Top Ten

Teil 14: Sardinien
oder Die Karibik Europas

Eine romanische Kirche in Zebrahaut, jahrtausendealte kegelförmige Türme, deren Funktion bis heute noch nicht geklärt ist, der größte bisher bekannte Tropfstein Europas – Sardinien bietet viele Besonderheiten, darunter eine Granitwildnis am Meer, die wie eine »ungeheuere Menge Knetmasse« wirkt, »die ein Riese zerstampft und zerbröselt« hat. Eberhard Fohrer weiß, wo sich die Besonderheiten befinden – und was es mit ihnen auf sich hat. Seine Sardinien-Bibel ist 2016 in 15. Auflage neu erschienen.


Sardinien – Eberhard Fohrers Top Ten

Skurril: Capo Testa oder Die Granitwildnis am Meer

Die Granitwildnis im äußersten Norden Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)
Die Granitwildnis im äußersten Norden Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)

Das markante Kap im äußersten Norden Sardiniens ist eines der landschaftlichen Highlights der Insel. Wie eine ungeheuere Menge Knetmasse, die ein Riese zerstampft und zerbröselt hat, türmt sich hier eine bizarre Granitwildnis in skurrilsten Formen auf – entstanden durch jahrtausendelange Erosion von Sturm, Meer und extrem wechselnden Temperaturen.
Vom windgegerbten Gallurastädtchen Santa Teresa di Gallura – Korsika ist in Blickweite – sind es nur wenige Kilometer zum Capo Testa. Die Straße endet an einer Wendeplattform, von dort macht man sich zu Fuß auf, um das weitläufige Gebiet zu erkunden. Rechts der Straße hat sich in idyllischer Lage unter Wacholderbäumen das Lokal »Sea Lounge« eingerichtet, unterhalb davon liegt die Badebucht Cala Spinosa mit kristallklarem Wasser. Das benachbarte Valle di Luna ist bekannt als ehemaliger Hippietreff, und auch heute zelten hier noch Alternativurlauber in den zahlreichen Höhlen beiderseits des Tals.


Strände: Die Karibik Europas oder Badespaß rund um die Insel

Eine Top-Ten-Liste ließe sich allein durch die großartigen Strände füllen. Einer davon liegt in der Bucht von Buggerru (Foto: Eberhard Fohrer)
Eine Top-Ten-Liste ließe sich allein durch die großartigen Strände füllen. Einer davon liegt in der Bucht von Buggerru (Foto: Eberhard Fohrer)

Das größte touristische Kapital Sardiniens? Das ist zweifellos die schier unglaubliche Zahl an großartigen Stränden, die in allen Inselecken zu finden sind. Es gibt so viele, dass damit leicht allein eine Top-Ten-Liste gefüllt werden könnte: die wilde Dünenlandschaft der Costa Verde an der Westküste, die viel besuchte Spiaggia La Cinta bei San Teodoro, die im Sommer glutheiße Costa del Sud mit ihren Lagunenseen, die 10 km lange und bis auf eine Ferienstadt kaum bebaute Costa Rei im Südosten, der fantastische Golf von Buggerru, wo bis ins 20. Jahrhundert nach Erz gebohrt wurde, die Bucht von Budoni südlich von Olbia, die Reiskornstrände mit ihren großen Quarzsandkörnern auf der Sinis-Halbinsel bei Oristano und und … Entlang der gesamten Küstenlinie reihen sich Dutzende kilometerlanger Sandstreifen im Wechsel mit ruhigen Felsbuchten, in denen sich Granit und Porphyr, ein vulkanisches Gestein, zu den wildesten Formen verschlingen.
Nun die schlechte Nachricht: Das leuchtend türkise Wasser, die grüne Pineta (= Pinienbewuchs an den Stränden) und die duftende Macchia – in der Nebensaison kann man das vielerorts fast alleine genießen, doch im Hochsommer ändert sich das Bild. Dann drängen sich die Massen, und die Gemeindekassen klingeln (wie gesagt, das größte touristische Kapital …), denn mittlerweile werden nahezu überall Parkgebühren erhoben.


