Reportage

Warschau für Romantiker

Gottfried Benn hat ein geniales Gedicht über ihn geschrieben; er selbst gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts: Auf Frédéric Chopin (1810-1849) ist ganz Polen stolz. Warschau bietet zum 200. Geburtstag des begnadeten Virtuosen und Notenkünstlers eine Palette von grandiosen Veranstaltungen. Jan Szurmant hat sich für seine Erstauflage »Warschau MM-City« (zusammen mit Magdalena Niedzielska) ausführlich in der Kultur-Metropole umgesehen – und eine kleine Chopin-Revue zusammengestellt. Wer Chopin liebt, kommt um einen (Kurz)Besuch in der neuen Boom-Town nicht herum, zumal seit März das modernste biographische Museum Europas wiedereröffnet wurde. Selbstverständlich handelt es von – Chopin.


Es ist in Warschau schwer, nicht auf seinen Namen zu stoßen. Am Flughafen, in Infobroschüren, bei Hotelbezeichnungen oder auf Speisekarten, so etwa im traditionsreichen Restaurant Honoratka, in dem er Stammgast war. – Die Rede ist von Frédéric Chopin, vor 200 Jahren im nahe bei Warschau liegenden Dorf Żelazowa Wola als Fryderyk Franciszek Szopen geboren. Als der spätere Komponist und Pianist mit seiner Familie in jungen Jahren nach Warschau zog, wurde schon bald darauf von einem außerordentlich begabten Wunderkind gesprochen. Sein einzigartiger Anschlag, seine frühen Kompositionen und seine erstaunliche Fähigkeit zur Improvisation begeisterten schnell ein rasch wachsendes Publikum in den noblen Warschauer Salons. Wegen der Repressionen infolge der Teilungen Polens floh Chopin ins Pariser Exil; nicht nur Musikkritiker entdeckten in seinen Werken fortan eine »slawische Melancholie«.

Urne mit Chopins Herzen in der Heiligkreuzkirche
Urne mit Chopins Herzen in der Heiligkreuzkirche

Wenn heute ein Warschau ohne Chopin genauso unvorstellbar ist wie Wien ohne Mozart, liegt dies auch an der sehnsüchtigen Wehmut des Komponisten, der fortwährend an seine verlassene Heimat dachte. Obwohl er nach dem frühen Tod 1849 auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise bestattet wurde, brachte man sein Herz auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin in die Warschauer Heiligkreuzkirche. Noch heute pilgern Freunde seiner Musik in das Gotteshaus am Königstrakt, darunter übrigens nicht nur zahlreiche Deutsche, sondern auffallend viele Chinesen. Für letztere ist Chopin geradezu ein Inbegriff der europäischen Romantik.


Die Highlights im Chopin-Jahr

Mit Polonaisen, Mazurkas, Nocturnes und Balladen hat sich Chopin einen Platz in der Musikgeschichte gesichert und noch immer zählen seine Kompositionen zu den beliebtesten Programmpunkten der klassischen Musik. Pünktlich zum 200. Geburtstag gibt es weltweit unzählige Veranstaltungen zu seinen Ehren – ganz besonders viele in Warschau. »Dies wird mein Jahr«, so lautete die Botschaft, die polenweit über Plakate am Ende des letzten Jahres verbreitet wurde.

Chopin-Geburtshaus in Żelazowa Wola
Chopin-Geburtshaus in Żelazowa Wola

Den Auftakt für das Jubiläumsjahr machte dann ein Konzertmarathon, der mit dem nicht gesicherten Geburtsdatum des Komponisten zusammenhängt. Mal wird der 22. Februar 1810 angegeben, mal der 1. März 1810. Das Geburtstagsständchen mit den weltweit besten Chopin-Interpreten dauerte deswegen ganze acht Tage. Kürzer, aber nicht weniger interessant wird die polnische Ausgabe des internationalen Festivals »La Folle Journée« sein, das unter dem Motto »Verrückte Musiktage« am zweiten Juniwochenende stattfinden wird. Im Teatr Wielki und auf dem Theaterplatz werden dann ungewöhnliche Interpretationen von Chopins Werken aufgeführt. Anlässlich des runden Geburtstags richtet das fest im Warschauer Veranstaltungskalender verankerte Festival »Musische Gärten« seinen diesjährigen Fokus auf Chopin. Die Konzerte finden den ganzen Juli über im Innenhof des Königsschlosses statt. Unbestrittener Höhepunkt ist aber der Internationale Chopin-Wettbewerb, ohne jeden Zweifel einer der wichtigsten Preise für klassische Musik. Er findet nur alle 5 Jahre für drei Wochen im Oktober statt. Mit dem Großen Abschlusskonzert klingt das Chopinjahr dann am 21. Dezember in der Nationalphilharmonie aus.

