Unsere Verlagsarbeit ist das Zusammenspiel verschiedener Abteilungen. Darunter eine grafische, die fürs Buchlayout sorgt. Eine kartografische, die Karten und Pläne erstellt. Eine Redaktion, die für alle möglichen organisatorischen und konzeptionellen Dinge zuständig ist. Und ein Lektorat, das … ja, was eigentlich tut?
Wenn man die Dinge beim Namen nimmt, ist die Antwort simpel: Das Wort Lektorat geht auf lat. lector = »Leser«, »Vorleser« zurück, das Wort lector wiederum ist von lat. legere abgeleitet. Interessanterweise bedeutet legere nicht nur »lesen«, sondern unter anderem auch noch »auswählen«, was in unserem erlesen = ausgewählt mitschwingt. Fasst man beide Bedeutungsvarianten zusammen, kommt man dem, was ein Lektor/eine Lektorin tut, schon ziemlich nahe: Rohmanuskripte von Büchern lesen und dabei auswählen, was ins fertige Buch kommt und was nicht.Klingt auch simpel (was falsch ist, muss raus!), kann aber unter Umständen ein zäher Prozess sein. Warum? Weil die pedantische Welt des Lektors hart auf die, nennen wir es: freie Welt des Autors trifft. Ein Beispiel: Die Pizze im Rusticalo sind immer famos und mit frischen Zutaten belegt, heißt es im Manuskript eines Autors.Harmlos, mögen Sie denken, bei Pizze fehlt ein n. Vielleicht stutzen Sie aber schon im nächsten Moment und ziehen in Erwägung, dass es auch Die Pizzas heißen könnte, eventuell sogar schlicht Die Pizza … was natürlich zur Folge hätte, dass sind durch ist zu ersetzen wäre, weil Die Pizza ja Singular ist, während Die Pizzen oder Die Pizzas … usw. usw. Wenn Ihnen all diese Gedanken (und möglicherweise noch schlimmere) in den Kopf schießen, seien Sie vorsichtig. Sie befinden sich auf dem direkten Weg in eine bedenkliche Form der Pedanterie, und das könnte Sie bei der Bewältigung Ihres Alltags nachhaltig beeinträchtigen: möglich, dass Sie zukünftig bei jeder Kleinigkeit ein Problem wittern.
Doch zurück zu unserem Pizze-Problem. Die Lektoratsdiagnose ist eindeutig: Der Autor ist Schweizer, spricht gern und fließend Italienisch und wählt für seinen Text den italienischen (!) Plural pizze, alles andere hielte er für einen Akt der Barbarei. Wie die Geschichte weitergeht? Das Lektorat räumt ein, dass es grammatisch möglich ist, originalsprachliche Wörter in deutsche Texte einfließen zu lassen, dass aber die Verlagskonvention fordere, darauf zu verzichten, was man dann im Sinne der Einheitlichkeit auch in diesem Fall so handhaben müsse … auch wenn man wisse, dass es dem Autor schwerfalle, sich in diesem Punkt den Konventionen zu beugen. Was tut der Autor? Er hört sich das Ganze an, verweist auf seine Autonomie und den prinzipiellen Wert der schöpferischen Freiheit, um ganz zum Schluss noch die folgende Trumpfkarte zu ziehen: »Meinst du ernsthaft, dass es irgendjemanden stört, wenn da Pizze steht?« Hand aufs Herz: Sie halten die Pizze-Geschichte für frei erfunden. Sie ist es nicht, genauso wenig wie die Toscana- oder die Cuba-Geschichte (»Toscana/Cuba bitte nicht mit k, das sieht provinziell aus!«), die Photo-Geschichte (»Hab ich immer mit ph geschrieben!«) und die vielen anderen kleinen Geschichten um den rechten Buchstaben, das rechte Wort oder die rechte Formulierung, die es noch zu erzählen gäbe.
Zwei Schlüsse dürfen Sie daraus aber auf keinen Fall ziehen:
1) dass es im Lektorat ausschließlich um sprachlich-formales Kleinzeug geht;
2) dass Autoren und Lektoren heillos verstritten sind und um jeden Zentimeter Grammatik, Rechtschreibung, Stil und Inhalt kämpfen.
Was Punkt 2) angeht, sind die Dinge entspannter. Autoren und Lektoren arbeiten in der Regel gut zusammen, weil am Ende beide Seiten dasselbe wollen: ein gutes Buch als Endprodukt. Die Zusammenarbeit fällt umso leichter, wenn man einmal akzeptiert hat, dass die Schrulligkeiten (man könnte auch sagen: die Zwangsneurosen) der jeweils anderen Seite berufsbedingt und deswegen klaglos hinzunehmen sind. Und zu 1) ist zu sagen: Es geht um mehr als um Rechtschreibung, Zeichensetzung, grammatische Formen und sprachlichen Stil. Im Vordergrund steht, was man fernsehdeutsch Fakten-Check nennt: Stimmen die gebotenen Informationen (von den Zimmerpreisen im Hotel bis zu den autobiografischen Daten des bedeutenden Regionaldichters), sind sie lückenhaft, sind sie detailliert genug oder zu differenziert (auch das gibt es) und – ganz wichtig – sind sie sprachlich so aufbereitet, dass man sie leicht verstehen kann? Wir arbeiten an allem, auch am letzten Punkt, an der Sache mit der Verständlichkeit. Ob uns dabei schon einmal so richtig was durch die Lappen gegangen ist? Entscheiden Sie selbst:
»Hinweis: Das Klettern findet traditionell am 23. April und nach Ostern statt. Fällt Ostern auf einen späteren Termin, so verschiebt sich das Sankt-Georgs-Klettern auf Ostermontag.« Alles klar?
Herzlichst
Peter Ritter und Ihr Michael-Müller-Lektorats-Team