Schönste Stadt: Alghero oder Spanisches Erbe

Trutzige Wehrmauern schützen die 400 Jahre von Spanien regierte Stadt Alghero zum Meer hin (Foto: Eberhard Fohrer)
Trutzige Wehrmauern schützen die 400 Jahre von Spanien regierte Stadt Alghero zum Meer hin (Foto: Eberhard Fohrer)

Die schönste Stadt Sardiniens? Das ist nach Meinung der meisten Inselliebhaber Alghero an der Nordwestküste.
»Sardisch« wirkt hier allerdings nur wenig, denn fast 400 Jahre lang regierten die Spanier, die im 14. Jahrhundert aus dem Königreich Aragon (Nordostspanien/Katalonien) kamen und die ansässigen Sarden und Genuesen vertrieben. In der autofreien Altstadt hat sich der spanische Charakter bis heute erhalten – schmale Pflastergassen zwischen historischen Prachtfassaden, verstreute, kleine Piazze (katalanisch »Placas«), gotische und barocke Kirchen. Die meisten Bewohner stammen von Katalanen ab, man spricht einen katalanischen Dialekt, in den Lokalen wird Paella serviert und die Beschilderung der Straßen ist zweisprachig: »Carrer« und »Via« bzw. »Placa« und »Piazza«.
Zum Meer hin schützt eine meterdicke Stadtmauer mit Basteien und Rundtürmen das »Centro storico«, das historische Zentrum. Wunderschön sitzt man dort in zahlreichen Restaurants und genießt die Abendsonne, die in Richtung spanischer Halbinsel über dem Meer untergeht.


Ausflug: Bosa oder Kleines Städtchen am breiten Fluss

Nicht weit von Alghero entfernt, das mittelalterliche und malerische Städtchen Bosa (Foto: Eberhard Fohrer)
Nicht weit von Alghero entfernt, das mittelalterliche und malerische Städtchen Bosa (Foto: Eberhard Fohrer)

Wenn man Alghero im Nordwesten besucht, sollte man das nahe Bosa keinesfalls auslassen – und auch die Fahrt zwischen beiden Städten bietet herrliche Impressionen der hier nahezu unbebauten Küste. Bosa liegt am Fluss Temo, dem einzigen auf Sardinien, der schiffbar ist. Zwischen flache Tafelberge und schroffe Felsgrate hat er sich ein tiefes Bett gegraben – und mittendrin thront wie in einem Gemälde das mittelalterliche Städtchen. Steil klettern die bunten Häuser einen Hang hinauf, darüber stehen die trutzigen Mauern eines genuesischen Kastells.
Im malerischen alten Zentrum am Corso Vittorio Emanuele dominieren auf den ersten Blick die hohen Balkonfassaden. Das Straßenpflaster ist von eigener Art: säuberlich abgerundete, faustgroße Kiesel, die eng an eng gesetzt sind, nur in der Mitte der Fahrbahn sind längliche Granitquader aneinandergereiht. Früher ratterten hier die eisernen Reifen der Ochsenkarren, heute schonen die Granitquader die Stoßdämpfer. Doch schon wenige Schritte seitlich taucht man in ein Gewirr von schmalen, im Sommer wunderbar kühlen Gässchen, der Autolärm verstummt, hier und dort sieht man Frauen, die an großen Holzrahmen sitzen und geduldig Decken und Tücher besticken – Filetstickerei und Spitzenklöppelei gehören in Bosa zur Tradition.
Einen willkommenen Kontrast zur engen Altstadt bietet die Palmenpromenade am breiten Fluss: hohe, alte Bürgerhäuser, im Wasser schaukelnde Fischerboote, auf der anderen Flussseite dicht an dicht die ehemaligen Gerbereigebäude aus dem 18. Jahrhundert. Damals erlebte Bosa eine Phase relativen Wohlstands durch Gerbereihandwerk, die schon erwähnte Filetstickerei, Schmuckherstellung und Korallenverarbeitung.
Ein echter Besuchermagnet ist aber auch der schöne, braune Sandstrand in der nahen Hafen- und Badesiedlung Bosa Marina.


