Es mag an Putin liegen, weshalb Moskau manchmal als abweisend wahrgenommen wird. Die Einschränkung der Pressefreiheit, die Verhaftung von Oppositionellen und die Drangsalierung von Homosexuellen sind nur einige Beispiele. Gleichzeitig spricht die Protestbereitschaft der Moskowiter für ihre Weltoffenheit. Anika Zeller hat die russische Hauptstadt erneut besucht – und eine launige Top Ten voller Insidertipps geschrieben. Wer weiß schon, welche Rückzugsorte, Stadtviertel und Klassiker sich wirklich lohnen? Und was hat es mit den »Wohnhausmuseen« und der Straßenmusik auf sich?
Klassiker
Der Klassiker unter den Klassikern ist der Rote Platz. Und das zu Recht. Unzählige Male schon habe ich ihn betreten, jedes Mal wieder bin ich auf gewisse Weise ergriffen. Besonders schön ist der Platz in den Abendstunden, wenn sich eine wohltuende Ruhe über ihn legt. Die letzten Strahlen der tief stehenden Sonne tauchen die bunte Basilius-Kathedrale dann in warmes Licht. Mit Einbruch der Dämmerung setzen die Scheinwerfer ein Bauwerk nach dem nächsten effektvoll in Szene. Und wenn zuletzt die rubinroten Sterne auf den Kremltürmen zu leuchten beginnen – dann weiß ich, dass ich im Herzen Russlands angekommen bin.
Damit der Platz seine volle Wirkung entfalten kann, müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Der Platz darf a) nicht abgesperrt sein, und er darf b) nicht vollgestellt sein mit irgendwelchen Bühnen oder Verkaufsbuden (was beides leider häufig der Fall ist). Im Idealfall ist der Rote Platz vollkommen leer. Dann strahlt er eine Erhabenheit aus, die überwältigt.
Neuentdeckung
Noch vor zehn Jahren war der Gorki-Park ein zwar durchaus charmanter, aber doch sehr trister Ort, mit verrosteten Spielgeräten und Ruderbooten, von denen die Farbe abblätterte. Heute gehört er zum Pflichtprogramm einer Moskaureise, denn er zeigt er eine Seite der Stadt, die viele von ihr nicht erwarten: Er zeigt, wie modern und fröhlich Moskau sein kann und wie unbeschwert die Jugend aufwächst, zumindest ein Teil von ihr.
Was ist passiert? 2010 kam Bürgermeister Sobjanin ins Amt. Er erkannte das große Potential des Parks und verordnete ihm eine grandiose Umgestaltung. Eine der vielen Neuerungen ist der Fahrradweg, der sich kilometerweit am Ufer der Moskwa entlangzieht. Am liebsten leihe ich mir ein Fahrrad am Schnellrestaurant Nudl Mama aus und radele dann bis zu den Sperlingsbergen. Zwischendurch mache ich Abstecher ins Innere des Parks, etwa zum Kunstpark Museon oder zur Galerie Garasch. Und niemals versäume ich einen Zwischenstopp an der Andrejew-Brücke, zumindest nicht an warmen Sommerabenden: Denn dann versammeln sich hier viele Moskowiter und tanzen ausgelassen in die Nacht hinein!
Aussicht
Etliche Aussichtsplattformen locken in Moskau Besucher an, eine der schönsten liegt im 34. Stock des legendären Hotels Ukraina. Es gehört zu den sogenannten »Sieben Schwestern«, wie man die markanten Hochhäuser im stalinistischen Zuckerbäckerstil nennt. Das Besondere der Aussichtsplattform ist, dass man einmal um die Hotelspitze herumlaufen und den Blick in alle Richtungen schweifen lassen kann – und das unter freiem Himmel ohne störendes Fensterglas davor. Besonders gut ist der Blick auf das Außenministerium (ebenfalls ein Zuckerbäckerbau), das Weiße Haus (in dem die russische Regierung sitzt) und Moskau City (das neue Hochhausviertel am Ufer der Moskwa).
Der Kreml ist von hier nicht zu sehen – umso besser dafür von der Patriarchenbrücke! Sie liegt der imposanten Christi-Erlöser-Kathedrale zu Füßen, dem größten orthodoxen Gotteshaus Europas, in dem die Band »Pussy Riot« vor einigen Jahren ihr »Punk-Gebet« aufführte. Eine vergleichsweise neue Aussichtsplattform ist die im Zentralen Kinderkaufhaus, besser bekannt als Detski mir: Nirgendwo sonst kann man sämtliche Kirchen des historischen Stadtkerns auf einen Blick sehen – und das komplett umsonst!
