»Es gibt derzeit keinen besseren Dublin-Helfer« schrieb das irland journal zu Ralph-Raymond Brauns Reisebuch. Darin geht es um sehr besondere Tipps zur irischen Hauptstadt, aber auch um Hintergründe, die ein langjähriges Wissen über Land und Leute voraussetzen. Ein düsteres Kapitel ist der Nordirlandkonflikt, den Braun aus Sicht einer harmlosen Showband packend erzählt. Getreu dem Motto: Es sind die kleinen Geschichten, die eine große Krise veranschaulichen – und bis in die Gegenwart reichen.
Als die Mitglieder der Miami Showband nach ihrem Auftritt im Castle Ballroom von Banbridge die Instrumente einpacken, ahnt noch niemand, dass drei der jungen Musiker in den nächsten Stunden sterben würden.
Das Showband-Business war auf seinem Höhepunkt und die Tanzhallen der abendliche Treffpunkt. Besonders im vom Bürgerkrieg geplagten Nordirland, wo sich bei Dunkelheit niemand mehr auf die Straße traute, waren die Ballrooms Oasen abendlicher Geselligkeit und des unbeschwerten Vergnügens. Der 31. Juli 1975 war gerade angebrochen, als sich die Band nach Mitternacht auf den Heimweg machte. Es war eine Zeit der Hoffnung. Ein halbes Jahr währten nun schon der Waffenstillstand, und, wie wir heute wissen, auch die geheimen Kontakte zwischen der IRA und den Vertrauten des britischen Premierministers Harold Wilson.
Das Fahrzeug im Rückspiegel
Vorneweg fuhr Roadmanager Brian Maguire mit dem Equipment. Dahinter der vom Trompeter Brian McCoy gesteuerte Kleinbus mit Bandleader Des Lee McAlea (sax), Fran O’Toole (vocals), Tony Geragthy (guitar) und Stephen Travers (bass). Nicht dabei war Drummer Ray Millar, der nach dem Konzert in seinem eigenen Wagen zu den Eltern nach Antrim aufgebrochen war. Maguire sollte später berichten, dass ihm im Rückspiegel ein Fahrzeug auffiel, das den Bus mit den Musikern zu verfolgen schien. Auf der Umgehungsstraße von Newry wurden sie durch Uniformierte des Ulster Defence Regiment (UDR), eine Feierabendtruppe der britischen Armee, gestoppt und in eine Parkbucht gewunken. Solche Kontrollen waren damals gang und gäbe, zumal in der Nacht. Die Musiker müssen sich abseits des Autos aufreihen und ihre Personalien zu Protokoll geben, während zwei Soldaten den Kofferraum zu durchsuchen scheinen.
Dann explodiert der Kleinbus – mitsamt den beiden Kontrolleuren, von denen später nur noch einzelne Körperteile geborgen werden. Die Wucht der Explosion schleudert Des Lee in einen Graben, was ihm das Leben rettet. Denn die Soldaten eröffnen nun das Feuer auf die Musiker. Fran wird von 22 Schüssen durchsiebt, Tony und Brian fliehen und werden auf einer Wiese rücklings erschossen. Der mit einem Lungendurchschuss schwer verletzte Steven stellt sich tot und überlebt so die Hinrichtung.
Die Drahtzieher und was aus ihnen wurde
Die polizeilichen Ermittlungen werden ergeben, dass mindestens vier der Soldaten zugleich einem Killerkommando der Ulster Volunteer Force (UVF) angehören, einer Organisation unionistischer Paramilitärs. Die vorgebliche Kontrolle diente dazu, eine Bombe im Gepäck der Musiker zu platzieren, die dann zu einem späteren Zeitpunkt hätte gezündet werden können.
Harry Boyle und Wesley Summerville, die beiden zerfetzten Bombenleger, bekommen ein Ehrenbegräbnis, geleitet von Pastor William McCrea, später Abgeordneter der nordirischen DUP in Westminster. Thomas Crozier und Rodney McDowell werden zu je 35 Jahren Haft verurteilt, sind wegen guter Führung aber bereits seit Anfang der 1990er wieder auf freiem Fuß. Der ebenfalls verurteilte James Summerville wird im Zuge des Karfreitagsabkommens 1998 begnadigt. Weitere Verdächtige wie der psychopathische Auftragskiller in britischen Diensten, Robin Jackson, genannt »der Schakal«, bleiben für diese Tat unbehelligt. Ob die UVF/UDR-Terroristen auf eigene Faust arbeiteten oder nur Helfershelfer höherer Stellen waren, wurde nie geklärt. Jedenfalls gibt es ernsthafte Hinweise, dass der britische Geheimdienstdienst MI5 den Labour-Premier Harold Wilson und seine Nordirlandpolitik zu desavouieren versuchte. Der immer wieder als Drahtzieher des Anschlags genannte Robert Nairac, Offizier der geheimnisumwitterten 14 Intelligence Company, wurde 1977 von der IRA hingerichtet.
Das Revival als Riesenerfolg
Warum dieser Anschlag auf eine Band, die mit Politik und Konfessionalismus nichts am Hut hatte? Vielleicht ging es darum, Showbands und Ballrooms als Unionisten und Nationalisten gemeinsames Freizeitvergnügen anzugreifen.
Das Showband-Geschäft erholte sich nach diesem Schlag nicht mehr, wobei Discos und der sich wandelnde Musikgeschmack, der statt Happy Sound à la James Last nun lieber Thin Lizzy hörte, sicher wirksamere Totengräber waren als der Anschlag auf die Miami Showband. Doch die ist unvergessen. Zwei Wohltätigkeitskonzerte, welche die Überlebenden der 1975er-Formation, Stephen Travers, Des Lee McAlea und Ray Millar 2008 wieder auf der Bühne vereinten, wurden ein Riesenerfolg.
Lesetipp: Stephen Travers/Neil Fetherstonhaugh, The Miami Showband Massacre, London (Hodder & Stoughton) 2008.