Kultur: Orgosolo oder Das Dorf der »Murales«

Hochpolitisch, sogar aus deutscher Sicht, sind die Wandbilder in Orgosolo (Foto: Eberhard Fohrer)
Hochpolitisch, sogar aus deutscher Sicht, sind die Wandbilder in Orgosolo (Foto: Eberhard Fohrer)

Orgosolo in der bergigen Region Barbagia galt über Jahrhunderte hinweg als eines der rebellischsten Dörfer Sardiniens. Hartnäckig hat man sich hier gegen die Zentralgewalt auf dem italienischen Festland aufgelehnt. Das sieht man den Menschen heute nicht mehr an, doch zahllose Wandbilder (= Murales) künden mit elementarer Wucht und Ausdruckskraft von der brisanten Vergangenheit. Sie sind Protest gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Willkür, aber auch ein Versuch, die eigene Geschichte zu erklären. Kaum eine Wand im Zentrum, die nicht bemalt ist – Orgosolo hat die umfangreichste Murales-Serie Sardiniens.
Angeregt durch die berühmte Revolutionsmalerei in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern entstanden die ersten Bilder in den 60er-Jahren unter dem Eindruck der französischen Studentenbewegung. Sie spiegeln den jahrhundertelangen Kampf gegen Repression, Kolonisierung und Ausbeutung wider, klagen an, zeigen Wut und Ohnmacht gegenüber den Herrschenden, drücken aber auch Hoffnung auf Veränderung aus.


Erlebnis: Im Dunkel des Bergs oder Die Höhlen im Kalkgestein

654 Stufen sind es bis zur Grotta di Nettuno bei Alghero (Foto: Eberhard Fohrer)
654 Stufen sind es bis zur Grotta di Nettuno bei Alghero (Foto: Eberhard Fohrer)

Ein echtes Kontrastprogramm zur »Sonne-, Strand- und Meer-Insel«: Der karstige Kalk Sardiniens birgt mehrere hundert Grotten, die sich oft tief verzweigen und noch lange nicht vollständig erforscht sind. Zahlreiche Funde beweisen, dass die Höhlen schon von den vorgeschichtlichen Bewohnern der Insel genutzt wurden. Einige sind touristisch erschlossen – und ihr Besuch macht sowohl Kindern wie auch Erwachsenen Spaß, wobei vor allem die bizarren Tropfsteingebilde im Mittelpunkt des Interesses stehen. So ist z. B. der größte bisher bekannte Tropfstein Europas in der Grotta di Ispinigoli bei Dorgali erhalten – ein 38 m hoher Stalagmit, der vom Boden bis zur Decke durchgewachsen ist, so dass die Höhle wie ein riesiges, aufgerissenes Drachenmaul mit einem gewaltigen Dorn darin erscheint.
Die Grotta del Bue Marino in der Steilküste bei Cala Gonone an der Ostküste wird schon seit dem 19. Jahrhundert von Reisenden besucht, sie wurde in Jahrmillionen durch unterirdische Wasserläufe ausgehöhlt. Um sie zu besuchen, muss man mit dem Boot anfahren oder eine kleine Wanderung unternehmen. – Ebenfalls seit Langem bekannt ist die Grotta di Nettuno am pittoresken Capo Caccia bei Alghero, zu der eine Treppe mit 654 Stufen hinunterführt.
Noch nicht so lange für den Publikumsverkehr geöffnet sind dagegen die Grotta su Marmuri bei Ulassai, die Grotta di su Mannau bei Fluminimaggiore, die Grotta Is Zuddas bei Santadi und die Grotta de is Janas bei Sadali – aber auch (und gerade) sie lohnen einen Besuch.


Übernachten und Essen & Trinken: Agriturismo oder Ferien auf dem Bauernhof

Eine der zahlreichen Agriturismo-Alternativen, wenn man keine hohen Hotelpreise zahlen mag (Foto: Eberhard Fohrer)
Eine der zahlreichen Agriturismo-Alternativen, wenn man keine hohen Hotelpreise zahlen mag (Foto: Eberhard Fohrer)

