebung von Franzensbad. Er wanderte durch das Naturreservat Soos, spazierte um den Amerika-Teich und erkundete den Kammerbühl (Komorní Hurka), einst ein Lava speiender Vulkan, heute nicht mehr als ein harmloser Hügel zwischen Franzensbad und Eger. An Goethes Neugier erinnert dort ein klassizistisches Tempeltor, das jenen Schacht absperrt, den der Naturwissenschaftler Goethe in den Berg treiben ließ. Am Felsen neben dem Schacht ein Goethe-Profil und die Worte: »Dem Erforscher des Kammerbühl.«