Stadtviertel
Schmale Gassen, niedrige Häuser, verwaschene Fassaden – so lernte ich 1998 Samoskworetschje kennen, das Viertel »jenseits der Moskwa«. Ich sah damals weder teure Autos noch teure Geschäfte, stattdessen ältere Frauen am Straßenrand, die Obst und Gemüse verkauften. Samoskworetschje war anders als das Moskau, das ich vorher kennengelernt hatte. Später erfuhr ich, dass ich nicht die Einzige war, die so empfand. Wer auch immer Samoskworetschje beschrieben hat, der hat vor allem eines betont: die Ruhe und den Gegensatz zum Rest der Stadt. Samoskworetschje war eine »Insel«, das »andere Moskau« oder »echte Provinz«.
Mittlerweile hat sich vieles verändert. Kurz nach meinem ersten Besuch eroberte McDonalds das Viertel, bald darauf wurde es eng und laut in den Gassen. Heute sind die Gehwege frisch gepflastert. In die sanierten Häuser sind Restaurants gezogen. Und auch die »Perle« von Samoskworetschje, die Klemens-Romanus-Kirche, wurde vor einigen Jahren knallig rot restauriert. Das Samoskworetschje von heute ist nicht mehr das von 1998. Aber es ist noch immer ein Viertel, das anders ist als der Rest der Stadt. Dafür mag ich es.
Museum
In den Wohnungen und Häusern, in denen einst berühmte Dichter, Maler oder Musiker lebten, befinden sich heute sogenannte »Wohnhausmuseen«. Liebevoll präsentierte Exponate geben Einblick in Alltag und Werk der verehrten Helden. Kundige Museumsfrauen erzählen Anekdoten – und freuen sich über jeden, der ihren Idolen die gebührende Aufmerksamkeit schenkt.
In meinem Reiseführer stelle ich rund zwei Dutzend dieser Wohnhausmuseen ausführlich vor. Wer nur Zeit für eines hat, der sollte sich für das Tolstoj-Wohnhaus in Chamowniki entscheiden, knapp außerhalb des Stadtzentrums. 19 Winter verbrachte Lew Tolstoj, der große Realist der russischen Literatur, in diesem Haus mit seiner Familie. Und noch immer scheint es, als käme der Dichter gleich um die Ecke geschlurft: Die selbst geschusterten Stiefel stehen zum Hineinschlüpfen bereit. Im Schuppen wartet der Schlitten mit der Tonne zum Wasserholen. Und im Speisezimmer ist der Tisch gedeckt, als würde jeden Moment die Suppe serviert.
Rückzugsort
Moskau ist hektisch, Moskau ist laut, hin und wieder braucht man eine Auszeit. Einer der besten Orte dafür – innerhalb des Zentrums – ist der Patriarchenteich. Bekannt geworden ist er durch den Schriftsteller Michail Bulgakow, der ihm mit seinem Kultroman »Der Meister und Margarita« ein unvergessliches Denkmal setzte. Bulgakow-Fans nehmen daher wie Romanheld Berlioz Platz auf einer der Bänke – »das Gesicht dem Teich, den Rücken der [Straße] Mal. Bronnaja zugekehrt« – und holen die Pflichtlektüre aus der Tasche.
Die Geschichte des Patriarchenteichs begann jedoch lange vor Bulgakows Zeit. Angelegt Anfang des 17. Jahrhunderts sollten die Teiche (damals waren es noch drei) den nahen Hof des Patriarchen mit frischem Fisch beliefern. Später entwickelten sie sich zu einem beliebten Ausflugsziel der Moskauer. Ende des 19. Jahrhunderts wurden schließlich zwei der Teiche zugeschüttet, statt Fisch war nun Baugrund gefragt. Heute ist die Gegend rund um den Patriarchenteich eine Art Szeneviertel von Moskau, in dem sich Bars, Cafés, Restaurants und Boutiquen nahtlos aneinanderreihen.
Unterkunft
Die beste Möglichkeit, für wenig Geld in Moskau zu übernachten, ist zweifellos das Good Mood Hostel (DZ ab 2700 R, etwa 37 Euro). Schon die Internetseite macht Lust, sofort ein Zimmer zu buchen. Vor Ort werden die Erwartungen noch um einiges übertroffen. Im Gemeinschaftsraum dominieren Holz und roter Backstein, in der Küche bunte Stühle und Lampen. Einziges Wermutströpfchen: In Stoßzeiten wird das Wasser der Duschen nicht immer richtig warm. Aber da alles andere perfekt ist, mag man darüber kaum schimpfen!