Im ländlich strukturierten Sardinien ist dies eine ideale Form der Feriengestaltung, nicht zuletzt wegen der vergleichsweise hohen Hotelpreise.
»Agriturismo«, das bedeutet Urlaub nicht in den großen Touristenzentren am Meer, sondern hautnah im bäuerlichen Milieu mit allen Möglichkeiten, die daraus erwachsen. Man lernt das Leben der Menschen im ländlichen Bereich kennen und diesen kommt auch die finanzielle Seite unmittelbar zugute – im Gegensatz zu vielen Hotels, in denen Kapitalgesellschaften kassieren. Die Zimmer sind in der Regel ordentlich und sauber, mit etwas Glück bekommt man hervorragende authentische und reichhaltige Küche serviert, oft werden Reitausflüge oder andere Aktivitäten angeboten. In einigen Fällen darf man auch sein Zelt auf dem Grundstück aufstellen oder das Womo parken (»Agricampeggio«).
Wer nicht in einem Agriturismo übernachten will, sollte dort zumindest einmal zum Essen einkehren, denn die genuine Bauernküche Sardiniens lernt man so am besten kennen. Man meldet sich dafür einen Tag vorher telefonisch an und erhält dann für ca. 25-35 € pro Person ein vollständiges Menü, dazu Rotwein und Wasser. Gekocht wird häufig mit Produkten aus der eigenen Landwirtschaft (»Chilometro Zero«) oder aus der näheren Umgebung.
Hier drei Vorschläge (von vielen):
Der »Agriturismo Quercia della Gallura« (www.querciadellagallura.com) liegt im Norden Sardiniens, etwas 5 km von Luogosanto entfernt, an der Straße nach Arzachena ist er ausgeschildert. Die Geschwister Laura und Matteo Saba vermieten zwölf geräumige DZ mit jeweils eigener kleiner Terrasse in ihrem rustikalen Anwesen. Abends wird hervorragend sardisch gekocht, mehrere Gänge. Mountainbikes kann man beim sardisch-deutschen Team des angeschlossenen »Gallura Bike Point« (www.gallurabikepoint.com) leihen, auch Touren werden hier angeboten.
In der schönen Bucht von Buggerru führt der sympathische Francesco seinen »Agriturismo Fighezia« (www.agriturismofighezia.it), etwa 4 km landeinwärts vom Strand. Vermietet werden schlichte Zimmer in moderner ökologischer Bauweise. Von den Terrassen genießt man tagsüber den wunderbaren Panoramablick, nachts den herrlichen Sternenhimmel. Abends sitzt man mit den anderen Gästen an einem großen Tisch zusammen und erfreut sich des sardisch-kreativen Essen mit selbst gekeltertem Wein.
Im »Agriturismo S’Ispiga« (www.sispiga.it) an der Westküste gibt es saubere Zimmer mit schönem Blick bis zum Meer. Abends zaubert Koch Antonangelo ein exzellentes mehrgängiges Mahl mit vielen sardischen Spezialitäten. Das Fleisch dazu stammt aus eigener Tierhaltung, auch das Olivenöl und andere Produkte werden selber hergestellt.


Region: Golfo di Orosei oder Hippies, Strände und Grotten

In Jahrmillionen durch unterirdische Wasserläufe ausgehöhlt, die Grotta del Bue Marino (Foto: Eberhard Fohrer)
In Jahrmillionen durch unterirdische Wasserläufe ausgehöhlt, die Grotta del Bue Marino (Foto: Eberhard Fohrer)

Der 30 km lange Golfo di Orosei an der sardischen Ostküste ist geprägt durch die mächtigen Ausläufer des Supramonte-Gebirges, deren bis zu 400 m hohen Hänge senkrecht zum Meer hin abfallen. Tiefe Schluchten, so genannte »Codule«, zwängen sich durch den verkarsteten Kalk und münden in weit ausladenden Sandbuchten am Meer. In den 70er-Jahren tummelten sich hier Hippies und Aussteiger für Monate oder gar Jahre. Jetzt sind die abgelegenen Strände vom Küstenort Cala Gonone aus täglich mit Ausflugsbooten zu erreichen – und eine Bootsfahrt durchs glasklare Meer entlang der Steilküste ist fast schon ein Muss, wenn auch nicht billig (je nach Ziel ca. 20-30 € hin und zurück). Beliebtestes Anlaufziel ist der an beiden Seiten von verwitterten Felshängen eingefasste Strand Cala di Luna. Den Hippies dienten die von Wind und Wellen in Jahrtausenden in die Felswände gegrabenen Grotten als Wohnhöhlen, heute suchen hier zahlreiche Badeurlauber den ersehnten Schatten …
Sogar in der Hochsaison wohltuend ruhig ist dagegen die Cala Goloritzè, denn die wunderschöne Bucht bleibt für den motorisierten Bootsverkehr gesperrt. Eine traumhaft-wilde Szenerie tut sich hier auf: Der strahlend weiße Kiesstrand liegt unterhalb senkrechter Felsabstürze, vorgelagert ist das Felsentor Arco di Goloritzè, und im Hintergrund steigt die Felsnadel L’Aguglia senkrecht in den Himmel. Der 143 m hohe Kalkmonolith, auch Punta Caroddi (»Karottenfels«) genannt, ist ein bevorzugter Anlaufpunkt für routinierte Freeclimber, denn es handelt sich hier um Italiens klettertechnisch schwierigsten Normalanstieg.
Eine gänzlich anders geartete Attraktion ist die Grotta del Bue Marino, die »Höhle der Meerochsen«. Wo sich heute die Besucher in langen Schlangen durch den Berg bewegen, lebten einst Mönchsrobben (respektive »Meerochsen«) und brachten ihre Jungen zur Welt. Sie sind jedoch seit Jahrzehnten verschwunden und weltweit vom Aussterben bedroht. Im sog. Spiegelsaal hat sich ein großer See gebildet, an dessen glasklarer Oberfläche sich dank verschiedener Lichtquellen täuschend echt die raue Höhlendecke widerspiegelt. Hier, in etwa 600 m Entfernung vom Eingang, vereinigt sich das Süßwasser aus dem Berg mit dem Salzwasser, nach der Schneeschmelze im Frühjahr entsteht ein Wasserfall. Ein Tipp für Unternehmungslustige: Man kann die Grotte auch zu Fuß erreichen, denn von der Cala Fuili (wenige Kilometer südlich von Cala Gonone) führt ein steinig-anstrengender Küstenweg mit viel Auf und Ab in etwa 50 Minuten bis zu einer großen Grottenöffnung über dem Wasser. Vorsicht jedoch: Der Zugang zur Höhle steht laut Auskunft nur Mo-Sa offen. Fragen Sie deshalb unbedingt noch einmal vorher im Informationsbüro von Cala Gonone nach. Die Rückfahrt ist dann per Boot möglich (ca. 8 €).


