Etwa eineinhalb Jahre nach dem Deutschen Herbst gab es in Nürnberg eine Terrorzelle der RAF. Den Unterschlupf von Elisabeth von Dyck, die in ihrer Wohnung sogar steckbrieflich gesuchte Top-Terroristen wie Christian Klar oder Adelheid Schulz empfing, entdeckte man eher aus Zufall: nach einem Banküberfall. Wie dilettantisch die V-Männer danach vorgingen, beschreibt Ralf Nestmeyer in unserer Wussten Sie, dass-Serie. Sein Reiseführer zu Nürnberg liegt aktuell in 10. Auflage 2016 vor.
Nürnberg ist nicht nur die Stadt der Lebkuchen und des Christkindlesmarktes, die Stadt der Reichskleinodien und der Reichsparteitage, sondern Nürnberg ist auch die Stadt, in der ein paar der bewegendsten politischen Ereignisse der jüngsten deutschen Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen haben.
So fanden drei der neun NSU-Morde in Nürnberg statt, angefangen mit dem ersten Mord der Serie an Enver Şimşek am 9. September 2000, dann der zweite Mord an Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001) sowie der Mord an İsmail Yaşar, der in seinem Döner-Imbiss in der Scharrerstraße am 9. Juni 2005 erschossen wurde.
Gerade einmal 250 Meter Luftlinie von dem Döner-Imbiss erntfernt, spielte sich im Nürnberger Südosten zweieinhalb Jahrzehnte zuvor eine andere Historie ab, die deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte. Damals in den Hochzeiten des deutschen Terrorismus wurde die steckbrieflich gesuchte RAF-Terroristin Elisabeth von Dyck am späten Abend des 4. Mai 1979 von zwei Polizisten eines Spezial-Einsatz-Kommandos (SEK) in einer konspirativen Wohnung in der Stephanstraße 40 erschossen.
Schulkinder enttarnen V-Männer
Dieser Einsatz markierte allerdings keinen Erfolg der Terrorfahndung: Er ging eher als Fahndungspanne in die Ermittlungsgeschichte ein. Nach einem Banküberfall auf die Schmidt-Bank-Filiale an der Lorenzkirche in Nürnberg, bei dem am 17. April desselben Jahres mehr als 200.000 Mark erbeutet worden waren (das Fluchtfahrzeug fand man auf der Insel Schütt in Nürnberg), gingen Hinweise aus der Bevölkerung ein, die auf einen Unterschlupf hindeuteten. Heimlich drangen die Ermittler in die im ersten Stock gelegene Eineinhalbzimmerwohnung ein. Sie sicherten Fingerabdrücke am Waschbecken sowie Kleidungsstücke und Schriftproben, die eindeutig darauf schließen ließen, dass sich hier die an der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer beteiligten und steckbrieflich gesuchten Top-Terroristen Christian Klar, Adelheid Schulz, Monika Helbing, Rolf Heißler und Werner Bernhard Lotze aufgehalten hatten.
Die im Stadtteil St. Peter gelegene Wohnung – sie befand sich unweit der für ihre Waffenproduktion bekannten Diehl-Werke – wurde anschließend wochenlang beschattet, allerdings recht dilletantisch. Selbst Schulkinder enttarnten die als Straßenbauarbeiter verkleideten Polizisten, da diese nicht arbeiteten. Neugierig zogen die Kinder von den Absperrleuchten des Bauwagens die Klebestreifen ab und entdeckten die dahinter versteckten Überwachungsgeräte. Trotz dieser Peinlichkeiten »glückte« der polizeiliche Zugriff, wobei die 28-jährige Elisabeth von Dyck bei dem übereilten Zugriff in Oberschenkel und Rücken geschossen wurde und wenig später im Klinikum an ihren schweren Verletzungen verstarb.
Nach wem suchen wir eigentlich?
In den folgenden Stunden und Tagen kam es zur größten Terrorfahndung in der Nürnberger Geschichte – die jedoch nicht zur Verhaftung eines weiteren Terroristen führen sollte. Nicht einmal die beteiligten Polizeibeamten wussten, nach welchen Fahrzeugen und Personen sie eigentlich suchen sollten. Es kam, wie es kommen musste: Die groß angelegte Fahndungsaktion führte zu keinen neuen Erkenntnissen. Was die RAF in der Stephanstraße wirklich geplant hatte, liegt bis heute im Dunkeln …