Chopin-Denkmal im Park Łazienki Królewskie
Chopin-Denkmal im Park Łazienki Królewskie

Doch nicht nur im Jubiläumsjahr lohnt sich für Chopinliebhaber ein Besuch in Warschau. Jedes Jahr gibt es an den Sonntagen von Mai bis September kostenlose Konzerte im Łazienki-Park beim berühmten Denkmal für den Komponisten. Beim Teich, inmitten von Rosenbeeten lauschen dann Touristen wie Einheimische den berühmtesten Interpreten seiner Musik. Auch in Chopins Geburtsort Żelazowa Wola werden alljährlich in der Sommersaison Konzerte veranstaltet. Der Andrang ist in der Regel so groß, dass die Fenster geöffnet und auch außerhalb des Hauses Bänke aufgestellt werden. Das »Internationale Musikfestival Chopin und sein Europa« konzentriert sich Jahr für Jahr auf den polnischen Romantiker und seine Bedeutung für die europäische Musik. So werden an verschiedensten Orten in der Stadt Werke von Komponisten gespielt, die Chopin beeinflusst haben oder von ihm beeinflusst wurden. Im Jubiläumsjahr wurde die Festivalzeit auf den ganzen Monat August verdoppelt.


Ein runderneuertes Museum als Technologiewunder

Ein ganz besonderes Ereignis war die Wiedereröffnung des Chopin-Museums im März. Die ehrgeizige Vorgabe für die Restrukturierung war es, das modernste biographische Museum Europas zu schaffen. So schrieb die italienische La Repubblica nach der Wiedereröffnung von einem »Technologiewunder«, was sicher nicht nur daran liegt, dass die verantwortlichen Designer die Mailänder Mara Servetto und Ico Migliore sind. Modernste Multimedia-Techniken, interaktive Hörstationen und eine zeitgemäße Museumsdidaktik lassen jeden Besucher in die faszinierende Musikwelt von Chopin eintauchen. Was man wann, wo und wie sehen, hören und fühlen möchte, entscheidet jeder Besucher für sich.

Chopin-Büste in Żelazowa Wola
Chopin-Büste in Żelazowa Wola

Weniger modern ist der Chopinsalon, eine Dependance des Chopin-Museums, das die Wohnung präsentiert, in der die Familie des Komponisten zehn Jahre lang lebte. Hier verfeinerte das junge Genie unter Anleitung seines Lehrers Józef Elsner seine pianistischen und kompositorischen Fähigkeiten und gab bereits einige öffentliche Konzerte. Geradezu Pilgerstätten sind die Urne mit dem Herzen von Chopin in der Heiligkreuzkirche auf dem Königstrakt sowie das Fryderyk-Chopin-Denkmal in den Łazienki Królewskie, dem Königlichen Bäderpark. Bis zum 9. Mai wurde das Geburtshaus in Żelazowa Wola restauriert. Wie lange auch immer eine ganz persönliche Begegnung an den mit Chopin verbundenen Orten dauern soll – auf jeden Fall wird man die romantische Seite Warschaus und seiner Umgebung entdecken.


Adressen und Öffnungszeiten:

Fryderyk-Chopin-Museum: Di-So 12-20 Uhr, Mo geschlossen. Wiedereröffnet nach Renovierungsarbeiten seit April. Eintritt 5 €, erm. 3 €. ul. Okólnik 1. www.chopin.nifc.pl.

Heiligkreuzkirche: Tägl. 10-18 Uhr, Messe Mo-Sa 6, 7, 8, 9, 18 Uhr. So 6, 7, 8, 10.30, 11.45, 13, 16, 18, 19 Uhr. ul. Krakowskie Przedmiescie 3. www.swkrzyz.pl.

Fryderyk-Chopin-Denkmal: in den Łazienki Królewskie, den Königlichen Bäderpark. www.lazienki-krolewskie.pl.

Chopinsalon: Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa/So geschlossen. Eintritt 1 €, Mi frei. ul. Krakowskie Przedmiescie 5. www.chopin.nifc.pl.