Frühgeschichte: Die Nuraghenkultur oder Militärbauten, Brunnentempel und »Riesengräber«

Die größte heute bekannte Nuraghenfestung Su Nuraxi im Süden Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)
Die größte heute bekannte Nuraghenfestung Su Nuraxi im Süden Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)

Für archäologisch Interessierte ist Sardinien ein mehr als lohnendes Ziel, finden sich hier doch zahllose Relikte der frühesten Historie.
Im 2. Jahrtausend vor Christi fasste eine kämpferische Hirtenkultur auf der Insel Fuß. Ihre bedeutendsten und bis heute rätselhaften Überbleibsel sind die bizarren Nuraghen (»Nurakes« bedeutet Steinhaufen), kegelförmige Türme aus roh aufeinander geschichteten Steinblöcken. Als schwarzgraue, moosbewachsene Ungetüme stehen sie noch heute überall in der sardischen Landschaft, in Europa gibt es aus dieser Zeit nichts Vergleichbares. Mehr als 7000 hat man bis heute gezählt (wahrscheinlich gab es wesentlich mehr, wenn auch nicht alle zur gleichen Zeit) und ausgerechnet, dass damit jeder Turm im Durchschnitt ein Gebiet kontrollieren konnte, das sich nicht weiter als 1 km nach jeder Seite erstreckte. Ihr Inneres war von der Außenwelt vollkommen abgeschirmt, nur ein schmaler Gang und Schießscharten führten durch die meterdicken Mauern nach außen. Von der heutigen Forschung werden sie meist als Kultstätten oder Militärbauten gesehen, wobei letztere Variante von vielen Archäologen bevorzugt wird, doch Gewissheit besteht über ihre Funktion nicht. Die größte heute bekannte Festung, Su Nuraxi bei Barumini im Süden Sardiniens, gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO und hatte in der letzten Ausbauphase (9. Jh. v. Chr.) zwölf Türme samt doppeltem Mauerring. Eine zweite bedeutende Nuraghenanlage ist Santu Antine bei Torralba in der baumlosen Ebene des Logudoro, und ein dritter im Bunde bleibt der imposante Nuraghe Arrubiu bei Orroli in der Marmilla.
Ein weiteres besonderes Kennzeichen der nuraghischen Kultur sind ihre Brunnentempel, die »Pozzi Sacri«. In diesen mit großer Präzision erstellten Anlagen, von denen heute mehr als 50 bekannt sind, wurde das lebensnotwendige und als heilkräftig angesehene Wasser verehrt, denn man hat zahlreiche Weihegeschenke gefunden, und auch kultische Handlungen fanden wohl statt. Mehr als 50 Brunnenheiligtümer sind bekannt, besonders gut erhalten sind die Anlagen von Santa Cristina bei Paulilatino in der Nähe von Oristano, Santa Vittoria bei Serri im Süden und Su Tempiesu bei Orune, nördlich von Nuoro.
Ihre Toten beerdigten die Nuraghier in Gemeinschaftsgräbern, den sog. Tombe dei Giganti (sardisch: tumbas de sos zigantes), in denen ganze Sippen Platz fanden, bis zu hundert und mehr Menschen. Die Front bildet eine meterhohe Eingangsstele mit einem kleinen Einlassloch, flankiert von zwei halbkreisförmigen Flügeln mit Sitzbänken. Dahinter erstreckt sich eine gut 10 m lange Ausschachtung, die mit Granitplatten ausgekleidet und überdeckt ist. Die Gigantengräber Coddu Vecchiu und Li Lolghi sind bei Arzachena in Nordsardinien erhalten, weitere findet man beim Castello Pedreso in der Umgebung von Olbia und bei Dorgali.