Wer etwas mehr Geld zur Verfügung hat, dem empfehle ich das Hotel Stary gorod (DZ ab 7000 R, knapp 95 Euro). Es liegt zentral in der beliebten Einkaufsstraße Kusnezki most und ist in puncto Preis-Leistungs-Verhältnis eines der besten Hotels der Innenstadt. Wer sich um russische Rubel keine Gedanken machen muss, der kann sich im Hotel Moss einquartieren (DZ ab 15.300 R, ca. 208 Euro), dem neuen Boutique-Hotel im Viertel Basmanny. Edle Holzböden gepaart mit moderner Betonoptik – auf Stil und Design muss hier niemand verzichten. Extravagantes Detail: Im Fahrstuhl und auf den Gängen erklingt beruhigendes Vogelgezwitscher.
Nachtleben
So erschöpft man am Ende eines langen Tages in Moskau auch sein mag: Mindestens einmal sollte man in die hiesige Clubszene eintauchen! Immer findet sich ein Laden zum Feiern und Tanzen, zum Live-Musik-Hören und Mitsingen. Die Vielfalt der Szene beeindruckt ebenso wie die einzigartige Gestaltung vieler Clubs.
Einer der ältesten und populärsten Läden ist das Propaganda. Tagsüber Café und Restaurant mit moderaten Preisen, abends Club mit oftmals hochklassigen DJs. Gegen 23 oder 24 Uhr werden die Rollläden heruntergelassen, Tische und Stühle beiseite geräumt. Dann geht die Party los – und sie endet erst am frühen Morgen. Einer der neueren Clubs ist das Dom 12 (gesprochen: Domm Dweenaazitt). »Club« ist allerdings nicht das richtige Wort für diesen Ort, denn das Dom 12 ist zugleich Bar und Biergarten, Theater, Kino und Konzertbühne. Das Publikum ist bunt zusammengewürfelt, die Atmosphäre herrlich ungezwungen.
Viel verbreiteter als bei uns ist übrigens auch die Straßenmusik, vor allem an warmen Sommerabenden. Mal spielt ein einsamer Gitarrist, mal eine achtköpfige Combo – fast immer aber stehen die Moskowiter im großen Kreis drum herum und singen lauthals mit!
Einkaufen
Der schönste Lebensmittelmarkt Moskaus war der Danilow-Markt schon immer. Seit seiner Umgestaltung aber gehört er zum Pflichtprogramm. Kaukasische Obsthändler türmen pyramidenförmig ihre Melonen, Orangen und Granatäpfel auf, usbekische Krämer bieten Trockenfrüchte und Nüsse zum Probieren an, die Luft ist erfüllt vom Duft orientalischer Gewürze. Die Moskauer aber pilgern nicht nur zum Einkaufen her, mindestens ebenso verlockend sind die vielen hippen Bistros, die sich am Rand des runden Gebäudes niedergelassen haben. Sie bieten so gut wie alles an, was das globale Herz begehrt: von Fladenbrot aus Dagestan über vietnamesische Pho-Bo-Suppe bis hin zu Gemüsebratlingen aus Armenien.
Ebenso vielfältig, wenn auch in anderer Hinsicht, ist der Ismajlowski-Markt, der wohl größte Souvenirmarkt Europas. In engen, vollgestopften Gängen stapeln sich Matrjoschkas und Pelzmützen, Lackschachteln und Sowjetandenken. Nationale Sangeskunst, oft in Tracht und mit Balalaika-Begleitung, erzeugt am Wochenende wahre Jahrmarktatmosphäre. Im oberen und hinteren Bereich des Marktes findet man neben Souvenirs auch Gemälde, Antiquitäten und Flohmarktartikel (allerdings nur am Wochenende).
Essen und Trinken
Als der Michael Müller Verlag vor einigen Jahren ein Label einführte, das Restaurants und Geschäfte kennzeichnen sollte, die »nachhaltig, ökologisch, regional« sind, da fiel mir für Moskau kein einziges Beispiel ein. Mittlerweile habe ich das Label ein paar Mal vergeben, am meisten aber verdient es Lavka Lavka! Anfangs bezeichnete dieser Name nur ein Geschäft. Es verkaufte Lebensmittel von Landwirten aus der russischen Provinz, die nach ökologischen Richtlinien wirtschaften. Der Käufer erfuhr en Detail, woher Eier, Fleisch, Kartoffeln und Zwiebeln stammten, und manchmal sogar, wer sie geerntet hatte … Im gleichnamigen Restaurant kamen die Produkte schließlich auf den Teller.
Mittlerweile ist Lavka Lavka kettenartig organisiert, zusätzlich zum Restaurant gibt es mehrere kleinere »Kafes«. Gekocht wird dort meist in einer offenen Küche, ebenfalls mit Produkten, die im angeschlossenen Laden verkauft werden. Eindeutig ein Highlight in Moskau!