Ein Artikel von Hans-Peter Koch, der in diesem Monat die 3. Auflage seines Südnorwegen-Guides vorlegt. Für diesen Newsletter hat er sich während seiner Anreise im dänischen Roskilde umgesehen; allerdings nicht auf dem berühmten Musik-Festival, sondern in einem Wikinger-Museum – unter anderem, um mit der Mär um den angeblich ersten Entdecker Amerikas endgültig aufzuräumen.
Kolumbus war nicht der erste Weiße in Amerika. Seit mindestens 25 Jahren ist unbestreitbar erwiesen, dass Leif Erikson, ein Wikinger-Fürst aus Grönland, um 1000 (also 492 Jahre vor Kolumbus) mit 35 Gefährten die Siedlung Vinland in Neufundland gegründet hatte. Knapp 30 Jahre später waren die Nordmänner zwar von Indianern wieder vertrieben worden – so blieb der Ruhm, als Entdecker Amerikas in die Geschichtsbücher einzugehen, Leif und den Wikingern verwehrt.
Ganze vier Tage brauchten damals die Wikinger-Schiffe von Grönland nach Neufundland; zwei Monate reine Fahrzeit benötigte Kolumbus, der damals noch Colón hieß, um von Andalusien über die Kanarischen Inseln nach Mittelamerika zu segeln. Eine Tatsache, die nicht nur die nautische Überlegenheit der schnittigen Drachenboote gegenüber den bauchigen Spanier-Schiffen belegt, sondern auch die Navigationskünste der Nordmänner unterstreicht. Denn die hatten in den nur 300 Jahren ihrer weltpolitischen Bedeutung vieles schon entdeckt, besiedelt und gegründet: Die Shetland-, Orkney- und Färöer-Inseln entdeckt, Island und Grönland besiedelt, die ersten Königreiche auf Irland und in der Nor(d)mandie gegründet. Und schließlich Nordamerika.
Die bedeutendste Fundstätte der Schiffsarchäologie und der Nachbau eines traditionellen Drachenbootes
Wer alles dies und mehr über die Wikinger und ihre Schiffe, ihre Landnahmen und Raubzüge erfahren will, und zu seiner nächsten Norwegen-Urlaubsreise durch Dänemark düst, sollte in Roskilde unweit Kopenhagens einen Stopp einlegen. In der alten Königsstadt findet man zwar nicht das schönste Wikinger-Museum (das steht im englischen York), aber hier liegt die vielleicht bedeutendste Fundstätte der Schiffsarchäologie. 1962 entdeckte man im Fjord die Überreste von fünf Wikingerschiffen, denen die Dänen ein eigenes Museum widmeten, das Vikingeskipsmuseet. Als die Anlage 1996 erweitert wurde, stieß man erneut auf Reste von nun neun Langschiffen, darunter das mit 36 m Länge größte jemals gefundene Drachenboot.
Die Museumsmacher stellen aber nicht nur die Schiffsfunde aus und erklären faktenreich die Erkundungs- und Eroberungszüge der Wikinger, sondern bauen die Schiffe auch nach. Vor dem Museum erhebt sich eine Werft, in der traditionelle Schiffsbauer mit traditionellen Geräten und in traditioneller Bauweise die Fundstücke rekonstruieren, besser: neu bauen. Star der gegenständlichen Geschichtsarbeit ist »Havhingsten fra Glendalough« (dän. Hengst von Glendalough), der Nachbau eines 1962 gefundenen, 28 m langen Langschiffes. Im September 2004 lief die rekonstruierte Neubau vom Stapel und wird 2007 nach Dublin, der alten Wikinger-Hauptstadt in Irland segeln, wo einst das Holz für das Originalschiff gefällt worden war.
Der Gischt trotzende Gesellen mit klaren Hygienevorschriften
Die Überfahrt wird der Mannschaft einiges abverlangen. Denn, auch das lernt man in Roskilde, kein Deckaufbau schützte die Wikinger auf den Wikingerschiffen vor Regen, Gischt und hohen Wellen. Da die Schiffe – und das war der Grund für ihre Schnelligkeit und Wendigkeit – nur knapp einen Meter über der Dünung durchs Wasser rauschten, stand den Ruderern das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Für Gepäck, Ausrüstung oder Nahrung war kaum Platz an Bord; alles das verschaffte man sich auf überfallartigen Raubzügen. Auch Hygiene fand nur außenbords statt.
Dennoch erreichten Drachenboote den Bosporus und die Balearen, luden ihre wilden Krieger an Elbe und Seine aus und ihre friedlichen Kolonialisten in England und Russland. Und fanden als Erste das neue Land – Neufundland.
Informationen:
Eintritt: 80 DKK, Kinder bis 17 gratis.
Geöffnet: Mo-Fr 9-17 Uhr, Sa-So 10-17 Uhr.