Kunstgenuss: Romanik pur oder Pisanische Landkirchen

Unverwechselbar und legendär, die Zebrahaut der schönsten Pisanerkirche Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)
Unverwechselbar und legendär, die Zebrahaut der schönsten Pisanerkirche Sardiniens (Foto: Eberhard Fohrer)

Vor allem im Norden Sardinien findet man sie – echte Kleinode der Romanik und für Kunstliebhaber allein ein Grund, nach Sardinien zu reisen. Zur Entstehungsgeschichte: Im frühen Mittelalter sah sich die römisch-katholische Kirche aufgrund der (gefälschten) Konstantinischen Schenkung als Eigentümer Sardiniens. Als die Araber im Jahr 1015 weite Teile der Insel besetzten, rief Papst Benedikt VIII. die mächtigen Stadtrepubliken Pisa und Genua zu Hilfe, die die muslimischen Eroberer bereits kurz darauf vernichtend schlagen konnten und begannen, ihre festländische Kultur auf die »vergessene Insel« zu importieren. Mönchsorden wurden nach Sardinien geschickt, errichteten Klöster und Kirchen und gingen daran, das umliegende Land urbar zu machen. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurden die meist weitab von jeder größeren Ortschaft errichteten Kirchen kaum verändert, sie verkörpern deshalb bis heute reinste Romanik – was auf dem Festland eher eine Seltenheit ist …
Die Basilica di San Gavino in Porto Torres ist die größte der romanischen Kirchen Sardiniens. Sie ist auf einer frühchristlichen Nekropole erbaut und besticht durch ihre architektonische Harmonie. In der zweistöckigen Krypta unter der Westapsis stehen drei Marmorsarkophage mit den Knochen von Gavinus, Jannuarius und Protus, den Schutzheiligen der Stadt, ermordet während der Christenverfolgungen unter Kaiser Diokletian im 3. Jahrhundert.
Die Klosterkirche Santissima Trinità di Saccargia steht südöstlich von Sassari. Mit ihrem schlanken, hoch aufragenden Glockenturm und der unverwechselbaren Zebrahaut aus weißem Kalk und schwarzem Basalt ist sie die markanteste Kirche Sardiniens und eine der typischsten im pisanisch-toskanischen Stil.
Nostra Signora del Regno, der »schwarze Dom« von Ardara, wurde zwar von toskanischen Baumeistern errichtet, trotzdem handelt es sich um eine wahrhaft »sardische« Kirche, die den Baustil auf der Insel stark beeinflusst hat. Sie besteht völlig aus schwarzbraunem Basalt, wirkt düster, kompakt und massiv, die Strukturen sind einfach, ohne Spielereien. Alles dominierender Blickfang im dreischiffigen Inneren ist das aus dreißig farbenprächtigen Einzelbildern bestehende Retablo (Altarbild) von Giovanni Murru von 1555, eines der bedeutendsten Bildwerke Sardiniens.
Sant’Antioco di Bisarcio in der Nähe von Ardara ist wohl die Pisanerkirche mit der schönsten Lage: Herrlich ist der Blick über die umliegende Ebene. Erbaut wurde sie von pisanischen und burgundischen Baumeistern. An der reich verzierten Fassade bemerkt man viele Details, z. B. die dämonisch verzerrten Fratzen auf Säulenkapitellen. Die schattige Vorhalle besitzt sechs Kreuzrippengewölbe. Der Glockenturm kann bestiegen werden.

Passend dazu