Honoratka: in dem seit 1826 betriebenen Restaurant war der junge Chopin ein oft gesehener Gast, woran gerne erinnert wird. Gute und erschwingliche Küche, nicht nur für Chopin-Fans. Tägl. 10-23 Uhr. ul. Miodowa 14 (Eingang auch über ul. Podwale 11). www.honoratka.com.pl.

Geburtshaus von Frédéric Chopin: Feierliche Wiedereröffnung am 9. Mai. Di-So 9-16 Uhr, Mo geschlossen, April bis Okt. bis 17.30 Uhr. Eintritt 2 €, erm. 1 €. Żelazowa Wola 15 in Sochaczew. Tel.: 0048-46-8633300, www.chopin.nifc.pl.


Konzerte und Festivals:

Chopin-Konzerte: jeden Sonntag von Mai bis September um 12 Uhr und 16 Uhr kostenlose Konzerte im Łazienki-Park beim berühmten Denkmal für den Komponisten. www.tifc.chopin.pl.

Chopin Open: vom 11.-13.06.2010 im Teatr Wielki und auf dem Theaterplatz. www.chopinopen.pl.

Musische Gärten: im Chopinjahr den ganzen Juli über Interpretationen seiner Werke in einem Zelt im Hof des Warschauer Schlosses. www.ogrodymuzyczne.pl.

Internationales Musikfestival Chopin und sein Europa: im Jubiläumsjahr 2010 finden die Konzerte im gesamten Monat August statt, in den anderen Jahren in der zweiten Augusthälfte. www.en.chopin.nifc.pl/festival.

Internationaler Chopin-Pianistenwettbewerb: der Termin für das Jubiläumsjahr ist der 2.-23.10. www.konkurs.chopin.pl.

Großes Abschlusskonzert: am 21.12. klingt das Chopinjahr mit dem Abschlusskonzert in der Nationalphilharmonie aus.


Ausstellungen:

Historisches Museum Warschaus: Ausstellung »Warschau – Jugendstadt Chopins« von 10.03.-20.06. Di/Do 11-18 Uhr, Mi/Fr 10-15.30 Uhr, Sa/So 10.30-16.30 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt für die Ausstellung 1 €. Rynek Starego Miasta 28-42. www.mhw.pl.

Nationalmuseum: Ausstellung »Chopin – Ikonosphäre der Romantik« von 24.09.-14.11. Di 10-17 Uhr, Mi/Do 10-16 Uhr, Fr 12-21 Uhr, Sa/So 12-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt für die Ausstellung 4 €, erm. 2 €. al. Jerozolimskie 3. www.mnw.art.pl.


Chopin für zu Hause – ein paar Tipps:

Patte, Jean-Yves: Auf den Spuren von Frédéric Chopin. Gerstenberg, 2000. Diese Mischung aus Biographie, Anekdotensammlung, verträumtem Fotoband und einem kleinen Reiseführer am Ende des Buchs ist für Chopinbegeisterte ohne jeden Zweifel ein Muss!

Blechacz, Rafal: Fryderyk Chopin – Preludes Nr. 1-26. DGG, 2006. Das Jahrhundert-Talent gewann mit 20 Jahren den letzten Warschauer Chopin-Wettbewerb im Jahr 2005. Warum sich sowohl Jury als auch Publikum einig waren, demonstriert dieses Debüt auf lyrische und zugleich kraftvolle Weise.

Zimerman, Krystian: Polish Festival Orchestra – Chopin: Piano Concertos Nos. 1 & 2. Deutsche Grammophon, 1999. Der Chopin-Wettbewerbsgewinner von 1975 widmete dem polnischen Romantiker zu dessen 150. Todestag eine der größten Interpretationen, die je von seiner Musik gemacht wurden.


Weitere Informationen zum Jubiläumsjahr und zum Komponisten:

Chopin-Institut Warschau, pl. Pilsudskiego 9, Tel.: 0048-22-8275473, Fax: 0048-22-8279599, www.chopin.nifc.pl (Seite des Instituts), www.infochopin.pl (Internationales Chopin-Informationszentrum), www.chopin2010.pl (Homepage für alle polnischen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr), www.chopin2010.um.warszawa.pl (Homepage für die Warschauer Veranstaltungen im Jubiläumsjahr).
Informationen über Chopins Leben und Werk: www.chopin.pl.

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